1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Mein liebes Mädel, es ist schon wieder sehr spät. Sei in Liebe geküsst von Deinem Ernst-Günther
Der Neid, o Kind, zählt unsere Küsse,
drum küss’ geschwind eintausend Küsse.
Geschwind du mich, geschwind ich dich,
geschwind, geschwind, o Mädchen küsse
manch tausend Küsse,
auf dass er sich verzählen müsse!
Gotthold Ephraim Lessing
Hamburg, den 21. 9. 56 (Ansichtskarte)
Meine liebe Karin, zum Wochenende wieder einen herzlichen Gruß mit einem Hamburger Bild. ... Jetzt sind es nur noch zwei Wochen, bis ich zu Dir komme. Ich fange schon wieder an, die Tage zu zählen. Von Montag an werde ich noch in einem neuen Kraftwerk arbeiten, um auch hier einiges zu sehen. Das wird interessant. Herzliche Grüße an Dich, meine Liebe, Dein Ernst-Günther
St. Andreasberg, den 23. 9. 56 (nach Hamburg)
Mein lieber Ernst-Günther! Hab herzlichen Dank für Brief und Karte. Dein Brief war schon am Freitag angekommen. Ich hatte nur den Koffer abgestellt und ihn noch im Mantel gelesen. Meine Mutter saß daneben und fragte ganz ängstlich, ob der Brief sehr dringend sei. Ein wenig verzog sich mein Mund ja doch, als ich von Nuddles Erlebnis las, und ich musste dabei so an meine Schulzeit denken, da hatten wir ähnliche Fälle. ... Ich glaube, wenn dieses Mädchen ihre heimliche Liebe noch nicht allzu lange mit sich herum trägt, wird sie den Schmerz bald überwinden. Ich habe für sie volles Verständnis, denn ich glaube, mit diesen ersten Liebesgefühlen hat wohl jedes junge Mädchen zu kämpfen. Die eine frisst es in sich hinein und lässt sich nichts anmerken, aus der anderen bricht es heraus. ... Die Ratschläge, die Du Nuddle gegeben hast, würde ich für richtig halten. Er sollte ihr bei der nächsten Gelegenheit in der Art begegnen und das Vertrauen wieder herstellen, das einst zwischen ihnen war, damit sie ihm nicht jedes Mal mit einem bedrückten Gefühl entgegensehen muss. ...
Meine Eltern fanden Deine Bilder von Hamburg sehr schön und ich konnte ihnen gut erklären, wo dies und jenes liegt und wo wir waren. Das Mädchen auf den Passbildern fanden sie auch sehr nett, nur meinte meine Mutter, das kann vielleicht die Karin sein, aber Roswitha ist das nicht. Soll ich mich lieber noch mal fotografieren lassen oder siehst Du mich als Karin darauf? ... Lieber Ernst-Günther sei recht herzlich gegrüßt und geküsst, Deine Karin
Besonderen Dank für Dein Gedichtchen.
Hamburg, den 26. 9. 56
Meine liebe Karin, herzlichen Dank für Deinen Brief. Große Freude! Mein Brief war auch so berechnet, dass er Dich bei Deiner Ankunft gleich grüßen sollte, trotzdem brauchtest Du ihn nicht in Hut und Mantel zu lesen. Wenn von Dir Post da ist, ziehe ich mich erst aus und setze mich in einen Sessel, um so richtig mit Genuss lesen zu können. Wenn ich zweimal gelesen habe, stecke ich ihn weg und lese dann nach einer Weile noch ein- bis zweimal.
Von Nuddle habe ich nichts wieder gehört. Jedenfalls freue ich mich, dass Du als Mädchen die Gedanken gut heißt, die ich ihm sagte. Was Du schriebst, hatte ich noch gar nicht überlegt, dass Klarheit notwendig ist, wenn die beiden sich irgendwo sehen.
Meine Meinung zu dem Mädchen auf dem Bild habe ich Dir ja schon geschrieben. Es ist für mich die Karin, das Wesen, das ich von ganzem Herzen liebe, während Roswitha eine Jugendleiterin in St. Andreasberg ist. Von „Karin“ habe ich eine Vergrößerung machen lassen, die immer auf meinem Schreibtisch stehen wird und das zeigt, was auf dem kleinen Bild nur zu ahnen ist. ...
Seit Montag arbeite ich im neuen Hochdruckteil des Kraftwerks Neuhof. Es liegt im Hafen und ich muss, da die Arbeit um 7 Uhr beginnt, schon um 5 Uhr aufstehen. Das ist bitter, aber ich hatte ja darum gebeten, noch für einige Zeit in ein Werk zu kommen. ...
