Warum Moore und Coleman dies taten, war eine Frage, auf die es für sie eine ganz einfache Antwort gab: Sie mussten es einfach tun!
Doch diese Antwort hätte wohl niemand wirklich verstanden, denn ihren tieferen Sinn offenbarte sie erst, wenn man sich vor Augen führte, dass der dritte, stille Gesellschafter von CAPCO-Enterprises ein spanischer Rechtsanwalt namens Fernando Antonio Cortez Allegro war!
Der Helikopter jagte mit über zweihundert Meilen die Stunde dicht über dem Meeresspiegel in Richtung Westen dahin.
An Bord befanden sich neben dem Piloten und seinem Copiloten zwei weitere Männer im hinteren Teil der Maschine.
Der eine von ihnen war Marcus Coleman, jüngster Geschäftsführer von CAPCO-Enterprises, der andere sein Leibwächter Andrew Crowe.
Der Bodyguard hatte einen Kopfhörer auf und lauschte dem Funkverkehr des Piloten, schaute aber immer wieder auf den alten Mann vor ihm auf der Sitzbank.
Seit sieben Jahren arbeitete er jetzt schon für Marcus Coleman und der Job war die meiste Zeit über eher nüchtern und ereignislos, einmal davon abgesehen, dass der Alte andauernd in der ganzen Welt unterwegs war.
Trotzdem mochte Andrew seinen Job, denn er mochte Coleman sehr gern.
Der Alte war, sicherlich altersbedingt, manchmal schon sehr merkwürdig in seinen Äußerungen und Taten.
Doch im Gegensatz zu seinem letzten Arbeitgeber, einem widerlichen Senator, der tagsüber laut Moral predigte und sich nachts ekelhaften Sexpraktiken mit Minderjährigen hingab, was Peter aus Unwissenheit monatelang akzeptierte, bevor er diesen Mistkerl auf frischer Tat ertappte und ihn mit zwei gezielten Schlägen, vier Rippen und das Nasenbein brach, wusste er, dass er bei Coleman für einen durch und durch guten Menschen arbeitete.
Hierbei war er sich immer bewusst, mit welchem Ehrenkodex er als echter Bodyguard lebte.
Und bei Coleman war er sich sehr sicher: Sollte es eines Tages soweit kommen, was er allerdings ernsthaft bezweifelte, denn Colemans Aktivitäten gegen das weltweite Verbrechen ließen ihn dabei niemals direkt in Erscheinung treten, sollte es also eines Tages doch soweit kommen, dass er Coleman unter Einsatz seines eigenen Lebens verteidigen musste, würde es ihm eine Ehre sein, für den Alten zu sterben.
Im Laufe der Jahre hatte er auch gelernt, das Verhalten seines Chefs zu deuten, und er wusste, wenn der Alte über seiner Arbeit saß, die er in Form eines Geschäftsberichtes in den Händen hielt, wollte nicht gestört werden.
„Schiff voraus!“ hörte er dann den Piloten sagen. „Entfernung zwei Meilen. Fertigmachen zur Landung!“
Crowe nahm den Kopfhörer ab, beugte sich zu Coleman und tippte ihn auf die Knie.
Der Alte reagierte nicht sofort, hob dann langsam seinen Kopf und blinzelte Crowe fragend an.
„Wir setzen zur Landung an, Sir. Schnallen sie sich bitte an!“
„Oh, jaja, natürlich, Andrew!“ Coleman klappte den Bericht zusammen und legte ihn neben sich. Dann nahm er den Sicherheitsgurt zur Hand und schloss ihn um seine Hüften.
Während der Helikopter seine Geschwindigkeit drosselte, kam schräg vor ihnen die Yacht in Sichtweite.
Coleman konnte sofort die Gestalt des Mannes an Deck des Schiffes ausmachen, wie er mit auf dem Rücken verschränkten Armen zu ihnen hinaufschaute und sogleich wurde ihm erneut der Grund für dieses außerplanmäßige Treffen bewusst.
Und bei diesem Gedanken begann ihm wieder zu frösteln.
III
Jonathan Moore stand nun schon seit geraumer Zeit an Deck der Jenny , einer über sechzig Meter langen Hochseeyacht, die gerade etwa eine Meile vor der Küste San Franciscos vor Anker lag, im Licht der untergehenden Sonne.
Unbeweglich, stumm, die Arme auf dem Rücken verschränkt.
