1 ...8 9 10 12 13 14 ...31 Huxley hatte die Nacht im Camino Real Hotel in El Paso verbracht. Zuvor war er nach Fabens zum Abendessen gefahren, das etwa dreißig Kilometer südlich der Stadt lag. Die Cattleman’s Ranch servierte dort seit vielen Jahren eines der besten Steaks von ganz Nordamerika. Jedes Mal, wenn eine Reise Henry Huxley auch nur fünfhundert Meilen an El Paso heranführte, machte er diesen Abstecher zur Working Ranch mit ihrem riesigen Restaurant. Dort gönnte er sich stets den Cowboy , ein rund ein Kilogramm schweres T-Bon Steak, zusammen mit einer Baked Potato und begleitet von zwei bis drei Margheritas.
Michael Stern vom People Magazin hatte das T-Bone der Cattleman’s Ranch vor Jahren zum besten Steak der USA gekürt. Und das konnte durchaus stimmen, denn selbst sein dünner Fettstreifen entlang des butterweichen Fleisches war eine Delikatesse, zart, rauchig und voller Geschmack.
Am späteren Vormittag wollte sich Huxley in Juárez mit einem alten Freund treffen, der seit vielen Jahren dort lebte, die hiesigen Verhältnisse bestens kannte und seinen Daumen ständig am Puls der Stadt hielt.
Der lange Leidensweg der fünftgrößten Stadt von Mexiko begann vor fünfzehn Jahren. Innerhalb weniger Jahre fand man mehr als dreihundert weibliche Leichen in und um Juárez herum. Weitere vierhundert Frauen wurden zusätzlich vermisst und nie gefunden. Wer die Frauen entführt hatte und warum man sie ermordete, blieb ungeklärt.
Wenige Jahre später begann aber ein unerbittlicher Drogenkrieg an der Grenze zu den USA zu toben. Er fraß sich wie ein Krebsgeschwür in sämtliche Straßen und Gassen der Stadt hinein, machte auch vor Morden an Politikern, Journalisten oder der Polizei nicht halt. Die Verlockung, durch die Kontrolle eines wichtigen Zollübergangs in die Vereinigten Staaten mit organisiertem Drogen- und Waffenschmuggel viele Milliarden an Dollar jedes Jahr zu generieren, war in diesem Drittweltland ganz einfach zu verlockend. Doch das gerade in letzter Zeit entstandene Ausmaß an Kriminalität in und um Juárez konnte im Grund genommen nur eines bedeuten: Hier mussten mexikanische und amerikanische Behörden ganz besonders kräftig im Drogengeschäft mitmischen und mitverdienen. Juárez erschien Henry Huxley darum der perfekte Ort, um die Spur des Drogengeldes an seiner Entstehung aufzunehmen und zu verfolgen.
Der Brite passierte den mexikanischen Zoll am Ende der Brücke. Ein Beamter in schlecht geschnittener Uniform saß auf einem einfachen Holzstuhl hinter einem alten, weißen Tisch mit abblätterndem Lack und porkelte mit der Spitze seines Zeigefingers im rechten Ohr. Aus übernächtigten, roten Augen betrachtete er den hochaufgeschossenen Besucher aus El Paso, zeigte jedoch keinerlei Interesse an ihm oder den anderen Touristen von der anderen Seite des Rio Grande. Ausweise wurden auf der mexikanischen Seite der Grenzbrücke äußerst selten verlangt. Der Unterschied zur Zollstation der US-Behörden am linken Flussufer konnte kaum größer sein. Hier warteten in der Regel mehr als ein Dutzend Beamte auf eine Flut von Einreisewilligen. Jeder Ausweis wurde genau kontrolliert, viele davon elektronisch überprüft, sämtliches Handgepäck durchsucht, mit Drogen- und Sprengstoffhunden zudem Autos und Busse umrundet und mit Spiegeln alle Fahrzeugböden von unten abgesucht.
Henry schlenderte zusammen mit einigen Tagestouristen die Straße in Richtung Zentrum hinunter. Vor einhundert Jahren musste dies eine prachtvolle Einkaufsgegend gewesen sein. Alte Porzellankacheln pflasterten an manchen Stellen immer noch den Gehweg oder die Hausmauern und zeugten von einer goldenen Zeit. Doch seitdem folgten viele Jahrzehnte des wirtschaftlichen Niedergangs, unterbrochen durch einzelne, nur kurze Zeit aufflackernde Aufschwüngen, zu wenige und zu schwache, um die ehemalige Substanz der Stadt zu erhalten und den Abstieg zu einem billig Eldorado amerikanischer Schnäppchenjäger aufzuhalten.
