Sie wollten gerade gehen, da drehte sich der Mann noch einmal um:
»Oder hat man den Code schon gefunden? Weiß schon jemand Bescheid?«
»Nein. Ich habe gar keine Ahnung, was Sie wollen oder wovon Sie reden. Ich weiß auch nichts von einem Mädchen, das in Marxen ermordet worden sein soll. Aber sagen Sie mir doch um Gottes Willen, wer sind Sie?«
»Sie hören doch. Freunde! Wichtige Freunde!«
Der Mann sprach ohne Akzent.
Sie stiegen in ihren Wagen und Peter erkannte einen Mercedes E 5,3 von Brabus mit französischem Nummernschild, was ihn wunderte, denn sein Vater hatte nie von Freunden in Frankreich gesprochen, geschweige denn mit ihnen Kontakt gepflegt. »Vielleicht sind sie von der › Rose d’or‹ in Paris, legte er sich die Gedanken zurecht, die er dann aber sofort wieder verwarf, denn woher hätten sie seine Privatadresse gewusst.
In der Wohnung rief er Hannelore an und bedauerte schon vor dem Gespräch, dass er nicht bei ihr geblieben war, denn nach diesem Erlebnis mit den Fremden, hätte er doch gerne ihre Nähe gespürt.
»Hallo Peter!«, sie nahm sofort ab. »Schön, dass du anrufst. Ich liebe dich!«
Pünktlich um acht Uhr am nächsten Morgen schaltete Berendtsen seinen Rechner ein. Die erste Nachricht, die er erhielt war als »Wichtig« markiert und forderte ihn auf, sich bei der Spurensicherung zu melden. Er sah die Sendezeit: 00.06 Uhr. Der Junge war ja richtig fleißig, dachte er. Auf dem Gang traf er Kampmann.
»Moin Kollege. Auch auf dem Weg nach unten?«
»Ja, guten Morgen, es scheint etwas Neues zu geben.«
Schwertfeger war auch gerade angekommen und hielt den anderen beiden die Tür auf.
In diesem Moment kam Seeger über den Gang und grüßte die anderen mit einem erhobenen Daumen. Er gab den Dreien flüchtig die Hand. Sie gingen in sein Büro. Er hob einige Blätter auf seinem Schreibtisch an, dann griff er nach einer übergroßen Wäscheklammer mit der Aufschrift »Wichtig« und löste einen kleinen durchsichtigen Plastikbeutel daraus, in dem eine Plastikkarte eingesiegelt war, die denen einer Karte für Mobiltelefone ähnelte. »Ich habe mal etwas ganz neues. Das alles erinnert mich beinahe an eine Schnitzeljagd auf dem Kindergeburtstag meiner beiden Jungen.«
»Besteht nicht unser tägliches Brot aus Schnitzeljagd?«, gab Kampmann zu denken.
Seeger zeigte Ihnen ein Plättchen mit einer abgeschnittenen Kante, auf der einen Seite blau mit einem weißen aufgedruckten Golfball, auf der anderen Seite der Chip.
»Ich habe zuerst gedacht, es handelt sich um eine ganz normale Chipkarte, wie man sie aus Mobiltelefonen kennt. Also eine SIM-Karte. Ich wollte die Karte genauer unter die Lupe nehmen. Also habe ich sie in das Gerät eingespannt, mit dem wir die Telefonkarten auslesen, um vielleicht etwas über das Telefon und die Person zu erfahren, die es genutzt hat. Dabei stellte ich fest, dass dieser Chip gar keine Kennung für ein Telefon enthält. Ich entdeckte die folgende Ziffern- und Buchstabenfolge: 23817 GE - 21203«, las er vor.
»Woher hast du diesen Daten-Chip?«, wollte Berendtsen wissen.
»Die Karte war unter einem dieser weißen Operationspflaster, wie sie auch beim Piercing benutzt werden, an die Innenseite ihres Oberschenkels angeklebt.«
»Und was sagt uns diese Zahl? Ein Code?«, fragte Kampmann.
»Nichts – bis jetzt.«
»Vielleicht ist es einfach nur eine leere Karte und die Zahlen stellen die Seriennummer dar«, vermutete Berendtsen.
Seeger klemmte die Tüte wieder in die Wäscheklammer. »Der Golfball, habe ich herausgefunden, ist ein Logo der Etisalat, das ist dort in der Golfregion der, ja ich will mal sagen, der einzige Anbieter für Mobiltelefone. Die Gesellschaft deckt die VAE ab und Teile der arabischen Halbinsel, Oman, Jemen bis nach Ägypten. Also könnte es eine SIM sein, die umfunktioniert ist. Als Seriennummer taugen diese Zahlen und Buchstaben nämlich nicht, denn die haben ja zehn Stellen und keine Buchstaben in der Mitte. Das ist bei Etisalat auch so.«
»Überlegt mal, Jungs«, gab Kampmann zu bedenken. »Wenn es sich um eine einfache SIM hielte …, warum hätte das Mädchen sie so versteckt…? Irgendwie merkwürdig, oder?!«
Da mussten die anderen ihm zustimmen.
