Er hatte sie als kleines Kind in den Bergen gefunden und gerade noch rechtzeitig retten können. Der brave Gottesmann nahm das kleine Mädchen zu sich und zog es auf, umsorgte es mit derselben Sorgfalt, die er allen Seelen seiner Gemeinde zuteil werden ließ. Für ihn schien sie immer das kleine Mädchen zu bleiben, obwohl sie das heiratsfähige Alter erreicht hatte. Vor allem Alejandro machte dies dem Pater nur zu deutlich. Ausgerechnet Alejandro, der Sohn des Bürgermeisters Don Domingo de Vega. In des Paters Brust stritten die Sorge um seine geliebte Ziehtochter und das Verständnis für die Bedürfnisse der Welt. Gott, der Herr, hatte gewiss nichts gegen die Liebe zweier Menschen einzuwenden. Auch Umbrio fand sie Gott gefällig, auch wenn er selbst eines Teils der Liebe entsagen musste. Doch als Stellvertreter des Herrn, auf Spaniens heiligem Boden, musste der gute Pater ein Auge darauf haben, das alles seine christliche Ordnung hatte. Was Pater Umbrio außergewöhnlich beunruhigte, das war die Vertrautheit, die er zunehmend zwischen Velasquita und Alejandro beobachten konnte. Hätte er die Gefühle der hübschen Ziehtochter genauer einschätzen können, so wäre es Umbrio sicherlich schwer gefallen, trotz der Mittagshitze sein Schläfchen zu nehmen. Doch so ruhte Gottes Vertreter in Andajoz und sein Schnarchen wurde allmählich von einem leisen Pochen begleitet, welches sich aus der Ortsmitte näherte.
Velasquita wandte ihr Gesicht dem sich nähernden Geräusch zu und strich unbewusst eine Strähne ihres Haares zur Seite. Von der Mauer, auf der sie saß, konnte sie, die kleine Hauptstrasse entlang, bis zur Ortsmitte mit der großen Plaza sehen, wo sich die Wundereiche erhob. Eine schlanke Gestalt erschien dort, die ein stämmiges braunes Pferd am Zügel führte. Über Velasquita´s Gesicht glitt ein erfreutes Lächeln und sie zupfte an ihrem langen Rock, während sie darauf wartete, dass ihr geliebter Alejandro mit dem Pferd näher kam.
Gott, der Herr oder sein Stellvertreter, der gute Pater Umbrio, mussten ein sehr wachsames Auge auf Velasquita haben, denn als Alejandro endlich heran war, verstummte das Schnarchen Umbrios mit jenem typischen Schnauben, das von seinem Erwachen kündete. Velasquita und Alejandro lächelten sich in stummem Einvernehmen an, berührten sich flüchtig mit den Händen.
„Du hast dir ein ungewöhnliches Reittier ausgesucht“, sagte sie leise und wies auf den Braunen. „Was ist mit deinem schönen Hengst Diavolo? Ist er krank?“
Alejandro blickte kurz zu der kleinen Kapelle und dem noch kleineren Pfarrhaus hinüber. Er war nicht überrascht, den braven Pater am Fenster stehen und freundlich nicken zu sehen. Alejandro winkte ihm einen Gruß zu und wandte sich dann zu Velasquita. „Nein, Diavolo geht es gut. Ich will nicht ausreiten, sondern der armen Frau Marta helfen. Sie will ihr Feld furchen.“
„Jetzt? Zu dieser Jahreszeit?“ Velasquita lachte auf. „Das ist nicht dein Ernst, Alejandro. Die Frühsaat ist längst vorbei und die Spätsaat noch in weiter Ferne.“
„Ich weiß.“ Alejandro zuckte die Schultern und blickte zu den kleinen Häusern am westlichen Rand von Andajoz hinüber. „Ich weiß das ebenso gut wie du, meine geliebte Velasquita. Aber die gute Frau Marta weiß dies nicht. Nicht mehr so genau.“ Er zuckte erneut die Schultern und lächelte dabei entschuldigend. „Du weißt ja, wie sie ist.“
„Ja, ich weiß.“ Velasquita seufzte leise. „Sie ist eine liebe alte Frau, aber schon entsetzlich wirr im Kopf.“
Marta gehörte zu den ältesten Einwohnern von Andajoz und selbst Marta wusste nicht genau zu sagen, wie alt sie überhaupt war. Pater Umbrio hatte einmal behauptet, die gute Marta habe sicher noch persönlich ein paar jener braven Ritter gekannt, welche die Mauren vom heiligen Boden Spaniens vertrieben, aber Velasquita hatte bemerkt, dass er dabei lächelte und sich bekreuzigte, und so nahm sie diese Bemerkung nicht sehr ernst. Aber unbestreitbar war Marta sehr, sehr alt und ebenso unbestreitbar ein wenig wirr im Kopf. An manchen Tagen schien sie völlig normal, an anderen suchte sie nach ihrem braven Mann Alvaro, der doch schon vor so vielen Jahren verstorben war. Sie alle versuchten Marta zu helfen und ertrugen auch ihre merkwürdigen Launen, denn sie war eine wahrhaft gute Seele.
