„Nieder mit den Franzosen!“, rief Sargente Ruiz, erleichtert, die Präsentierhaltung nun aufgeben zu können. „Tod dem Franzosenkaiser!“
Die meisten Menschen sahen Ruiz nur beklommen an und Ruiz errötete ein wenig, als Mellendez ihn freundlich ansah. „Richtig, Sargente, Tod den Franzosen und ihrem Kaiser. Und mit Gottes Segen und Hilfe wird dies auch gelinge. Aber“, er bat erneut um Ruhe, „alles zu seiner Zeit. Im Augenblick sind wir nicht in der Lage, die Franzosen militärisch zu bezwingen“, gestand der Offizier ein. Man sah ihm an, wie schwer das Eingeständnis fiel. „Truppen der Franzosen streifen über heiligen Boden Spaniens und schänden ihn. Sie suchen nach Verpflegung für ihre Männer und ihre Tiere, plündern, was sie brauchen können. Wer sich widersetzt, wird getötet oder verschleppt.“
Colonello Mellendez schien jeden der Bewohner ernst anzusehen. „Vielleicht kommen die Franzosen auch hierher, nach Andajoz. Bislang meiden sie die Gebirgsregionen, denn sie sind schwer zugänglich. Zudem“, der Oberst lächelte flüchtig, „haben sie hier besondere, äh, Schwierigkeiten, denn sie treffen auf Widerstand durch die Guerilla.“
Velasquita hätte gerne erfahren, was die Guerilla war, aber bevor sie oder einer der anderen fragen konnte, fuhr der Offizier auch schon fort. „Die Franzosen haben Madrid, und die meisten unserer Städte und Provinzen, unter Kontrolle und besetzen nun auch Badajoz. Wahrscheinlich werden sie nicht bis hierher kommen. Sie bevorzugen andere Wege. Solche, die besser ausgebaut sind, denn sie werden schwere Kanonen mitführen. Aber es ist nicht auszuschließen, dass ihre leichteren Truppen, Infanterie und Kavallerie, auch nach Andajoz kommen. Sei es auch nur auf der Suche nach Lebensmitteln. Eine große Armee hat großen Hunger und im Augenblick haben die Franzosen vier große Armeen in Spanien.“
Velasquita fühlte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief. Sie hatte keine Ahnung, wer die Franzosen eigentlich waren und was sie so machten, aber Mellendez schien keine gute Meinung von ihnen zu haben. Was er schilderte, klang nicht ermutigend. Auch die anderen Menschen wirkten plötzlich verunsichert. Oberst Mellendez wippte leicht auf den Absätzen seiner Stiefel, seinen Degen steif in die Achselhöhle geklemmt.
„Ich kann euch nur empfehlen, Ausschau nach dem Feind zu halten und eure Vorräte gut zu verstecken. Und wenn er kommen sollte, so kann ich euch nur raten, ihm auszuweichen.“
„Wo sollten wir denn hin, Colonello?“, rief einer der Männer. „Hier in Andajoz befindet sich alles, was wir besitzen. Wenn wir es verlieren, haben wir nichts mehr zum leben.“
„Und wenn ihr bleibt, wenn die Franzosen kommen, dann werdet ihr aller Wahrscheinlichkeit nach sterben“, sagte Mellendez mit ruhiger Stimme. „Ich denke, das ist eine Entscheidung, die ihr mit eurem Alcalden treffen müsst.“
Mellendez nickte Don Domingo de Vega zu und der Alcalde trat vor. Man merkte, dass er sich Mühe gab, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. „Heute, äh, heute Abend werden wir uns alle hier auf der Plaza versammeln und beratschlagen, was zu tun ist. Sagt es allen, die jetzt nicht bei uns sind. Heute Abend auf der Plaza. Und nun geht hin und tut euer Tagewerk.“
Der Alcalde machte ein paar unbestimmte Handbewegungen, als wolle er die Bürger von Andajoz von der Plaza scheuchen. Die Menge verharrte murmelnd und es bildete sich Gruppen, die immer wieder unsichere Blicke zu ihrem Alcalden und dem fremden Oberst warfen, die wieder in den Schatten des Vorbaus traten.
