Michael Schenk
Velasquita
Mit zarter Hand und langem Messer
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Inhaltsverzeichnis
Titel Michael Schenk Velasquita Mit zarter Hand und langem Messer Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1 Andajoz
Kapitel 2 Der Kampf der Cazadores
Kapitel 3 Der Colonello
Kapitel 4 Das versteckte Tal
Kapitel 5 Von Liebe und Seelenheil
Kapitel 6 Unter Besatzung
Kapitel 7 Das Wunder der Eiche von Andajoz
Kapitel 8 Im Blutrausch
Kapitel 9 Flucht durch die Berge
Kapitel 10 Lord Wellington
Kapitel 11 Der kleine Krieg
Kapitel 12 Im Lager der King´s German Legion
Kapitel 13 Ein heimtückischer Überfall
Kapitel 14 Grausames Vergnügen
Kapitel 15 Das Regimienta de San Cristobal
Kapitel 16 Zurück nach Andajoz
Kapitel 17 Das geheime Dokument
Kapitel 18 Ein heimtückischer Mord
Kapitel 19 Im Angesicht des Todes
Kapitel 20 Dem Tod entkommen
Kapitel 21 Die List des Schlächters
Kapitel 22 Der Bär
Kapitel 23 Ein doppeltes Spiel
Kapitel 24 Delfina und Fradique
Kapitel 25 Der Untergang des Regimienta de San Cristobal
Kapitel 26 Velasquita´s Wiedersehen mit Colonello Mellendez
Kapitel 27 Krieger in der Nacht
Kapitel 28 Angriff auf das Castillo
Kapitel 29 Die Bedingung des Schlächters
Kapitel 30 Der Feind erhält Verstärkung
Kapitel 31 Die Rettung von Helene de Chaumer
Kapitel 32 Der Austausch
Kapitel 33 Velasquita´s Entscheidung
Kapitel 34 In den Fängen des Schlächters
Kapitel 35 Heilen oder töten
Kapitel 36 Männer von Ehre
Kapitel 37 Im Tal des Schlächters
Kapitel 38 Rettungsversuch
Kapitel 39 Das Duell der Messer
Kapitel 40 Auf der Suche
Kapitel 41 Entscheidungskampf
Kapitel 42 Eine Übereinkunft der Ehre
Kapitel 43 Nachwort des Verfassers:
Impressum neobooks
Es war einer jener kleinen Orte, an dem die Zeit und die Menschen meist achtlos vorüber gingen. Das spanische Andajoz lag nahe der Grenze zu Portugal und wurde an zwei Seiten von Wasser begrenzt. Dem eher bescheidenen Bachlauf des Ogodes, der nur einmal im Jahr durch die Schneeschmelze an Größe und Bedeutung gewann, und dem Fluss Alón. Letzterer hatte zur Gründung von Andajoz geführt, denn hier erhob sich eine alte römische Brücke über das Wasser, bewacht von einer kleinen Burg, dem Castillo.
Das war zu jener Zeit gewesen, als die heidnischen Mauren, um 715 nach der Geburt Des Herrn, ihre Invasion des christlichen Abendlandes begannen und große Teile Spaniens eroberten. Die großen Städte Seiner Allerchristlichsten Majestät, des Königs von Spanien, waren in den Händen der Araber gewesen, doch dank Kastilien und den unwirtlichen Bergregionen war es gelungen, die maurischen Heiden letztlich aufzuhalten. Lange Jahre waren große Teile des Landes von den Arabern unterdrückt worden, bis 1070 die Rückeroberung, die Reconquista, begann und es endlich gelang, die Invasoren um 1170 auch aus der gesegneten Stadt Granada zu vertreiben. Nur wenige Kilometer südlich von Andajoz, in der Schlucht der toten Schädel, hatte sich ein kleines christliches Heer mit einer maurischen Übermacht geschlagen. Dank der Hilfe Gottes und seines Abgesandten Santiago war es gelungen, jene Schlucht mit den toten Leibern der Heiden zu füllen. Nur zu gerne hatten die christlichen Ritter an den danach folgenden Kreuzzügen teilgenommen, um die Schändung des Christentums zu rächen. Doch damit versanken Andajoz und das kleine Castillo wieder in die Bedeutungslosigkeit zurück.
Der Friedhof von Andajoz zählte mehr Grabstätten als die Gemeinde lebende Seelen. Nur gelegentlich wurde die beschauliche Ruhe durch kleine Handelskarawanen unterbrochen, die zwischen Portugal und den größeren spanischen Städten unterwegs waren.
