„Was meinst du?“ Delian zog die Brauen zusammen.
Dáire lehnte sich zurück, öffnete und schloss den Mund. Der Blick des Alten blieb auf ihn geheftet und forderte stumm eine Antwort.
Er seufzte. „Es gibt eine Prophezeiung“, erklärte er halblaut.
„Was für eine?“, hakte Delian nach, beugte sich vor und stützte die Arme auf den Tisch. „Wie lautet sie?“ Der Elf wusste von den Worten, die damals für Königin Sháiné gesprochen worden waren, das hörte man heraus. Doch offensichtlich wollte er es von Dáire hören.
Nach einem weiteren kurzen Zögern wiederholte Dáire, was er von der Prophezeiung selbst kannte. Den genauen Wortlaut wusste nur Sháiné, doch jeder Botschafter bekam die wichtigsten Details.
Delians Blick wurde von Wort zu Wort düsterer. Nachdem Dáire geendet hatte, stellte sich eine lange, unangenehme Stille ein. Dáire wagte kaum, zu atmen, während die Augen des Alten seine festhielten und ihn buchstäblich durchleuchteten.
Schließlich wandte Delian den Blick ab, trank seinen Krug in einem Zug leer und stand auf. „Du findest Layni im Falken in Rabenwacht. Das liegt etwas nördlich von hier. Versuch dein Glück, aber sei nicht zu euphorisch. Wenn du willst, nenne ihr meinen Namen, aber erzähle ihr nicht ein Wort unserer Unterhaltung. Ich schwöre, dass ich dich töten werde, wenn ich es erfahre und ich werde es erfahren. Und um deiner Gesundheit willen, sprich sie mit Lady an.“ Ohne sich zu verabschieden oder ihm eine Erklärung seines Sinneswandels zu geben, ließ Delian ihn allein.
Dáire starrte ihm eine ganze Weile nach und versuchte, zu verstehen, was die Meinung des Alten so plötzlich geändert hatte. Schließlich schüttelte er den Kopf, trank seinen Wein aus und erhob sich ebenfalls. Bis Rabenwacht war es nur ein kurzer Ritt, er würde schon heute Abend dort sein und vielleicht war Lady Layni von Thalsee ja doch nicht so verschlossen, wie Delian behauptete.
3
Layni
„Layni!“ Der Ruf schallte quer durch die überfüllte Schänke und ging fast im Lärm der Masse unter. Trotzdem hörte Layni es und wandte sich in Richtung des Rufers. Olrik hatte das Kinn in die Höhe gereckt, um sich größer zu machen, was bei seiner Körperlänge und der Statur mehr Schau war, als dass es Nutzen hatte. Der Wirt des Falken , der bekanntesten Schänke Rabenwachts, war mit seinen sieben Fuß und den Schultern wie ein Schrank, kaum zu übersehen. Er hob eine Hand, in der er einen Lappen hielt und winkte sie heran.
Layni lächelte und ging zu ihm. „Ich bin noch gar nicht richtig angekommen“, beschwerte sie sich gespielt und ließ sich schwer auf ihren Stammplatz fallen.
Olrik grinste und schob ihr einen großen Krug Met hin. „Ich wollte dich nur willkommen heißen. Schön, dass du wieder zu Hause bist.“ Er streckte den Arm aus und schlug ihr unsanft auf die Schulter. Früher hatte sie diese Geste einknicken lassen und tagelange Schmerzen verursacht, heute setzte Layni zum Gegenschlag an und verpasste Olrik mit einem gezielten Fausthieb einen blauen Fleck am Arm.
„Hast du gedacht, ich versage?“ Sie ließ sich wieder zurücksinken. Sie hatte halb aufstehen müssen, um überhaupt in die Nähe von Olriks Oberarm zu gelangen.
„Das würde ich nie denken“, gab er ihr amüsiert lächelnd zurück.
„Nein. Niemals.“ Layni hob den Krug und trank ihn in einem Zug halb leer. Er knallte zurück auf den Tresen, ihr Blick traf Olriks. „Nur jedes Mal dann, wenn ich aufbreche und einen Tag zu spät zurückkomme. Aber sonst ...“
Der Wirt lachte tief und kehlig. „Ich werde mich eben nie daran gewöhnen, dass das kleine Mädchen, das so gern mit Strohpuppen gespielt hat, jetzt auf Leute eindrischt.“
Layni stimmte in sein Lachen ein. „Ich habe nicht mit den Puppen gespielt, wie ein Mädchen. Ich habe Hexe und Jägerin gespielt und die Hexen haben immer verloren.“ Sie hob den Krug erneut und leerte ihn komplett.
