1 ...7 8 9 11 12 13 ...31 Diese hohe Zahl an spezialisierten Büros war ein starkes Indiz dafür, dass es solche Briefkastenfirmen nicht nur zu Hunderttausenden, sondern wohl gar zu Millionen geben musste.
Toni ließ daraufhin als kleiner Test ein paar Scheinfirmen über einige dieser Kanzleien eröffnen. Er wollte erfahren, wie solche Gründungen abliefen und welche Informationen der Eigentümer zu diesem Zweck von sich selbst Preis geben musste. Das Ergebnis war erschütternd.
Das Faxen einer Kopie des Führerausweises und die Überweisung von ein paar hundert Dollar über Western Union reichten völlig aus, um innerhalb weniger Tage eine Briefkastenfirma zu gründen, egal, ob in Delaware oder Nevada. Es wäre sogar noch viel schneller abgelaufen, hätte er den fälligen Betrag gleich online und mittels Kreditkarte bezahlt. Weniger als eine Stunde, wurde ihm auf seine Nachfrage hin am Telefon versprochen. Doch gerade Kreditkarten konnte man problemlos zurückverfolgen, einen gestohlenen Führerschein und den so ausgeführten anonymen Geldtransfer über Western Union dagegen nicht.
In manchen Fällen wurden ihm von den Anwaltskanzleien für einen Aufpreis von bloß fünfzig Dollar gleich noch ein Bankkonto eröffnet. Er könne innerhalb von zwei Stunden nach Bezahlung des Betrages frei darüber verfügen.
Mit diesem völlig sorglosen Umgang mit Firmengründungen und Bankkontoeröffnungen wurde die Geldwäscherei zu einem einfachen und risikolosen Geschäft.
Man beschaffte sich einige gestohlene Führerscheine, eröffnete damit ein paar Dutzend Briefkastenfirmen über unterschiedliche Kanzleien, ließ kleinere Mengen Geld auf die verschiedenen Konten einzahlen, sammelte das Geld anschließend auf einem zentralen Konto ein und überwies den Gesamtbetrag an ein Unternehmen im Ausland.
Das Steueramt besänftigte man, in dem man keinerlei Geschäftstätigkeit vorgab und den Mindestbetrag zwei Jahre lang überwies, bevor man die Firma ohne Aufsehen zu erregen auflösen ließ. Das Entdecken der Geldwäsche durch Behörden oder die Polizei war mit dieser Abwicklungsmethode praktisch ausgeschlossen oder zumindest auf einen äußerst dummen Zufall reduziert.
Und die Kosten einer solchen staatlich tolerierten Waschmaschine?
Mit Sicherheit bloß wenige tausend Dollar für jede gereinigte Million.
Die USA, das finanzielle Schlaraffenland für sämtliche kriminellen Organisationen dieser Welt.
Lag es da nicht auf der Hand, dass sich auch die Geheimdienste des Landes dieser Mechanismen bedienten? Durch so lasche Gesetze wurden Gangstersyndikate doch förmlich in die USA gelockt. Deren Repräsentanten ließen sich später bestimmt für die Ziele der Behörden einspannen. Eine Hand wäscht nun mal die andere.
Toni erschauderte bei diesem Gedanken und er entschloss sich, erst einmal Rücksprache mit Jules zu halten.
Für ihre geheime Kommunikation benutzten die beiden seit einigen Jahren das Electronic Banking eines Kontos, auf das beide übers Internet weltweiten Zugriff besaßen. Sie loggten sich jeweils ein und speicherten für den Partner unter der Nachrichten-Funktion des Kontos einen Text als Entwurf ab. Danach konnten sie einander eine unverfängliche E-Mail senden und darin auf die neue Nachricht hinweisen. Eine Überwachung ihrer Korrespondenz durch Behörden oder Geheimdienste war damit praktisch ausgeschlossen.
Hallo Jules,
Eine Briefkastenfirma in Delaware und Nevada zu gründen und zu betreiben, dazu benötigt man tatsächlich nichts, außer ein wenig Geld und einen gestohlenen Führerschein. Es gibt allein in Delaware mindestens dreihundert Anwaltskanzleien, die von diesem Geschäft leben können. In Nevada sind es immerhin mehr als einhundert. Wir müssen also davon ausgehen, dass viele Hunderttausend, wenn nicht Millionen von Briefkastenfirmen existieren. Sonst würde sich das Ganze für die vielen Kanzleien gar nicht rechnen.
Wo aber soll ich mit meinen Recherchen beginnen? Hast du einen Vorschlag für mich? Im Moment komme ich mir klein wie David vor, der den Riesen Goliath zwar herausgefordert hat, ohne aber eine Steinschleuder zu besitzen.