Das bizarre, faszinierende Häusermeer San Franciscos, das sich für ihn noch gut erkennbar vor seinen Augen erstreckte, nahm er jedoch nicht wahr, so unglaublich tief war er in Gedanken versunken.
Die herrliche innere Ruhe, die er sonst immer fand, wenn er hinausschaute und die Schiffe in der Bucht vor der Golden Gate Bridge beobachtete, wollte sich heute nicht einstellen. Konnte sich auch nicht einstellen.
Denn vor seinen Augen liefen ganz andere Bilder ab.
Bilder des Schreckens, Bilder so voller Gewalt und Grausamkeit, dass er sich schwer beherrschen musste, nicht hemmungslos zu weinen.
Obwohl er nicht anwesend war, konnte er sich das furchtbare Szenario, als ein ganzes Bergdorf im Nordwesten Spaniens ausgelöscht worden war, sehr gut ausmalen.
Er konnte förmlich die Schreie der unschuldigen Opfer hören und es waren unzählige schmerzhafte Stiche in seinem Körper.
Und er konnte Philippe und Fernando sehen.
Zwei Freunde. Unsterblich, so wie er.
Tot, ausgelöscht. Auf grausame Art und Weise. Und mit Ihnen so viele unwissende Menschen.
Hingerichtet, wie schon so viele vor ihnen, von dem großen Unbekannten, den kaum jemand beschreiben und niemand identifizieren konnte, weil es nur sehr wenige gab, die ein Zusammentreffen mit ihm so überlebt hatten, dass sie davon berichten konnten.
Und der seit knapp einem Jahr Jagd machte nach den Unsterblichen mit dem Kristall in der Brust.
Doch Jonathan hatte nicht die geringste Ahnung, wer dieser teuflische Henker sein konnte.
Nur eine schreckliche Vorahnung…
Denn die Tatsache, dass dieser Fremde sich die Kristalle seiner Opfer aneignete, überhaupt aneignen konnte, ließ nur diesen einen Schluss zu.
Doch das zu akzeptieren, dagegen weigerte sich Jonathan vehement.
Auch weil ihn diese Vorstellung das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Aber in einem war Jonathan sich sehr sicher:
Wer immer auch dieses Monstrum sein mochte, er musste gestoppt werden.
Das sinnlose und furchtbare Töten musste aufhören, endgültig ein Ende finden.
Sie hatten damals diesen Schritt gewählt, um ihr Volk und die Träne Gottes vor den Eindringlingen zu beschützen, um später an einem anderen, unentdeckten Ort neu beginnen zu können und nicht, um Tod und Verderben zu erzeugen.
Und doch war es so gekommen.
Und es war ihre Schuld. Sie waren dafür verantwortlich, dass es passierte und sie waren auch dafür verantwortlich, dass es enden musste.
Denn die vielen Menschenopfer konnten letztlich doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser unbekannte Teufel nur Jagd auf die Herzlosen, also auch auf ihn, machte.
Doch wie sie ihn stoppen konnten, darauf wusste Jonathan keine Antwort.
Er wusste nur, dass sie schnell handeln mussten.
Die erschütternde Nachricht über Philippes und Fernandos Tod, dem auch noch so viele Menschen zum Opfer gefallen waren, hatte er vor gut vier Stunden erhalten.
Sofort hatte er seine Sekretärin angewiesen, Marcus Coleman in Chicago, wo er sich geschäftlich aufhielt, ausfindig zu machen.
Danach war er auf die Yacht geflogen, wo er die ganze Zeit über nahezu unbeweglich an Deck gestanden und auf die Ankunft seines Freundes gewartet hatte, tief in Gedanken versunken.
Als sich dann der Hubschrauber der Yacht näherte, erkannte er ihn erst, als er bereits zur Landung ansetzte.
Doch Moore blieb, wo er war, schaute wieder hinaus auf das Meer und nutzte die wenige Zeit, die er noch hatte, um seinen Kopf frei zu bekommen.
Denn er wusste nur zu genau, dass er den brauchen würde, weil sich in wenigen Minuten ihr aller Leben grundlegend ändern würde.
Der Helikopter hatte kaum aufgesetzt, da wurde die Seitentür bereits aufgerissen und sie wurden vom Kapitän des Schiffes, Peter McDonald in Empfang genommen.
Im Gegensatz zu Coleman verzichtete Moore auf einen eigenen Leibwächter.
„Guten Abend, Mr. Coleman!“ McDonald gab ihm und Crowe die Hand und führte sie sehr schnell vom Landedeck.
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