»Raucht sie wieder? Sie hat doch wohl nicht wieder angefangen?«, unterbrach er sie.
»Nein, nein, sie hat alsbald die Zigarette ausgedrückt und die restlichen weggeworfen. Gott sei gepriesen! Und wie hast du das ganze Geschehen verarbeitet? Konntest du schlafen?«
»Ich habe eine ganze Schlaftablette genommen, die mir der Doktor verschrieben hat, von denen ich aber normalerweise nur eine halbe nehme. Frühstücken konnte ich heute Morgen nicht. Ulla ist extra schon um sieben gekommen. Sie hat mir Brötchen mitgebracht, um mir Appetit zu machen, aber ich habe keines davon herunter gekriegt. Auch den Kaffee, den sie für mich gemacht hat, habe ich nur zur Hälfte getrunken. Es geht mir, ehrlich gesagt, beschissen.«
»Schade, das tut mir leid, aber es geht uns ja allen nicht besser. Mama winkt schon. Ich gebe dich mal weiter.« Sie machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer. »Übrigens: kommst du heute Nachmittag? Ich würde mich freuen und Mama bestimmt auch.«
»Vielleicht. Ich habe noch Besuch im Büro. Danach komme ich, … wenn nichts dazwischen kommt. Ach Quatsch! Ich sage alles ab und komme.«
»Mutter? Hier ist Opa.«
Die Mutter musste ihrem Vater reichlich Auskunft geben. Er war besorgt, wie eben ein Vater besorgt ist, dessen Tochter soeben Witwe geworden ist.
Carla sah während des Telefongesprächs der Mutter aus dem Fenster und bekam einen Schrecken, als sie den Blutfleck sah, der immer noch auf der Terrasse zu erkennen war, und die Kreidelinien darum, die die Lage des Vaters gestern darstellten. Sie holte einen Eimer Wasser und Scheuermittel und versuchte, so gut es ging, die Erinnerungen dort zu entfernen. Die Kreiderester verschwanden sofort, aber an den Blutflecken versuchte sie sich vergebens, auch wenn sie ihre ganze Wut an der Bürste ausließ. Es würde Monate dauern, bis die Granitsteine das Blut verschluckt hätten.
»Also, was ist nun? Raus mit der Sprache!«, forderte Peter, als die Mutter das Gespräch beendet hatte und sie ihm das Telefon in die Hand gegeben hatte, damit er es wieder in die Küche brachte. Er bestand aber zuerst auf einer Antwort.
Sie wich aus. »Großvater will heute Nachmittag kommen. Das freut mich.«
Peter bestand auf einer Antwort. »Jetzt rede und weiche nicht aus!«
»Es gibt eine lange Geschichte. Es ist dreißig Jahre her und die geht keinen etwas an. Carla schon gar nicht. Wenn wir alleine sind, werde ich versuchen, dir alles zu erklären. Du musst mir helfen, denn wenn ich daran denke, möchte ich alles ungeschehen machen. Versprichst du mir das?«
»Natürlich Mutter. Wo ich nur eben kann. Sind wir in Schwierigkeiten?«
»Nein, aber wenn ich Papa nicht in diese Abenteuer hineingezogen hätte, wäre er vielleicht noch am Leben. Ich mache mir solche Vorwürfe…«
Carla kam aus dem Garten zurück. »Habt Ihr zwei Geheimnisse?«
»Wie kommst du darauf? Ich habe vor meiner Tochter keine Heimlichkeiten.«
»Ich habe Mama nur gefragt, ob sie noch Garderobe kaufen will zur Beerdigung oder du vielleicht auch? Der Leichnam wird ja wohl frei gegeben und dann können wir Papa beerdigen. Ich meine, wir sollten nicht viele Leute einladen, vielleicht Onkel Alfons, Tante Renate und Brigitte mit ihrem Mann. Was ist mit deinem Freund? Kann Rolf auch kommen?
»Er ist gerade auf dem Weg von Paris zurück. Er will gegen fünf Uhr heute Nachmittag zurücksein. Ich habe gerade mit ihm telefoniert. Ronny und er wechseln sich mit dem Fahren ab.«
»Warum fliegt er nicht?«
»Weil er meint, dass das keine Vorteile hat. Die Strecke ist dafür zu kurz. Erst einmal braucht er keinen Fahrplan einzuhalten und er kann fahren, wann er will. Das Hotel liegt ganz im Osten von Paris. Er braucht vom Flugplatz Orly oder Charles de Gaulle immer mindestens fast eine Stunde vom Landen bis zum Büro. Dann noch von hier bis Hannover, die halbe Stunde Reserve wegen der blöden Autobahn-Baustelle, die Stunde bis zum Abflug. Und außerdem – und das ist wohl der eigentliche Grund – fährt er sehr gerne … und jetzt mit dem neuen Auto … Er und Ronny kommen ja gut miteinander aus. Und er hat ein Auto da. Taxifahren ist ja nie sein Ding gewesen.«
»Wir haben doch den Limousinenservice vor Ort. Warum benutzt er den nicht?«
»Ja, er fährt ja nun öfter als alle anderen dorthin. Er wird es ausprobiert haben«, fuhr die Mutter dazwischen.