Bis das Wunder geschah.
Jenes Zeichen, welches Andajoz seitdem einmal im Jahr aus der Bedeutungslosigkeit riss und zum Mittelpunkt des Glaubens und eines Pilgerstroms werden ließ. Das Wunder war eine Eiche. Die einzige Eiche, die sich auf viele Kilometer im Umkreis befand. Eine Eiche, die selbst ein Wunder bewirkt hatte und sich mitten auf dem Dorfplatz von Andajoz erhob. Vor fast Hundert Jahren hatte eine Jungfrau unter dieser einzigartigen Eiche genächtigt und als sie erwachte, da trug sie die Frucht eines Kindes in sich. Diese Jungfrauengeburt gab vielen Frauen aus dem Umkreis die Hoffnung auf eigene Leibesfrucht. Einmal im Jahr pilgerten sie nach Andajoz, um die Eiche zu berühren und um in der Kapelle des Ortes um Kindersegen für ihre Familie zu bitten. Immer wieder wurde das Wunder bestätigt, denn vielen der Frauen wurde die Gnade der Schwangerschaft gewährt.
Natürlich gab es ketzerische Stimmen die behaupteten, es handele sich um keine Wunder. Das Maultier einer Handelskarawane habe den Samen einer Eiche gefressen und auf natürlichem Wege am Standort der Eiche verloren, und die Jungfrau sei viel zu betrunken gewesen, um den Ursprung der Schwangerschaft bestimmen zu können. Doch das waren ketzerische Lügen ungläubiger Menschen, wie der Priester von Andajoz, Pater Umbrio, immer wieder anführte. Auch die Männer von Andajoz glaubten fest an das Wunder. Einmal im Jahr, wenn die Pilgerinnen kamen, taten sie alles, um den Willen Christi zu erfüllen und möglichst viele der Pilgerinnen mit Leibesfrucht zu segnen.
Das Wunder von Andajoz, die Eiche der Fruchtbarkeit, verschaffte dem kleinen Ort die Möglichkeit eines bescheidenen Wohlstandes und einer gewissen, wenn auch regional begrenzten, Bedeutung. Die Menschen von Andajoz waren zufrieden mit ihrem Leben. Sie interessierten sich nicht für Politik und die Vorgänge im fernen Madrid, wo Seine Allerkatholischste Majestät, Ferdinand VII., residierte.
Doch dann, im Jahre des Herrn 1809, begann sich ein Mann für Andajoz zu interessieren, dem es nicht um die Leibesfrucht seiner Gemahlin ging. Dieser Mann war Napoleon Bonaparte, der Kaiser der Franzosen.
*
Von den Bergen im Westen strich ein sanfter Wind heran und ließ über den Feldern kleine Staubwirbel entstehen, die träge zerfaserten. Der Wind brachte kaum Linderung, weder für Mensch noch Tier, und alles Leben in Andajoz schien sich unter der Hitze zu ducken. Es war Mittagszeit und die Bewohner vermieden es, jetzt in der Sonne zu arbeiten. Eigentlich arbeiteten sie ohnehin nur, wenn dies unbedingt erforderlich war. Nicht, dass sie keine fleißigen Menschen gewesen wären, denn schließlich waren sie gute Christen, aber der Herr hatte sicher Verständnis dafür, wenn man bei diesen Temperaturen sparsam mit seinen Kräften umging. Gegen Abend, wenn die Hitze erträglicher war, würde man genug Zeit finden, das restliche Tagwerk zu verrichten. Selbst den Hühnern, die sonst unentwegt nach ihrem Futter pickten, schien es an diesem Tag zu heiß zu sein. So rührte sich, abgesehen von den kleinen Staubwirbeln über den Feldern, nur wenig in dem kleinen Ort Andajoz. Selbst die junge Frau, die auf der Mauer vor der kleinen Kapelle saß, zeigte nur selten eine Regung.
Das Haar fiel lang und weich über ihre schmalen Schultern und ihr Gesicht wurde von den großen, ausdrucksstarken Augen dominiert. Sie trug einen langen grauen Rock und eine bauschige weiße Bluse, die über dem Ausschnitt mit einer schmalen Quastenschnur geschlossen war. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein junges Mädchen. Auf den Zweiten offenbarte sich die natürliche Schönheit einer heranwachsenden Frau.
Eigentlich war Velasquita noch keine richtige Frau, zumindest, wenn man den Worten ihres Ziehvaters, des braven Pater Umbrio, Glauben schenkte.
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