Don Domingo de Vega´s Haus war sicherlich, abgesehen von Gonzo´s Hotel und dem kleinen alten Castillo an der Brücke, das größte Gebäude in Andajoz. Eigentlich war es eher eine Anlage, ein eigenständiger Hof, der aus dem Haupthaus, Nebengebäude und Stallung bestand, umgeben von einer brusthohen weißen Mauer, die das Haus des Alcalden begrenzte, nicht jedoch seinen Besitz.
Don Domingo war ein vermögender Mann, dem das umgebende Land gehörte und wohl auch einiges mehr, denn sein Wohlstand war offensichtlich und passte eigentlich nicht zu dem kleinen Ort. Natürlich gab es entsprechende Gerüchte. Don Domingo sei der Erbe einer reichen Familie, vielleicht hatte er auch Feinde in Madrid und habe sich aufs Land zurückziehen müssen. Einer hatte einmal angeführt, der Don sei vielleicht kein Don, sondern der frühere Anführer einer Bande von Straßenräubern, der sich hier nun als braver Bürger zur Ruhe gesetzt hatte, aber dafür waren die Wohltätigkeiten Don Domingos zu bekannt, und die vorwitzige Bemerkung hatte den Sprecher seine zwei besten Schneidezähne gekostet. Für die meisten war Don Domingo unverkennbar ein Hidalgo, ein Edelmann Spaniens von blauem Blut. Jedenfalls sah man der Familie des Alcalden und seinem Haus einen gewissen Reichtum an.
Das Haupthaus war zweigeschossig und der mächtige Vorbau ruhte auf Säulen, die aus einem Guss schienen. Über dem Vorbau zog sich ein breiter Balkon entlang, eingefasst von einem schwarzen, schmiedeeisernen Gitter, von dem zu besonderen Feiertagen die Flagge Spaniens herabhing.
Über drei breite Stufen erreichte man den Vorbau, wo Donna de Vega gelegentlich in einem bequemen Schaukelstuhl saß. Durch eine große und massige Tür mit Metallbeschlägen, die zwei Flügel aufwies, trat man in eine breiten Flur, von dem die unteren Räume abzweigten und der in der breiten Treppe mündete, die in das Obergeschoss hinaufführte. Unten befanden sich die eigentlichen Wohnräume und das Amtszimmer des Alcalden, oben die Privatgemächer. Es gab Gerüchte, über dem Bett des Ehepaares befände sich wahrhaftig ein Baldachin aus schwerem Stoff. Die Möbel waren nicht rein funktionell, sondern wiesen sorgfältige Drechselarbeiten und Schnitzereien auf. Teilweise waren Einlegearbeiten mit anderen Hölzern ausgeführt. Über dem Kamin im Amtszimmer des Dons hing ein Wappenschild, dessen Bedeutung keiner der Bürger kannte, und über welches der Don sich ausschwieg, eingerahmt von einigen älteren Waffen. Waffen, die noch bei der Bekämpfung der Mauren hilfreich gewesen sein mochten.
Doch der wahre Luxus erwies sich nicht in den kostbaren Gläsern, dem Porzellan oder dem silbernen Besteck, welches die Familie nutzte, sondern in der Tatsache, dass alle Böden mit polierten Hölzern ausgelegt waren und auf diesen Böden geknüpfte Teppiche lagen. Teppiche, welche Bilder zeigten und wahre Kunstwerke waren, so dass jeder Besucher nur zu bereitwillig sein schmutziges Schuhwerk ablegte, um die leuchtenden Farben nicht zu entweihen. Die hintere Außenwand des Hauses wurde von wildem Wein umrankt.
Das Nebengebäude hatte fast die Größe des Haupthauses und bildete mit diesem die Form einen langgestreckten „L“. Hier befanden sich die Kammern der fünf Bediensteten, die der Don beschäftigte, die Remise mit seiner Kutsche, und der Stall mit den Pferden für die Kutsche sowie dem edlen Reittier des Hausherrn.
Die freie Innenfläche des „L“ wurde von dem gepflegten Garten ausgefüllt, dessen Pflanzen liebevoll von Donna Carmen umhegt wurden. Die mit feinem Kies bedeckten Wege mündeten in der Mitte des Gartens in einen munter plätschernden Springbrunnen. Neben dem öffentlichen Brunnen auf der Plaza war dies die einzige künstliche Wasserentnahmestelle von Andajoz, denn der Fluss mit seinem klaren Wasser lag nahe, so dass sich das aufwändige Ausheben eines weiteren Brunnens einfach nicht lohnte.
