Ich wünsche Dir weiter, dass in Deinem weiteren Leben eine gute Portion Freude neben all dem Schweren vorhanden ist, das es auf jeden Fall gibt. Möge es so viel Freude sein, dass Du immer noch anderen abgeben und sie dadurch ebenfalls froh machen kannst.
Alsdann wünsche ich Dir Erkenntnis Gottes und seines Willens, wie auch seiner Christusbotschaft. Ich schreibe das nicht, weil ich mir darüber schon völlig klar wäre, sondern weil jeder von uns diese Erkenntnis bitter nötig hat. Das spüre ich ja am eigenen Leibe, dieses verzweifelte Suchen und nur stückweise Finden.
Aber der wichtigste Wunsch ist Liebe. Einmal, dass Dir immer viel Liebe gegeben wird, wie sie jeder Mensch zum Leben braucht. Ich hoffe, dass der Hauptanteil hier von mir kommen wird. Zum anderen aber, dass auch Du immer noch mehr die Fähigkeit gewinnst, Liebe auszustrahlen. Denn Menschen, die das können, gibt es sehr wenige, aber sie werden so dringend gebraucht. „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und hätte der Liebe nicht!“
Es gibt noch viel zu wünschen, ich will nur noch einen Wunsch aussprechen, der überdies reichlich egoistisch ist: dass wir beide uns immer näher kommen und uns gegenseitig höher führen, dass stets Ehrlichkeit und Vertrauen zwischen uns selbstverständlich ist und dass Liebe und Treue ständig nur größer und weiter werden. Dabei möchte ich Dich an die Cassiopeia erinnern, das große „Wir“, auf das unsere beiden „Ich’s“ zusteuern. Und wenn wir jetzt noch warten müssen, so steht doch dieses „Wir“ als Ziel vor jedem von uns, das täglich näher rückt. Es rückt genau so näher, wie die Stunden des Wiedersehens und des Abschieds näher rücken. So sehen wir uns schon am Ende dieser Woche wieder, und die drei Wochen, die dazwischen lagen, sind wie im Fluge vergangen. Nun wollen wir sehen, dass diese Tage wieder schön werden und wir sie recht nutzen.
Leider bekomme ich wieder keinen Wagen, so dass ich bis Helmstedt trampe und Freitag Nachmittag oder Abend bei Dir bin. Ich muss dann auch schon am Sonntagmittag wieder los wie vor drei Wochen. Das soll uns aber nicht stören, wir können auch zu Fuß froh miteinander sein. – Sei noch recht herzlich bedankt für Deinen lieben Brief. Ich werde ihn mündlich beantworten. Und nun, geliebtes Mädel, sei von Herzen gegrüßt und in Liebe geküsst – in ein paar Tagen nicht mehr nur brieflich – von Deinem Ernst-Günther
Menschenseele, Menschenliebe, Spielgenossen, selig Paar,
werdet je des alten Spiels ihr müde werden? Nimmerdar!
Ob Jahrtausend nach Jahrtausend durch die Welten wandeln mag,
immer wo die Liebe aufbricht, ist der erste Schöpfungstag!
Ernst von Wildenbruch
St. Andreasberg, den 22. 10. 56
Mein lieber Ernst-Günther! Hab‘ recht herzlichen Dank für Deinen lieben Brief und die süßen Erdbeeren. Ich wollte Dir gestern schon antworten, aber es klappte nicht. Wenn ich auch nicht immer schreiben kann, in Gedanken bin ich doch fast immer bei Dir. Dass Du am vorletzten Sonntag tanzen warst, daran hatte ich natürlich nicht im geringsten gedacht. Es hat Dir hoffentlich gefallen, obwohl Du erst keine Lust hattest. Zu der Zeit bin ich bei uns im Regen spazieren gegangen, das tat mir sehr gut. ... schön, dass Du noch Fortschrittsunterricht nimmst. Wenn es das hier gäbe, würde ich auch mit machen. Jedenfalls bist Du in ein paar Tagen wieder hier, darauf freue ich mich schon die ganze Zeit. ... Jetzt werde ich erst mal aufhören zu schreiben, mein Papier ist alle. Das habe ich erst gemerkt, als ich zu schreiben anfing. Die Tinte ist auch alle. Tolles Geschmiere, entschuldige bitte.
Sei nun herzlich gegrüßt und geküsst bis Freitag von
Deiner Karin
Erinnerung: 26. – 28. 10. 56 im Harz
Unsere Liebe ist reifer und wärmer geworden aus der Sicherheit heraus, dass der andere unbedingt für einen da ist. Trotzdem versichern wir uns immer wieder, wie sehr wir uns lieben, wenn wir nicht gerade die Lippen aufeinander drücken und die Zungen abwechselnd in unseren Mündern spielen lassen. Immer wieder muss ich dich dabei anschauen, so schön ist dein edles Gesicht mit diesem beseligten Schimmer der Liebe und des Glücks. In diesen Augenblicken gibt es doch Glück, auch bei mir!