Sargente Ruiz stand noch immer unter dem im Deckenbalken steckenden Bajonett, wagte es nicht, es vor den Augen der anderen so auffällig aus dem Holz zu ziehen. „Wir werden es den Franzosen zeigen, Colonello“, versicherte er hastig. „Wir werden sie töten, sie abschlachten.“
Oberst Luis Fernando Montoya de Mellendez sah den Feldwebel mit ruhigem Gesichtsausdruck an und griff dann nach oben. Ruiz errötete ein wenig, als der Offizier das Bajonett mit einem kurzen Ruck aus dem Holz riss und ihm freundlich lächelnd entgegen hielt. „Dann werden Sie das wohl brauchen, Sargente.“
Ruiz räusperte sich und nahm das Bajonett mit einer raschen Bewegung an sich. Er warf Velasquita einen scharfen Blick zu, als sie abermals auflachte und steckte die lange Klinge in die Lederscheide seines Kreuzbandeliers. Velasquita hielt Alejandro´s Hand umklammert und sie bemerkte die Blicke, die der Alcalde und der Offizier miteinander austauschten. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass der schlanke Offizier bei weitem noch nicht alles gesagt hatte. Da war noch mehr und es musste wichtig sein. Sehr wichtig. Das wurde ihr deutlich, als der Oberst dem Bürgermeister von Andajoz die Hand reichte.
„Wir sehen uns wieder, Don Domingo. Wenn alles klappt, in einer Woche.“
„Und wenn nicht, Senor Colonello?“
Mellendez lachte gutmütig. „Dann werde ich nie wieder die Gelegenheit haben, Ihre Gastfreundschaft erneut zu genießen, alter Freund.“
Velasquita begriff, was das hieß. Dann würde der Oberst tot sein. Und sie begriff noch etwas anderes. Der Oberst und der Alcalde kannten sich schon länger. In der Vergangenheit des Alcalden musste es ein Kapitel geben, in dem die Männer sich bereits begegnet waren. Da klang plötzlich eine Vertrautheit zwischen beiden, die nicht auf einer flüchtigen Begegnung beruhte, das spürte Velasquita mit all ihren Instinkten.
Es war wohl an der Zeit, mit Alejandro einmal etwas intensiver über die Vergangenheit seiner Familie zu reden.
Kapitel 2 Der Kampf der Cazadores
Der erste Teil des Weges war erstaunlich leicht gewesen. Luis Fernando Montoya de Mellendez, Conde des spanischen Reiches und als Graf persönlicher Vertrauter Ihrer Majestäten, des Königs und der Königin von Spanien, Oberst eines Regimentes der königlichen Leibgarde, kannte den Weg und war Schnelligkeit gewohnt. Sie hatten die kostbare Fracht aus Madrid bis nach Cáceres gebracht und wollten nun weiter, über die Brücke bei Andajoz nach Badajoz. Es war ihnen bewusst, dass die Truppen des französischen Kaisers diese gewaltige Festung nun besetzt hatten. Dennoch mussten sie an ihr vorbei. Die Patrouillen der Franzosen würden es ihnen nicht leicht machen. Sie würden sich an der Festung vorbeischleichen und sich dann für den weiteren Weg entscheiden. Der einfache führte nach Portugal. Auch die Portugiesen waren Gegner Napoleons, aber die Fracht in ihr Gebiet zu bringen, wäre dennoch riskant gewesen. Sie musste nach Cadiz, musste auf schnellstem Wege endgültige Sicherheit finden.
Sechzehn Maultierladungen mit spanischem Gold. Golddublonen von unschätzbar erscheinendem Wert und doch war dies nur ein Teil des spanischen Schatzes. Weitaus wertvoller war eine andere Fracht, die sie beförderten, und diese Fracht war ebenso kostbar wie gefährlich.
Mellendez Ziel war es, auf Badajoz zuzuhalten und dann südlich in Richtung auf Cadiz zu marschieren. Ein umständlicher Weg von Madrid aus, aber er wollte den Franzosen ausweichen, sie umgehen, um die kostbare Ladung sicher ans Ziel zu bringen. Cadiz war der freie südliche Hafen, den die Franzosen nicht besetzt hielten und in dem sich Teile der spanischen Regierung aufhielten. Cadiz, wo die englischen Verbündeten unter ihrem Lord Wellesley Nachschub und Truppen anlandeten.
Mellendez schätzte die ungläubigen Engländer nicht. Meist waren es Protestanten, die nicht dem einzigen und wahren Glauben folgten. Doch für Gott und Spanien würde man sich mit jedem verbünden, der ein Feind des Franzosenkaisers war.
Jedenfalls musste die Fracht nach Cadiz, um von dort an den endgültigen Bestimmungsort zu gelangen und dazu musste er den Fluss Alón überqueren. An einer Stelle, wo die schwere Fracht unbeschadet übersetzen konnte. Am Übergang bei dem kleinen Ort Andajoz.
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