Lieber Ernst-Günther, während Du in Kassel warst, saßen wir Gruppenleiter bei unserem Pfarrer und seiner Frau gemütlich beisammen. Es war sehr nett. Wir sprachen über viele Dinge und hatten eine kleine Abwechslung in unserem geistigen Bereich. ...
Mein lieber Ernst-Günther, sei für heute recht lieb gegrüßt und geküsst, Deine Karin
Berlin, den 15. 11. 56 W
Meine liebe Karin, hab herzlichen Dank für Deinen Brief. Ich will heute noch schreiben, damit Du über Sonntag nicht ohne Nachricht von mir bist. Sonst bin ich heute völlig fertig, denn wir hatten von
8 bis 15 Uhr einen Versuch im Elektrolabor. ...
Wenn Du die Korrespondenz zwischen Deinen Eltern und mir gelesen hast, brauche ich Dir die Antwort ja nicht mehr mitzuteilen. Ich bin dann jedenfalls dafür, als Verlobte ins neue Jahr zu gehen, d. h. am Silvester in einer ganz kleinen Feier die Ringe zu tauschen.
...Ich finde es gut, dass Du in eine große Stadt willst. Wenn Du mit dem Gedanken spielst, nach Hamburg zu kommen, ist auch alles in Ordnung. Es wäre ja ein bissel bequemer für uns, wenn nicht auf ewig 300 km zwischen uns lägen. Aber das hat ja noch Zeit. ...
Die Fahrt nach Kassel hat gut geklappt. Montag früh um 4:30 war ich zu Hause und musste um 6 Uhr für die Schule wieder aufstehen. ... Ich hatte eines der wesentlichen Referate zu halten über das Verhältnis zwischen Gruppe, Stamm und der größeren Gliederung des Gaues. Ich freue mich immer wieder, mit dem, was ich in meinem Stamm erprobt habe, auch anderen Hinweise geben zu können.
Hier ist die politische Spannung vorbei und die Radaublätter bringen wieder Mord und Totschlag auf der ersten Seite. Trotzdem wollen wir das Geschehene als Lehre betrachten. ... Wir sind ja nur haarscharf an einem furchtbaren, vernichtenden Krieg vorbeigekommen. Wir wollen versuchen, zu begreifen und auch anderen klar zu machen: Es gibt keine Sicherheit, die materiell begründet wäre. Geld, ein Haus, die Existenz, die Gesundheit, geliebte Menschen, alles kann morgen dahin sein. Es gibt nur eine Gewissheit, das ist Gottes Wirken in der Welt und die Zukunft seines Reiches.
Ich habe mich gefreut, als Du vom Basteln schriebst. Ich freue mich über alles, das angetan ist, die Eintönigkeit Deiner Beschäftigung dort zu brechen. Und da ich ja auch etwas praktisch veranlagt bin, freue ich mich über Bastelarbeiten am meisten. Ich glaube, damit kannst Du auch die Mädchen in Deinem Kreis begeistern. ...
So, nun ist es schon wieder spät, ich grüße Dich von Herzen und sende Dir viele Küsse, Dein Ernst-Günther
Berlin, den 17. 11. 56 (Ansichtskarte) W
Meine liebe Karin, nun ist schon wieder ein Wochenende da und in 14 Tagen sehen wir uns wieder. Hoffentlich klappt es bei Dir mit dem Auto, sonst hole ich Dich Freitag Abend von Braunschweig ab. Heute Nachmittag gehe ich ins Theater: „Das Tagebuch der Anne Frank“. Ich habe das Buch gelesen, erschütternde Aufzeichnungen eines 13 – 15-jährigen jüdischen Mädchens, das mit der ganzen Familie zwei Jahre in Holland vor der Gestapo versteckt lebt. ...
Herzlichen Gruß und Kuss, Dein Ernst-Günther
St. Andreasberg, den 20. 11. 56 W
Mein lieber Ernst-Günther! Recht herzlichen Dank für Deinen lieben Brief und Deine Karte, die ich gestern erhielt. Wenn ich komme, und das ist ja schon in 1½ Wochen, werde ich mir mal Dein Zimmer ansehen. (Du brauchst aber nicht erst gründlich aufzuräumen, ich bin allerhand gewohnt.) ... Sonntag war ich im Kino: „Vor Sonnenuntergang“. Ein reicher Fabrikbesitzer, dessen Frau gestorben ist, will mit dem Leben Schluss machen, weil er mit seinen Kindern nicht mehr klar kommt, die nur sein Geld sehen und sich sonst entfremdet haben. Da stößt er auf eine Sekretärin, die ihn ermutigt, wieder aufzusehen und völlig selbstlos daran arbeitet. Daraus entsteht eine Liebe zwischen beiden, worauf die Kinder ihn entmündigen lassen wollen. Bei einem Anfall von Erregung stirbt er. ...
Lieber Ernst-Günther, ich schreibe Dir bald genau, wann ich komme. Wenn Du wüsstest, wie ich mich freue. Du auch?