Gruß, Toni
Jules Antwort ließ nur einen Tag auf sich warten.
Hallo Toni,
Knochenarbeit scheint angesagt zu sein. Konzentriere dich doch auf möglichst kleine Kanzleien, die nicht prominent im Internet für ihre Dienste werben. Ich denke, da sind die Chancen am größten, auf eine Kanzlei zu stoßen, die für Regierungsstellen arbeitet. Denn wie du selbst schreibst: nur das Massengeschäft kann in diesem Business gewinnbringend betrieben werden. Bei allen kleineren, wenig bekannten Playern ohne Werbung stellt sich darum die Frage, wie sie genügend Erträge für sich generieren können.
Ich werde in der Zwischenzeit versuchen, ein paar Firmennamen und Adressen von meinen Auftraggebern in Erfahrung zu bringen. Ich werde dir alle neuen Erkenntnisse laufend auf diesem Weg hier weiterleiten. Schau also jeden Tag mal rein.
Ich wünsche dir schon einmal viel Spaß bei der Suche nach der Nadel im Heuhaufen,
Jules
Lederer hatte sich unverzüglich mit Wermelinger in Verbindung gesetzt und ihm von den Schwierigkeiten erzählt. Der Präsident des Vereins der privaten Banken sagte ihm seine Unterstützung zu und bereits ein paar Tage später lieferte er Jules die Adressen von sechs Briefkastenfirmen in Delaware und von zwei weiteren in Nevada. Sie waren dem automatischen Datencheck der Banken als mögliche Drehscheiben für Geldwäscherei aufgefallen und standen im Verdacht, Regierungsstellen der USA zu gehören.
Die Zahlungssysteme der Banken sortierten jeden Tag hunderte von verdächtigen Transaktionen aus. Ganze Stäbe von Mitarbeitenden waren mit deren Klärung beschäftigt. Wenn die Auftraggeber oder Empfänger die Zahlungshintergründe nicht hinreichend erläutern konnten, wurde die Weiterleitung des Geldes verweigert und die Informationen zur Transaktion direkt an die zentrale Behörde in Bern für weitere Abklärungen geleitet. Was den Mitarbeitenden dagegen ausreichend plausibel erschien, und das waren über 99,9 % der untersuchten Zahlungen, wurde zur Überweisung freigegeben. Doch immer wenn eine große und renommierte US-Bank an einer der Transaktionen beteiligt war, ging man von einer korrekten Überweisung aus. So lauteten die internationalen Verträge und die gängige Praxis. Wäre noch schöner, wenn man den Töchtern und Söhnen von Uncle Sam etwas Illegales unterstellen wollte.
Die von Wermelinger gelieferten Daten betrafen insgesamt mehr als fünfzig verdächtige Zahlungen, an denen die acht US-Unternehmen beteiligt waren. Diese acht Firmen wiesen jedoch nur zwei unterschiedliche Geschäftsadressen auf, eine in Wilmington, die andere in Las Vegas.
Bei den Überweisungen handelte es sich um Beträge zwischen 250’000 und 1,5 Millionen Dollar. Die Gelder waren jeweils wenig später von den Konten der Schweizer Banken an irgendwelche Empfänger mit Sitz in der Karibik transferiert worden.
Die Aufgabe für Toni war mit diesen Informationen bereits ein wenig klarer umrissen. Er würde die beiden Adressen durchleuchten und gegebenenfalls versuchen, Mitarbeitende der Anwaltskanzleien zu bestechen, die für deren Gründung und Betreuung zuständig waren. Eventuell konnte er auch gleich eigene Leute dort einzuschleusen.
Wie er all das bewerkstelligte, überließ Jules voller Vertrauen seinem Freund in Florida.
*
An diesem frühen Morgen stand Henry Huxley mitten auf der Brücke zur Ciudad Juárez, hatte seine Unterarme auf dem Geländer aufgestützt und blickte hinunter auf das Wasser des Rio Grande, diesem großen, meist träge dahinfließenden Grenzstrom zwischen den USA und Mexiko. Derzeit führte der Rio Bravo del Norte, wie er von der mexikanischen Bevölkerung genannt wurde, sehr viel braunes Schlammwasser mit sich, ein sicheres Zeichen für heftige Regenfälle im Norden, in Colorado oder New Mexiko. Der Fluss grub sich an seinem Oberlauf immer tiefer in den Boden, das Ufer wurde von den Wassermassen unterspült und der Abraum in Richtung Golf von Mexiko getragen. Ähnlich dem Missouri, der auch Big Muddy genannt wurde, sagte man über das Wasser im Rio Grande scherzhaft, zum Trinken zu dick und zum Pflügen zu dünn.
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