Als ich den Chef darum bat, machte er mir ein gutes Angebot: Ich soll im März bei den HEW anfangen, zunächst noch einmal in der Konstruktion, und dann Bauleiter werden. Das ist ein Gebiet, für das ich schon immer zu haben war, denn es ist vielseitig, bringt jeden Tag etwas Neues, stetigen Kontakt mit den Arbeitern und fordert oft rasche Entscheidungen. Ich habe mir meine Freude nicht anmerken lassen und erbat Bedenkzeit, sie wurde bis Weihnachten gewährt. Die Bezahlung liegt in den ersten Monaten bei 480,- Mark, dann geht es auf 550 bis 600,- Mark. Davon lässt sich leben. ...
Zur Begutachtung Deines Berichtes aus Gelnhausen reicht das Blatt nicht mehr, mein Block ist nämlich alle. Deshalb sei herzlich gegrüßt und geküsst, auch von meiner Tante (nur gegrüßt),
Dein Ernst-Günther
Du bist wie eine Lilie, so hold und schön und rein;
ich schau dich an und Wehmut schleicht mir ins Herz hinein.
Mir ist, als ob die Hände ich aufs Haupt dir legen sollt’,
betend, dass Gott dich erhalte so rein und schön und hold.
Dann weiß ich ganz gewiss, du stehst in höchster Hut;
nie kannst du anders werden, als schön und rein und mir gut.
Heinrich Heine
Am Stocksee, den 29. 9. 56 (Ansichtskarte)
Meine liebe Karin, aus dem letzten Dorf vor dem Stocksee sende ich Dir noch einen Gruß zum Wochenende. Ich habe noch vier Kilometer zu tippeln, ehe ich am Ziel bin. Das ist ganz gesund. ...
Jetzt sind es nur noch sechs Tage, bis ich bei Dir bin. Bis dahin herzlichen Gruß, Dein Ernst-Günther
St. Andreasberg, den 30. 9. 56 (nach Hamburg)
Mein lieber Ernst-Günther! Hab recht herzlichen Dank für Deinen lieben Brief und Gedichtchen. Meine Mutter rief „Karin“, als sie mir den Brief brachte und ich fühlte mich gar nicht angesprochen. ...
Ach, Ernst-Günther, ich freue mich schon riesig, wenn Du wieder hier bist, in fünf Tagen. Natürlich hole ich Dich ab. – Ich habe mir erst mal von meinem Vater die Zusammenhänge in einem Hochdruckkraftwerk erklären lassen, wie viel atü und Grad Dampf dort herrschen. Er hat uns auch Deine Tätigkeit als Bauleiter erklärt. ...
Ich denke schon die ganze Zeit an den Stocksee (ich weiß gar nicht, wo der liegt), an dem Ihr CPer jetzt zusammen sitzt und Eure Gedanken austauscht. Ich kann mir gut vorstellen, dass es Dir Spaß macht. ... Ich habe mir übrigens in Gelnhausen einiges erzählen lassen über den EMP. Wir müssen darüber einmal sprechen. ...
Nun sei recht herzlich gegrüßt und innigst geküsst von
Deiner Karin
Hamburg, den 2. 10. 56
Geliebtes Mädel, hab Dank für Deinen Brief. Er war so richtig geeignet, mich wieder aufzumöbeln, denn ich kam heute ziemlich zerschlagen nach Hause. Nachdem ich mich Samstag und gestern intensiv im Betrieb des alten Mitteldruckteils umgesehen habe, bin ich seit heute in der Montageleitung. Da ging es ziemlich rund. Ich fuhr mit einem jüngeren Bauleiter quer durch Hamburg, erst wieder nach Neuhof, wo die letzte Turbine mit einer Vielzahl von Versuchen auf den neuen Kommandoraum umgeschaltet wurde, dann ging es bis 16:30 noch zu einer Reihe anderer Baustellen. So geht es in den nächsten Tagen weiter, ein kleiner Einblick in meine spätere Tätigkeit als Bauleiter. Aber solchen Posten wünsche ich mir ja. Das waren die Eindrücke der letzten Tage, die ich mir erst mal von der Seele schreiben musste. ...
Der Stocksee liegt zwischen Plön und Bad Segeberg. Es war ein Führerlager des Gaues Förde. Ich kenne Siegfried Keil, den Gauführer gut, er ist einer unserer fähigsten Jungenführer und übernimmt bald die Führung der ganzen Landesmark Schleswig-Holstein. Ich habe nachts lange mit ihm gesprochen, er war verlobt und sein Mädel ist im vorigen Sommer verunglückt. Da war es ihm ein Trost, dass ich ihm von Dietlind und Dir erzählen konnte, dass ein Neues möglich ist, auch wenn man den anderen Menschen noch so sehr geliebt hat.
Seit langer Zeit wachte ich wieder nachts am Kohtenfeuer über die schlafenden Kameraden. Das sind unvergessliche Stunden, in denen man viele Gedanken denkt. Die besten unserer Fahrtenlieder sind in solchen Nächten entstanden. Doch ich wusste, dass das nun für lange Zeit das letzte Mal sein wird. Jetzt ist das Studium wichtig, und wie viel Zeit mir später bleibt, wer weiß es?
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