»Wie geht es Mutter?«, war die erster Frage, die Peter seiner Schwester stellte, als er zuhause in der Küche auftauchte und seine Schwester mächtig erschreckte. Sie war gerade dabei, das Kaffeemehl in den Filter der Maschine zu geben und dabei ganz in Gedanken, so dass ihr der Löffel aus der Hand fiel und das Pulver auf der Küchenplatte und teils auf dem Fußboden verstreut wurde.
»Kannst du mich nicht vorwarnen, du blöder Kerl? Ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen. Sieh dir die Sauerei an!«
»Ich habe, als ich hereinkam, laut ›Guten Morgen‹ gerufen, aber keiner hat geantwortet. Ich war ja selbst etwas überrascht, dich hier in der Küche anzutreffen.« Er nahm seine Schwester in die Arme und entschuldigte sich. Sie klammerte sich ganz fest an ihn und wollte ihn nicht mehr loslassen.
»Peter, ich glaube, ich kann nicht mehr. Ich bin völlig fertig. Heute ist es schlimmer als gestern. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Die halbe Nacht war ich wach, bin aufgestanden, habe in der Küche Zwieback gefunden und das halbe Paket in mich hereingestopft. Immer wieder habe ich weinen müssen. Dann habe ich wieder nach Mama gesehen. Sie hat tief und fest geschlafen. Heute Morgen bin ich in Mamas Arme gekrochen und wir haben uns gegenseitig beweint. Es ist alles so schlimm.«
»Wo ist Mama jetzt?«
»Sie sitzt im Wohnzimmer und raucht. Sie will nichts essen. Jetzt bin ich dabei und mache ihr trotzdem ein Brot und Kaffee. Sie muss etwas essen. Sie ist ja schon ganz hinfällig geworden. Wenn sie bloß das Rauchen lassen würde. Sie hatte so schön damit aufgehört. Ich weiß auch gar nicht, wo sie die Zigaretten noch hatte.«
Peter fegte den Kaffee auf und wischte die Arbeitsfläche sauber, während Carla die Brote belegte. Peter griff sich eins und brachte die anderen seiner Mutter.
»Guten Morgen, Mama. Ich bringe dir Brote. Carla hat sie extra gemacht. Du musst etwas frühstücken.«
Carla kam mit einem Tablett mit Kaffee, Milch und Zucker, setzte alles auf einen Beistelltisch und schob diesen neben den Sessel der Mutter.
»Greif zu, Mutter. Du darfst nicht rauchen, auf nüchternen Magen schon gar nicht. Woher hast du eigentlich die Zigaretten?«
Die Mutter gab keine Antwort, aber sie nahm einen Bissen, trank einen Schluck und als sie ihre Kinder essen sah, entschied sie sich, es ihnen gleichzutun und alle drei saßen da und keiner sprach ein Wort.
»Wir haben gestern gar niemanden in der Firma informiert. Sie werden es heute aus der Zeitung erfahren. Hast du sie schon gelesen?«, fragte Peter
»Sie liegt dort auf dem Tisch.« Carla deutete mit dem Kopf die Richtung an.
»Ich kenne den Artikel schon.« Trotzdem nahm er die Zeitung auf und hielt sie mit beiden Händen auseinander, so dass die sein ganzes Gesicht verdeckte, überflog noch einmal den Artikel. »Weiß Gott, wie der schon wieder da hineingekommen ist. Aber sie schreiben ja wenigstens sehr diskret.« In Gedanken faltete er sie wieder zusammen und erschreckte seine Mutter und Carla durch den festen Schlag, mit der er die Zeitung auf den Tisch knallte. Er nahm eine tote Fliege unter der Zeitung hervor und warf sie hinaus in den Garten.
»Ich glaube sogar, dass da noch ein Artikel folgt, so bekannt wie Papa war… und dann als Reeperbahn-Wirt…. Ist ja jetzt auch egal.« Carla winkte ab.
»Nee, ist eben nicht egal. Ich rufe heute mal den Chefredakteur an. Ich habe irgendwo noch die Nummer.« Peter wischte die Kontakte in seinem iPhone durch. »Finde ich jetzt nicht…Der hatte so einen ganz einfachen Vornamen, so wie Wolfgang, Uwe, Heinrich oder so ähnlich. Ich setze mich nachher noch mal dran. Ich finde ihn.« Er steckte das Telefon in die Tasche. »Der ist mir noch einen Gefallen schuldig. Ich habe ihn damals bei der Taufe von der Yacht für den Scheich informiert und einige Details über das Boot verraten, womit er ganz groß herausgekommen ist. Das muss der jetzt wieder gutmachen.« Er fuhr mit dem Frühstück fort und war völlig überrascht, als seine Mutter unvermittelt die Zigarette ausdrückte und ihm den Aschenbecher in die Hand drückte.