Neben langen Streifzügen durch den Wald feiern wir deinen Geburtstag nach. Am Abend zeige ich dir die Cassiopeia, unser großes „Wir“. Unter fortwährenden Küssen annektieren wir dieses Symbol für unser gemeinsames Leben. Es wird auch unsere Ringe zieren. Wir vereinbaren unsere Verlobungsfeier für die Jahreswende bei euch in St. Andreasberg. Über Weihnachten werde ich bei Tante Friedel sein und dann noch vor Silvester zu euch kommen.
Als ich dir sage, dass ich bei deinen Eltern schriftlich um deine Hand anhalten werde, bekomme ich dein klingendes Lachen zu hören, das ich so liebe. Ich bin ja sonst nicht für Konventionen dieser Art, aber ich glaube, deine Eltern werden sich darüber freuen.
Immer noch lachend erzählst du mir, dass du dir eigentlich geschworen hattest, nie einen Ingenieur zu heiraten, weil dein Vater, der ja auch diesen Beruf hat, in der schlechten Zeit in eurem Zimmer Radios reparierte und zum Abstimmen der Sender immer wieder die Rückkopplung pfeifen lassen musste. Ich bin richtig stolz, dass du meinetwegen diesen Vorsatz aufgegeben hast.
Wieder gehen wir am Sonntag zum Gottesdienst und anschließenden Abendmahl. Diese Gemeinschaft im Glauben ist uns inzwischen wertvoll geworden. Es ist gut zu wissen, dass jeder von uns für den anderen betet. Und wieder müssen wir uns schon gleich nach dem Mittag voneinander losreißen, schweren Herzens, aber auch froh im Bewusstsein, zu lieben und geliebt zu werden.
Berlin, den 29. 10. 56 W
Geliebtes Mädel, jetzt bin ich schon 24 Stunden zu Hause und ersaufe im Wust der Arbeit. Da ich aber schon übersehen kann, dass ich nicht alles schaffe, kann ich Dir getrost zwischendurch schreiben. Wenn doch dieses Semester erst vorbei ist! ...
Karin, es war wieder wunderschön bei Dir. Ich habe auf der ganzen Rückfahrt an Dich gedacht. Aber alle Gedanken münden letztlich immer wieder in den gefalteten Händen: Dank und Bitte. Dank für alles Schöne, Bitte für Dich und für uns beide. Und das Wissen, dass Du genau so für mich die Hände faltest, ist eine große Hilfe in dem, was täglich auf mich einstürmt. Allerdings gehört zu allen Bitten immer das „Dein Wille geschehe!“, natürlich aus dem Vertrauen heraus, dass dieser Wille doch das Beste ist, was geschehen kann, wenn es uns auch seltsam oder hart erscheint. Es ist doch so, dass man jeden Augenblick damit rechnen muss, hier abgerufen zu werden oder einen geliebten Menschen zu verlieren. Deshalb hat man einerseits die Pflicht, seine persönlichen (auch gewissensmäßigen) Angelegenheiten immer völlig in Ordnung zu halten – und das hat nichts mit den „Grillen“ zu tun – und zum anderen muss man darauf vorbereitet sein, plötzlich allein in der Welt zu stehen. Du weißt, ich habe das schon erlebt. Gerade daher habe ich diese Einstellung zum Tode gewonnen, der nicht grausam zuschlägt (wenn das auch der erste Anschein ist), sondern aus Gottes gutem Plan heraus seinen Auftrag erfüllt. Ich sagte einmal zu Dir, wenn mir etwas zustoße, solltest Du daran nicht zu Grunde gehen. ... Ich bitte Dich, dann mit allen Kräften an den Aufgaben des Lebens zu bleiben. Sei es der ... Dienst an anderen, sei es später die Erziehung der Kinder, es gibt immer genug zu tun, wodurch zum Trübsal blasen keine Zeit und zum Hadern keine Veranlassung ist. Das musst Du mir versprechen.
... Nuddle fragte mich heute, ob das Ablehnen jedes anderen Kontaktes bei einer bestehenden Freundschaft nicht eine Vogel-Strauß-Politik sei aus Angst, von einem stärkeren Eindruck überwältigt zu werden. Sein Mädchen hatte dies Thema angeschnitten. Ich widersprach zunächst dem „Ablehnen jedes anderen Kontaktes“. Man soll sich ruhig freuen, dass es noch andere nette Menschen gibt, und bis zu einer gewissen Grenze Kontakte eingehen. ...
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