Die umgebende brusthohe Außenmauer des Grundstücks wies hinten, zur Flussseite hin, eine schmiedeeiserne Gittertür auf, die es den Bediensteten ermöglichte, den Fluss bequem zu erreichen. Hier, und vor den Zugängen der Gebäude, brannten nachts Lampen.
Im Westen der Plaza von Andajoz zogen sich Laden, Kneipe und die wenigen Handwerksbetriebe hin, ihnen gegenüber, im Osten der Plaza, standen die drei Häuser der etwas vornehmeren Bewohner.
Im Westen, am Ortsrand, in Richtung auf die hölzerne Brücke, stand die kleine Kapelle von Pater Umbrio, mit dem dahinter befindlichen Friedhof der Gemeinde. Knapp Zweihundert Meter vom östlichen Ortsrand entfernt lag die alte römische Brücke, mit dem Castillo, der einstigen Zollstation.
Nein, Andajoz war weder beeindruckend, noch wichtig, aber für Velasquita war Andajoz der Mittelpunkt der Welt, in dem sich selten Neues tat. Die Ankunft eines echten Colonello war da etwas Besonderes und mit Velasquita und Alejandro hasteten daher auch andere Bewohner auf die Plaza, um wenigstens einen Blick auf den hohen Offizier werfen zu können.
Vor dem Haus des Alcalden standen schon zahlreiche Leute, wohl die Mehrzahl der 115 Seelen, die Pater Umbrios Gemeinde zählte, wenn man von den ewigen Seelen absah, um deren Frieden er sich zusätzlich kümmern musste. Velasquita erkannte die hohen Feldmützen zweier Soldaten, die unter dem Vorbau des Hauses Posten bezogen hatten. Einer der beiden war Sargente Ruiz. Der Feldwebel des kleinen Castillo hatte ein gestrenges Gesicht aufgesetzt, wie er es immer tat, wenn er eine Funktion von herausragender Wichtigkeit einnahm. Keiner der Bewohner von Andajoz nahm die sieben Soldaten des Castillo besonders wichtig, obwohl eine ständige Garnison, und sei sie noch so winzig, die Bedeutung von Andajoz ein wenig hervorhob.
Ruiz war ein stämmiger Mann, den die Uniform mit ihren weißen Hosen, der grünen Jacke und der von einem roten Pompom gekrönten Feldmütze gut kleidete. Die beiden weißen Ledergurte, die sich über seiner Brust kreuzten und gleichermaßen Patronentasche, Bajonett und Leibesfülle im Zaum hielten, glänzten frisch geweißt. Die Bajonette, sonst in ihrer Lederscheide, steckten auf den langläufigen Musketen der Soldaten und der Anblick der halbmeterlangen Stahlklingen flößte Respekt ein.
Ruiz räusperte sich, als Velasquita ihren Alejandro durch die Menge zerrte und vor ihn trat. „Halt! Kein Zutritt!“, sagte er barsch.
Velasquita sah ein paar Schweißtropfen, die unter der Feldmütze hervorsickerten und über Ruiz Wangen liefen. „Hab dich nicht so, Sargente. Willst du dem Sohn des Bürgermeisters den Zutritt zu seiner Familie verwehren?“
Sie lächelte den Feldwebel mit den großen Winkeln an den Oberarmen spöttisch an und spürte Ruiz Frustration. Er war eigentlich der ranghöchste Repräsentant der königlichen Armee in Andajoz. Nun war ein wirklicher Offizier gekommen und Ruiz musste draußen vor dem Haus bleiben und Posten stehen. Wieder einmal schienen die wichtigen Ereignisse an dem stämmigen Soldaten vorbei zu gleiten. Ja, Velasquita konnte seine Frustration deutlich spüren und ihr Lächeln wurde weicher.
„Sieh, mein guter Sargente, Alejandro und ich haben Hunger und Durst. Willst du den Zutritt wirklich verwehren?“
Ruiz räusperte sich erneut. „Der Colonello hat strikt verboten, dass jemand das Haus betritt.“
„Aber das gilt doch nicht für die Familie des Alcalden“, sagte Velasquita freundlich. „Oder hat Donna Carmen verlangt, dass ihr Sohn das eigene Haus nicht betreten darf?“
Carmen de Vega, die Gemahlin des Alcalden und Mutter von Alejandro. Ruiz wusste nicht, welche Macht der Colonello aus Badajoz ausüben konnte, aber er kannte sehr wohl die Macht der ehrenwerten Donna Carmen. Der Feldwebel räusperte sich erneut und hätte sich gerne den Schweiß abgewischt, wenn dies seine tadellose soldatische Haltung nicht beeinträchtigt hätte.
„Ähem“, sagte er schließlich und sah Alejandro und Velasquita streng an. „Der Zutritt zum Arbeitszimmer des Alcalden ist jedoch verboten.“
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