Dann allerdings schlug Seeger sich mit der rechten Faust in die linke Hand. Die beiden sahen ihm an, dass er die Neuigkeit des Tages noch bringen wollte:
»Und jetzt kommt’s!« Er machte eine lange Spannungspause und sah den beiden Kommissaren nacheinander in die Augen. »Der Friedmann hat in Larnaka gar kein Hotel! Ich habe letzte Nacht noch das Internet durchgeforstet, aber kein einziges Haus gefunden, das mit dem Mann in Zusammenhang gebracht werden kann. Jedenfalls nicht in den Geschäfts- und Urlaubshochburgen. Kleine Hotels habe ich allerdings nicht durchforstet. Das ist ja auch nicht sein Stil.«
»Dann wollen wir den Leuten heute noch mal die Pistole auf die Brust setzen. Die Ehefrau des Toten haben wir auch noch nicht befragt.« Berendtsen wandte sich an Kampmann. Nach der Besprechung fahren wir beide noch einmal nach Asendorf.
Zurück im Büro nahm sich Berendtsen die Tageszeitung vor. Gleich auf der ersten Seite der Hamburger Lokalseite fand er einen Bericht über eine halbe Spalte unter dem Titel: ‚Präzisionsschuss im Morgengrauen‘ zum Mord an einem Hamburger Hotelier, wie man Friedmann vorsichtig titulierte. Das wunderte ihn, denn er hatte keine Presseleute ausgemacht, wie ihm jetzt gerade erst bewusst wurde. Wer hatte die Nachricht verbreitet? Nur ein Insider konnte der Presse mitgeteilt haben, dass der Schuss aus knapp 100 Metern Entfernung abgefeuert worden war, und zwar von einem Dach eines Pferdestalls. Das bedeutete, wenn Friedmanns es nicht waren, was er nicht glaubte, dann nur die dämliche Polizei in Jesteburg. Er wurde sauer, machte sich gleich auf den Weg in das Büro von Schwertfeger, das auf dem Flur gleich gegenüber lag, und hielt seinem Kollegen ungefragt den Artikel direkt vor die Nase.
»Das können doch nur die Kollegen in Jesteburg eingestielt haben. Ich glaube nicht, dass die Familie die Presse informiert hat. Niemals!« schimpfte er ungehalten, »Presseleute habe ich den ganzen Tag nicht gesehen.« Er schlug mit der Hand auf seinen Schreibtisch. »Sollen wir uns die Leute vornehmen?«
»Die drehen wir durch, dass sie nicht mehr wissen, wo oben und unten ist.«
Sie durchsuchten die Zeitung und stießen schnell auf eine Todesanzeige von einer Viertelseite über die »Tragischen Umstände, unter denen unser lieber Ehemann und guter Vater, Peter Friedmann, so plötzlich von uns Abschied nehmen musste«. Die Beerdigung würde im engsten Familienkreis vorgenommen. Er knallte die Zeitung wütend auf seinen Schreibtisch.
»Da haben wir die Lösung: die Familie hat die Anzeige aufgegeben und die Abteilung hat sofort reagiert und die Kollegen vom Journalismus losgeschickt. Die Schreiberlinge hatten nichts anderes zu tun, als nach Jesteburg zu fahren und irgendjemandem schmackhaft zu machen, mal ›nur ein paar Kleinigkeiten preiszugeben. Unsere Leser... usw. … et cetera bla bla‹. Die Presse trifft keine Schuld. Die müssen so arbeiten. Würden wir auch tun. Aber die Trottel in dem Kaff hätten dicht halten müssen.«
In Jesteburg hatte man den Whistleblower schon ausgemacht und von dem Fall so weit wie möglich abgezogen, wenn das auf dieser kleineren Dienststelle überhaupt möglich war. Es war für die Kollegen in der Heide eine Kleinigkeit gewesen, denn der Journalist war der Freund von Wimmer und das war hier allgemein bekannt. Berendsen und Schwertfeger waren nicht wenig erleichtert, dass sie sich nicht mehr aufregen mussten, zumal dem Hauptkommissar seine pampigen Äußerungen vom Vortag noch ein wenig im Magen lagen, denn eigentlich fand er die Heideleute inzwischen ganz nett. Sie waren fleißig und freundlich und hatten die ihnen aufgetragenen Arbeiten gestern zu seiner völligen Zufriedenheit erledigt. So hätte er es formuliert, wenn er ihnen ein Zeugnis hätte ausstellen müssen. Das war ihm inzwischen klar geworden und im Grunde schämte er sich ein wenig für seinen Auftritt. Ja manchmal, so bog er es für sich zurecht, war es sogar besser, zuerst einmal die Leute auf Vordermann zu bringen und das auch mit härteren Worten, als hinterher Mühe zu haben, alle in der Spur zu halten. »Man kann ja nicht allen direkt ansehen, wie sie arbeiten«, entschuldigte er sich vor sich selbst.
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