»Wirf den ganzen Mist weg. Weit weg. Ich fange nicht mehr an. Ich habe es Papa so versprochen und war so schön davon ab. Fünf Jahre jetzt rauche ich nicht mehr und es schmeckt mir auch nicht.« Nach einer Weile fuhr sie energisch fort: »Wir müssen uns fangen und herausbekommen, wer das getan hat und warum.«
Die beiden Kinder sahen sich erstaunt an. Wenn sie mit allem gerechnet hatten, aber dass ihre Mutter so plötzlich ihre alte Energie wiederfand, damit nicht. Als Peter in die Küche wollte, um neuen Kaffee zu holen rief sie ihm nach: »Hier, nimm die restlichen Glimmstängel auch mit. Alles muss weg. Für immer!« Zu ihrer Tochter gewandt: »Die hat letzte Woche Onkel Alfons hier liegen lassen. Der hat sie inzwischen längst vergessen… so wie ich den kenne.«
Peter kam aus der Küche zurück. »Wir müssen die Mannschaft informieren«, wiederholte er. »Sie werden den Artikel und die Anzeige gelesen haben, aber dennoch müssen wir es ihnen noch einmal persönlich mitteilen.«
»Kann das nicht Hannelore machen? Ist sie heute im Betrieb?«, erkundigte sich die Mutter.
»Da gehe ich mal von aus, Mutter. Die Geschäfte müssen ja weiter gehen. Die anderen Läden machen ja auch Betrieb.«
»Wann ist denn jetzt überhaupt die Beerdigung? Haben die von der Polizei schon was gesagt? Wir müssen sie fragen. Sie kommen bestimmt noch einmal. Denen fällt immer etwas zu fragen ein.«
»Günter!« posaunte Peter plötzlich heraus. »Günter heißt der Redakteur. Jetzt weiß ich es wieder.« Er holte seinen ständigen Begleiter aus der Tasche und wischte auf dem Teil hin und her. »Günter Reithmeyer. Ich wusste, dass ich die Nummer habe. Gleich heute Nachmittag, wenn er wieder in der Redaktion ist, rufe ich ihn an. Jetzt ist er nicht da. Morgens macht er den ›rasenden Reporter‹ und ist er auf Themensuche.«
»Und was willst du dem sagen?«, fragte Carla
»Das weiß ich noch nicht, aber das fällt mir schon noch ein. Ich möchte eigentlich nur erreichen, dass sie nicht von irgendwelchen Etablissements und Rotlichtmilieus schreiben. Das bringt unsere Familie in ein ganz anderes Licht, in das wir nicht mehr gehören. Auch wenn wir noch die drei alten Läden haben. Das können und wollen wir ja auch nicht ändern. Die laufen ja nun mal gut und es waren schließlich die ersten, mit denen das ganze Unternehmen angefangen hat.«
Carla räumte ab, stellte das ganze Frühstücksgeschirr auf das Tablett und brachte alles in die Küche. Man hörte, wie sie aufräumte. Peter hatte auf eine Gelegenheit gewartet, mit seiner Mutter über die Begegnung vor seinem Haus am gestrigen Abend zu sprechen.
»Da wir gerade von dem Geschäft sprechen, Mutter. Vor meiner Wohnung hat sich gestern Abend etwas Sonderbares ereignet.« Er schilderte den Vorfall. »Ich hatte den Eindruck, da läuft etwas, von dem ich nichts weiß. Hast du eine Ahnung, ob Papa neben seiner Firma noch andere Geschäfte am Laufen hatte? Sag ehrlich!«
»Ich kann dazu nichts sagen. Ich habe keine Ahnung von anderen Geschäften.«
»Warum sollte ich dann gewarnt werden?«
»Glaube mir Junge, ich weiß nicht mehr als du.«
»Soll ich Carla fragen?«
»Auf keinen Fall!«
»Also doch. Es gibt etwas.«
Das Telefon und rettete sie vor einer Auskunft. Carla nahm in der Küche den Hörer ab.
»Carla Friedmann?«
»Hallo Carla, hier ist Opa Conrad. Ich wollte nur mal hören, wie es Euch und Eurer Mutter geht.«
»Ich war die ganze Nacht hier. Sie hat ganz durchgeschlafen bis heute Morgen gegen fast halb neun. Als ich Frühstück machte, hatte sie sich eine Zigarette angezündet, die Onkel Alfons letzte Woche hier vergessen hatte…«
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