„Das ist wahr. Der Schrecken der braven Maiden am Hof“, hielt Olrik fest. Layni lächelte selbstsicher, denn er hatte vollkommen recht. Sie war nie das typische Mädchen gewesen. Hatte statt Kleidern lieber Hosen getragen und statt nähen zu lernen, wollte sie das Schwert führen. Allerdings hatte es auch niemanden gegeben, der sie nähen hatte lehren wollen oder die Kunst, sich in Gegenwart von anderen höflich zu benehmen.
Layni war im Waisenhaus von Rabenwacht aufgewachsen. Ihr Heimatdorf Thalsee, war von einem Unwetter heimgesucht und überschwemmt worden, als sie gerade drei oder vier Jahre alt gewesen war. Jetzt war das Tal wirklich ein See und alle Häuser Unterwasserruinen.
Laynis Mutter war in den Fluten ertrunken und ihr Vater an einer späteren Seuche gestorben. Viele ehemalige Einwohner von Thalsee waren von den Viren dahingerafft worden. Gelehrte gingen davon aus, dass die Krankheit durch das Wasser von den Bergen herab gespült worden war. Sämtliche Städte rings um Thalsee hatten ähnliche, wenn auch schwächere Einfälle der Krankheit gehabt.
Auch Layni war betroffen gewesen, doch sie hatte überlebt und war nach Rabenwacht gebracht worden, wo Schwester Gesa sie mehr oder weniger großgezogen hatte. Vor acht Jahren war Layni dreizehn geworden und hatte wählen dürfen, im Waisenhaus bleiben oder auf eigenen Beinen stehen. Sie hatte sich für die Freiheit entschieden und war gegangen. Allerdings nie weit weg. Rabenwacht blieb ihr Zuhause.
Anfangs war es schwer gewesen, denn sie hatte so gut wie keine Kenntnisse in frauentypischen Dingen wie Haushalt führen oder Ähnlichem gehabt. Ein paar Leute hatten sie als Magd angestellt, aber recht schnell wieder entlassen, weil Layni keine Hilfe war. Nicht, dass sie sich keine Mühe gegeben hätte. Sie hatte schlicht kein Talent für so was.
Olrik hatte ihr schließlich ein festes Dach über dem Kopf gegeben. Im Gegenzug hatte sie in seiner Schänke ausgeholfen. Auch das war keine Arbeit gewesen, die Layni ihr Leben lang tun wollte, und das Schicksal hatte ihr zugespielt.
Eines Abends war eine Gruppe Söldner in den Falken gekommen und Layni hatte ihre Gespräche belauscht. Ihr hatte gefallen, was die Männer erzählt hatten. Also war sie auf die Gruppe zugegangen und hatte freiheraus darum gebeten, von ihnen ausgebildet zu werden. Die Männer hatten gelacht und sie verspottet, doch mit ihrem frechen Mundwerk hatte sie einen von ihnen überzeugen können.
Delian, damals ein Mann Mitte dreißig, hatte sich erbarmt und sie als Knappe angestellt. Auch diese Arbeit hatte Layni anfangs nur mit Mühe und vielen Fehlern bewältigt. Doch Delian hatte sie nicht aufgegeben und ihr Potenzial erkannt. Sie hatte sich gebessert, war stärker und geschickter geworden und schließlich hatte er ihr auch den Schwertkampf gezeigt. Das war dann die erste Sache gewesen, die sie auf Anhieb beherrscht hatte. Es fiel ihr so leicht, als hätte sie nie etwas anderes getan und schnell hatte sie großen Respekt unter den Söldnern gewonnen.
Es hatte nicht lange gedauert und der erste Auftrag war gekommen, bei dem Delian ihr gestattet hatte, mitzukämpfen. Layni war gerade siebzehn geworden und wollte endlich Lohn als Söldnerin verdienen. Allerdings tat sie das auch gleich mit dem ersten Mann, der ihrer Klinge zum Opfer gefallen war. Dass das Töten zum Beruf eines Söldners gehörte, war ihr bewusst gewesen. Dass es sie so traf, nicht. Sie hatte einige Zeit gebraucht und auch zeitweise gezweifelt, ob es wirklich ihr Berufswunsch war, doch Delian hatte sie aufgebaut und ihr klargemacht, dass es allein an ihr lag.
Als Söldner konnte man wählen, wem man diente. Einige dienten den Reichsten, andere den Ärmsten. Layni entschied sich für die Gerechten. Aufträge, die sie für falsch hielt, lehnte sie ohne Nachfragen ab. So verdiente sie nicht das meiste Geld, doch das war ihr nicht wichtig. Sie tat, was sie gern tat - den Menschen helfen, sie verteidigen, sich nützlich machen und das auf eine möglichst richtige Weise. Heute war Layni einundzwanzig und zog seit zwei Jahren allein durchs Land, denn Delian hatte sich zur Ruhe gesetzt und die Gruppe unter ihm hatte sich aufgelöst.
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