Alejandro hielt den stämmigen Braunen am Zügel und strich über dessen Flanke. „Sie macht sich halt Sorgen um ihr Feld. Meint, es sei an der Zeit, es zu bestellen. Du kennst sie ja.“
„Aye, ich kenne sie“, versicherte Velasquita. „Aber willst du dich deswegen bei dieser Hitze schinden?“
„Du weißt, wie sie sich sorgen würde, wenn man sich nicht um das Feld kümmert.“
Velasquita nickte und ergriff Alejandro´s Hand. „Ich weiß. Dann lass mich dir helfen.“
Der Sohn des Bürgermeisters grinste fröhlich. „Nach ein paar Stunden weiß die gute Marta ohnehin nicht mehr, was wir auf ihrem Acker machen. Dann können wir aufhören.“ Er blickte über den Rücken des Braunen hinweg zum Pfarrhaus und sah Pater Umbrio noch immer am Fenster stehen. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen, Velasquita spielerisch zu zwicken. „Dann können wir uns um den Braunen kümmern und um ein paar andere Dinge.“
„Andere Dinge?“ Sie wusste, was er meinte, ging jedoch auf sein Spiel ein. „Was denn für andere Dinge?“
„Viel angenehmere Dinge“, versicherte Alejandro. „Und viel weichere Dinge, als der harte Ackerboden.“
Er starrte unverhohlen auf Velasquita´s Bluse und sie drohte ihm schelmisch mit dem Finger. „Ich glaube, du solltest dich jetzt wirklich um Marta´s Acker kümmern, Alejandro de Vega. Das wird dich auf christlichere Gedanken bringen.“
Alejandro nahm die Zügel des Braunen etwas fester. „Was ist unchristlich an der Liebe, meine geliebte Velasquita? Hätte Gott etwas gegen die Liebe gehabt, dann hätte Er sie uns nicht geschenkt.“
Velasquita stemmte die Hände in ihre Hüften und sah ihn spöttisch an. „Irgendetwas sagt mir, dass du das anders meinst, als mein guter Pater Umbrio.“
Alejandro´s Lächeln wurde noch breiter, als er seine geliebte Velasquita an seine Seite zog und dem Braunen einen schnalzenden Laut zuwarf. Er verzichtete auf eine Erwiderung und die war auch nicht nötig. Schon oft hatten Velasquita und er sich heimlich getroffen und behutsam begonnen, einander zu erkunden. Für sie beide war dies ein aufregendes und neues Spiel, bei dem ihre Herzen gleichermaßen vor Liebe und Leidenschaft heftig pochten. Dennoch hatte Velasquita sich ihm noch nicht ganz hingegeben und Alejandro verspürte gerade deswegen immer deutlicher, wie sehr er sie begehrte. Aber er bemühte sich, seine Leidenschaft zu bezwingen und Velasquita nicht zu bedrängen.
„Wir sollten das Feld der guten Frau Marta furchen und sehen, dass wir und der Braune bald wieder Ruhe und Schatten finden“, sagte er leise und blickte zu dem kleinen Feld der alten Frau, das sich zwischen dem Friedhof von Andajoz und dem kleinen Bachlauf des Ogodes erstreckte.
Der Boden des Tals von Andajoz war guter Boden. Er war fruchtbar und die Wasser von Ogodes und Alón erlaubten gute Ernten. Die Bewohner hatten ein Bewässerungssystem aus kleinen Furchen angelegt. Wenn es zu heiß und trocken wurde, und der Regen zu lange ausblieb, führte der Ogodes immer noch genug Wasser, um es mit Eimern zu schöpfen und durch die Furchen fließen zu lassen. Sicherlich eine mühselige Arbeit, die man sich hätte ersparen können, wenn man, wie Pater Umbrio geraten hatte, einen verschließbaren Durchbruch geschaffen hätte. Doch den Durchbruch zu graben war Männerarbeit, und das Schöpfen des Wassers die der Frauen, und so blieb es beim Schöpfen.
Am Rand des kleinen Feldes von Marta stand bereits der Pflug, den Gonzo, der Stallbesitzer, am frühen Morgen heraus gebracht hatte. Bis vor einigen Jahren hatte man in Andajoz noch die alten Hakenpflüge benutzt, bei denen sich Mensch und Tier gleichermaßen ins Geschirr warfen, um die eisenverstärkte Pflugschar durch den Boden zu ziehen. Es war eine mühselige Arbeit gewesen, bis Gonzo, nach einem Besuch in Salamanca, den neuen Pflug mitgebracht hatte.
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