Mein lieber Ernst-Günther, sei von Herzen gegrüßt und geküsst von Deiner Karin
St. Andreasberg, den 23. 11. 56 (Ansichtskarte) W
Mein lieber Ernst-Günther! Noch schnell einen Gruß von mir zum Wochenende. In einer Woche ist es dann so weit. Ich komme am Samstag gegen 11 Uhr in Zehlendorf an, um 6 Uhr fahren wir hier los. Ich freue mich schon riesig. Du sicher auch, ja?
Lieber Ernst-Günther, sei von Herzen gegrüßt von Deiner Karin
Zwei von Deinen Geburtstagsnelken sind noch ganz frisch.
Berlin, den 24. 11. 56 W
Meine liebe Karin, hab herzlichen Dank für Deinen Brief, auf den ich schon sehnsüchtig gewartet habe. ... Das Theaterstück am vorigen Sonntag war erschütternd. Es stellt in noch viel stärkerem Maße als das Buch das Leid und die Probleme dieser beiden versteckten jüdischen Familien dar, aber auch die inneren Schwierigkeiten des 13- bis 15-jährigen Mädchens, um deren Tagebuch es sich bei dem ganzen handelt. Es ist ein Stück, das jeder Deutsche gesehen haben muss, damit solche Dinge, wie sie in jenen zwölf Jahren geschahen, nie wieder vorkommen können. Es ist unermesslich, was wir als Volk für eine Schuld auf uns geladen haben. Das Stück war auch schauspielerisch eine Glanzleistung, so gespielt, dass man die Schauspieler völlig vergaß. ... Geliebtes Mädel, sei für heute herzlich gegrüßt und geküsst von Deinem Ernst-Günther
St. Andreasberg, den 26. 11. 56 W
Mein lieber Ernst-Günther! Hab‘ recht herzlichen Dank für Deinen Brief. Du Ärmster musst ja sehr überlastet sein, dass Du schon nachts Deine Schulaufgaben erledigst. Ich glaube, dass Du in Deinem Leben wenig zur Ruhe kommen wirst, denn später bist Du im Beruf noch mehr eingespannt als jetzt während des Studiums, und nach Dienstschluss beginnt dann das Privatleben, das auch wieder in zwei Gruppen eingeteilt wird. Nun, ich werde mein bestes dazu tun, um Dir tatkräftig zur Seite zu stehen. ...
Am besten fahre ich direkt zu meiner Tante. Um 11:30 treffen wir uns bei Bringfrieds Eltern. Wir müssen sehen, dass wir dann gleich los kommen, damit uns nicht so viel Zeit verloren geht.
So, lieber Ernst- Günther, für heute werde ich schließen, ich muss noch eine Erkältung auskurieren. Sei nun von Herzen gegrüßt, mein Lieber und ebenso von Herzen geküsst von Deiner Karin
Erinnerung: 1. – 2. 12. 56 in Berlin
Die Begrüßungsküsse können wir mit unserer ganzen Leidenschaft erst in meinem Zimmer austauschen. Vorher machen wir in Zehlendorf Mitte Halt, das du unbedingt wiedersehen willst, und besuchen deine alte Chefin. Sie freut sich, dich wieder zu sehen.
Leider muss ich dich nach einigen Besuchen am Abend bei deiner Tante abgeben. Als Bettlektüre schenke ich dir den „Südkurier“ von St. Exupery. Ich würde dir viel lieber sein schönstes Buch, den „Kleinen Prinz“ geben, das ich Dietlind kurz vor ihrem Tode geschenkt und von ihrer Mutter zurück erbeten habe. Aber aus einer dunklen Angst heraus wage ich das nicht. Du kannst es bei mir lesen.
Wir streifen durch den Grunewald, gehen am Sonntag in die Kirche und sprechen über unsere gemeinsame Zukunft, die wir ganz klar vor uns sehen: mein Examen im Frühjahr, ich ziehe nach Hamburg und arbeite bei den HEW, du kommst bald nach, wir suchen uns eine Wohnung, spätestens Ende des Jahres heiraten wir.
Nachdem wir bei mir zu Hause Abendbrot gegessen haben, ist es nach vielen heißen Abschiedsküssen schon wieder Zeit, dich zu deiner Tante bringen, wo du nachts um 4 Uhr abgeholt werden sollst. Doch ich habe gespürt, dass auch dieses kurze Treffen unsere Gemeinschaft für dich ebenso wie für mich wieder ein Stück enger gemacht hat. Hab Dank, Geliebte!
St. Andreasberg, den 4. 12. 56 (Ansichtskarte) W
Mein lieber Ernst-Günther! Heute nur eine kurze Nachricht. Ich bin gestern mit Verspätung um 11:30 angekommen, da der Harz taut, war todmüde, habe noch nicht ausgeschlafen, bin mit meinen Gedanken mehr in Berlin als hier. Es war auch zu schön, aber sehr konzentriert. Für die Dauer wohl kaum zu ertragen. Ich schreibe morgen ausführlicher. Den Südkurier habe ich schon angefangen.
Читать дальше