»Hat er nun eine neue Sekretärin dort gefunden?«, kam Peter endlich zu der Frage, die ihn eigentlich interessierte.
»Er meint, er hat einen guten Fang gemacht. Sie spricht unter anderem auch Arabisch. Die Mutter stammt aus dem Irak«, Clara überlegte, »…oder Iran – ich weiß nicht mehr. Vielleicht ganz brauchbar, denn die Orientalen kommen doch immer öfter nach Europa um Geschäfte zu machen. Da ist es ja für sie ganz angenehm, wenn sie jemanden haben, der ihre Muttersprache spricht und vor allem auch schreiben kann, auch wenn sie fast alle Englisch oder Französisch sprechen.«
»Ronny müssen wir auch dazu nehmen, Kinder. Papa ist so gerne mit ihm gefahren.«
»Ist ja klar«, Peter sprach die vorläufige Gästeliste in sein iPhone.
»Was ist jetzt mit der Garderobe?«, griff Carla das Thema wieder auf. Sie war immer zu einem Stadtbummel bereit.
»Heute noch nicht. Ich möchte heute einfach hier zuhause verbringen, um über alles nachzudenken. Papa fehlt mir. Das ist doch klar. Es ist nicht einfach.«
Das Telefon schellte abermals. Peter schaute auf das Display, zog die Stirn kraus und verkündete dann, ehe er abnahm: »Rosie Plotthoff!?« Er blickte seine Mutter fragend an. Alle beide winkten ab, weil sie wussten, dass die Bekannte aus dem Golfklub, mit der und deren Mann sie alle zuweilen zum Tontaubenschießen gingen, mit einem Gespräch schnell einen ganzen Nachmittag verbringen konnte, gerade nach einem solchen Ereignis. Er ließ durchschellen. Dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein: »Hier ist der Anrufbeantworter von Peter und Magdalene Friedmann. Bitte sprechen sie nach dem Signalton.« Die Mutter zuckte zusammen, als sie die Stimme ihres Mannes auf dem Telefon hörte. Dann sprach Rosie:
»Hallo Magdalene, hier ist Rosie. Ich wollte nur kurz wissen, wie es dir und dem Rest der Familie geht. Es ist ja eine traurige Angelegenheit. Ich weiß noch gar keine Einzelheiten und konnte heute Nacht gar nicht schlafen. Ich muss mal mit jemandem darüber sprechen. Bitte melde dich mal. Vom Schießverein und unserer Clique aus dem Golfklub ein ganz herzliches Beileid, soll ich dir ausrichten. Wenn wir etwas tun können, sag’ es uns. Wir sind immer für dich da.«
Peter stand aus dem Sessel auf und lief ein paar Schritte durch das Zimmer. Dabei blickte er auf die Terrasse, wo auch er den Flecken immer noch sehen konnte, den der Vater hinterlassen hatte. Er wollte bei Gelegenheit den Berendtsen fragen, ob die Polizei oder vielmehr der Mann von der Spurensicherung vielleicht eine Möglichkeit sah, die Reinigung zu übernehmen oder zumindest zu beschleunigen.
»Es ist für alle von uns nicht einfach. Es wird auch noch schlimmer, wenn die erste Aufregung einmal vorüber ist«. Sie schwiegen alle, als ob sie den Zeitpunkt abwarten wollten.
»Eigentlich ist Rosie ja eine ganz Nette, aber sie kann einfach nicht verkraften, dass wir beim Schießen immer Vereinsmeister werden. Stimmt’s?«, fragte Peter.
»Also das ist ja wohl leicht übertrieben. Letztes Jahr war sie Dritte, noch vor dir und Papa«, machte Carla ihm klar. Sie nahm ihrer Mutter das Telefon aus der Hand und brachte es in die Küche zurück.
»Aber Golfen kann sie besser als wir alle zusammen. Das müsst Ihr der Rosie zugestehen«, hielt ihre Mutter ihrer Bekannten zugute.
»Lass uns etwas durch die Heide gehen«, schlug Carla vor, als sie aus der Küche zurückkam. »Etwas frische Luft tut uns jetzt allen gut. Hast du Zeit, Peter? Gehst du mit uns?«
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