Manuel Rodrigez erwartete Huxley in seinem kleinen Café, das an der Ecke zur Tlaxcala lag. Henry drückte die nur angelehnte Eingangstüre auf. Ein helles Klingeln kündigte den Wirtsleuten den neuen Besucher an und Manuel Rodrigez kam mit einem fragenden Gesichtsausdruck auch schon um die schmale Theke herum, seine feuchten Hände an einer vor den Bauch gebundenen Küchenschürze abwischend. Er erkannte im Gegenlicht der Straße seinen alten Bekannten erst nach zwei Sekunden. Doch dann begann sein eckiges Gesicht mit der mächtigen Kinnlade sogleich zu strahlen.
»Buenos Dias, alter Freund«, der Mexikaner ergriff Henrys ausgestreckte Hand und schüttelte sie überschwänglich, zog ihn näher zu sich heran und umarmte ihn herzlich, »wie lange ist es her? Vier Jahre, oder gar fünf?«
Auch Henrys Augen blickten seinen Mitstreiter vergangener Tage herzlich und freudestrahlend an: »Es sind fast sechs, Manuel, doch du scheinst kein bisschen älter geworden zu sein. Wie geht es Maria?«
Die Augen des Mexikaners verschleierten sich augenblicklich und sein Gesicht trübte sich schmerzlich.
»Sie ist letztes Jahr gestorben. Brustkrebs.«
Henry war betroffen.
»Das tut mir so leid, mein alter Freund. Ich habe Maria immer sehr geschätzt und gemocht. Sie war dir eine gute Frau und eine echte Partnerin.«
Henry umarmte den Mexikaner noch einmal herzlich, diesmal noch länger als zuvor. Er drückte ihn an sich und verharrte, ließ ihn seine Anteilnahme auch körperlich spüren. Als er ihn losließ, hatte Manuel feuchte Augen, die er sich rasch mit den Handrücken auswischte. Ein verlegenes Lächeln erschien in seinem traurig lächelnden Gesicht.
»Danke, Henry.«
Sie setzten sich an einen der kleinen, quadratischen Tische mit ihren rot-weiß gemusterten, hübschen, sauberen Decken. Auch nach ihrem Tod war die Hand der quirligen Mexikanerin im ganzen Café noch zu spüren, diesen eigenwilligen Charme, eine Mischung zwischen Gemütlichkeit und Sauberkeit, wie sie nur eine warmherzige Frau herbeizaubern kann.
Die beiden Männer waren an diesem späten Morgen allein im Lokal. Nur eine Hilfskraft werkelte in der kleinen Küche hinter der schmalen Theke herum, bereitete wohl Speisen für die Mittagszeit zu, wie Henry durch die offenstehende Tür erkannte.
»Erzähl, mein alter Freund, was führt dich wieder einmal nach Juárez?«
Huxley vertraute Rodrigez wie einem Bruder. Vor zwanzig Jahren waren sie gemeinsam hinter einer Bande von Menschenhändlern her gewesen. Die Kerle beschwatzten leichtgläubige mexikanische Mädchen vom Land, versprachen ihnen gutbezahlte Stellen in der Stadt und steckten sie anschließend in die Bordelle der Orte auf beiden Seiten der Grenze. Manuel war damals Polizeipräfekt der gesamten Region gewesen, Henry im Auftrag eines mexikanischen Millionärs unterwegs. Dieser vermutete eine seiner zahlreichen Enkelinnen in den Fängen der Bande. Die beiden fanden nützliche Hinweise, dann erste Spuren und wenig später hoben sie das Hauptquartier der Mädchenhändler aus. Zwei Polizeibeamte starben während der wüsten Schießerei. Von der Schlepperbande überlebte kein einziger. Rodrigez geriet zuvor jedoch mit einigen seiner Männer in eine geschickt gestellte Falle und wurde durch zwei Kugeln schwer verwundet. Eine Gewehrkugel traf sein rechtes Knie und zertrümmerte es, ein weiteres Geschoss hatte sich neben dem Ärmelloch seiner schusssicheren Weste von der Seite her in die Brust gebohrt und Herz und Lungenflügel nur knapp verfehlt. Henry rettete Manual damals das Leben. Der Brite stürzte trotz wildem Kugelhagel aus seiner Deckung hervor, warf sich über den Polizeipräfekten und zog ihn hinter einem Mauervorsprung in Sicherheit, brachte anschließend die stark blutende Wunde am Knie zum Stoppen und betreute den Bewusstlosen bis zum Eintreffen eines Notarztes.
Manuel Rodrigez quittierte einige Monate später seinen Dienst als Präfekt. Das rechte Knie war steif gebliebenen und er war nicht mehr einsatzfähig. Die enge Verbundenheit mit Henry, dem er sein zweites Leben verdankte, wie Manuel und Maria ihm immer wieder gerne beteuerten, hatte jedoch über all die Jahre hinweg Bestand.
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