„Ich rauche nicht.“
„Oh. Ich dachte, alle Seeleute würden ständig mit einer Meerschaumpfeife oder etwas ähnlichem herumqualmen.“
„Nun, ich dachte auch immer, jeder Pilot trüge einen weißen Fliegerschal.“
Sie lachte gutgelaunt. „Ich denke, Mylord, wir werden prächtig miteinander auskommen. Steigen Sie schon mal ein, ich muss erst die Hülle und die Motoren überprüfen.“
Die Hülle des Luftschiffes war ungefähr vierzig Meter lang und durchmaß gute Zehn. Unter ihr befand sich die Gondel, in welcher sich üblicherweise der Pilot und der Bordmechaniker aufhielten. Der Pilot war für die Steuerung und Außenbeobachtung zuständig, der Mechaniker für die einwandfreie Funktion der Dampfanlage und der beiden Motoren. Die Dampfanlage befand sich im hinteren Bereich der engen Kabine. Von dort führten Steuerelemente und Rohrleitungen zu den beiden seitlichen Motoren. Die Gondel war aus Gründen der Gewichtsersparnis aus Holz, nur die tragenden Elemente und den Boden hatte man mit Metall verstärkt.
Sir John achtete nicht auf die Rufe und Kommandos, die durch den Hangar schwirrten. Er sah sich forschend in der Gondel um und stellte unbehaglich fest, dass sie in der Tat nur für zwei Personen ausgelegt war. Eine Dritte würde allenfalls Platz gefunden haben, wenn man die Sitze ausgebaut hätte.
„Ich hoffe, Mylord, Sie kennen sich mit Dampfmaschinen aus“, sagte Jane Wilder, als sie sich zu ihm hinein drängte und auf den Pilotensitz quetschte. „Wir haben nämlich keinen Platz für den Bordmechaniker. Also müssen Sie an seiner Stelle auf die Maschine achten.“
„Nun, Füllstand und Druck werde ich sicherlich im Auge behalten können“, versicherte er.
„Dann fühlen Sie sich eingeladen und nehmen Sie Platz, Mylord.“ Sie bewegte probeweise einige Hebel und Ventile, klopfte gegen einige Anzeigengläser. „Und schnallen Sie sich an. Wenn uns in der Suppe etwas begegnet, dann muss ich schnell reagieren. Kann dann ein wenig rau werden.“
„Was sollte uns begegnen?“
Sie wandte sich halb um und grinste breit. „Vielleicht sind wir nicht die einzigen Verrückten, die bei dem Nebel aufsteigen. Zumindest könnten ein paar Vögel unterwegs sein. Letztes Jahr ist mir eine Wildgans in den rechten Propeller geklatscht.“
„Oh. War es schlimm?“
„Ach, der Rotor war schnell repariert und die Jungs mögen Gänsebraten.“ Sie klopfte gegen die Seitenwand der Gondel. „Und Betsy ist auch bei einem Rotor noch ein folgsames Mädchen.“
Jane Wilder schob eines der Seitenfenster auf, während Sir John sich endlich anschnallte. „Temperatur und Druck sind okay!“, rief sie hinaus. „Splinte aus den Props, und dann zieht das Baby nach draußen!“
Zwei Männer griffen an Leinen und rissen die Sicherungsstifte aus den Achsen der Rotoren. Der eingeschossene Dampfdruck versetzte sie augenblicklich in langsame Drehungen. Andere zogen das Luftschiff aus dem Hangar ins Freie hinaus. Die Pilotin überprüfte die Trimmung und gab der Bodenmannschaft ein Zeichen, welche die Halteleinen löste. Dann schob sie die Regler für den Dampfdruck nach vorne und trat ins Höhenpedal. Sir John spürte, wie sich die Nase des Schiffes anhob, und sah wie Boden und Mannschaft unter ihm versanken und im Nebel verschwanden.
„Alles klar, Sir John“, meinte die Pilotin. „Wir sind auf dem Weg. Wo wollen Sie genau hin?“
„Loch Etive“, antwortete er.
Sie zog eine Karte aus einem Fach, schaltete eine Lampe ein und strich sich nachdenklich über das Kinn. „Also erst einmal Nordwest“, murmelte sie und zog einen Rechenschieber hervor, stellte ein paar Werte ein und überlegte kurz. „In Höhe von Glasgow werden wir wahrscheinlich Wasser nachfüllen müssen. Normalerweise würde der Dampf für die ganze Strecke reichen, aber jetzt haben wir Nebel. Der ist dicker als Luft und bietet mehr Widerstand. Da brauchen die Motoren mehr Kraft, um uns hindurch zu schieben.“
„Können wir ihn nicht einfach überfliegen?“
„Nicht diese Art von Nebel, Mylord. Der reicht viele Kilometer in die Höhe. Das ist nicht der übliche Küstennebel oder Morgennebel, Sir. Das hier ist DER Nebel. Betsy hat nicht genug Auftrieb, um darüber hinweg zu gelangen. Zudem lagert sich der Dunst an der Hülle an und macht uns schwerer. Nicht viel, aber ich muss das berücksichtigen.“
„Nun, Sie sind der Pilot“, murmelte der Lord-Admiral. „Sagen Sie, warum nennt man Sie Calamity?“
Sie lachte ungezwungen. „Die Jungs behaupten, ich hätte ein Talent dafür, in Schwierigkeiten zu geraten. Aber keine Sorge, Mylord, ich habe auch das Talent, da wieder heraus zu gelangen.“
„Schön, das zu wissen“, seufzte Sir John. „Ich hoffe dennoch, dass wir nicht in Unannehmlichkeiten geraten.“
„Erst bei der Landung, Sir. Erst bei der Landung.“
Er fragte nicht nach, denn er konnte sich vorstellen, worauf sie damit anspielte. Solange sie in der Luft blieben, war das Risiko des Zusammenstoßes mit einem anderen Objekt sehr gering. Doch wenn sie zur Landung ansetzten, dann mussten sie tiefer gehen. So tief, dass man den Boden erkennen konnte. Ein plötzlich auftauchender Baum, ein Gebäude, falsch eingeschätzte Höhe – All das konnte dann zum Fiasko führen. Ihr einziger Vorteil bestand darin, dass das Luftschiff extrem langsam gleiten konnte.
Der Flug verlief eintönig und wirkte einschläfernd. Betsy schob sich durch weißgraue Watte, die sie auf allen Seiten umgab und die Geräusche dämpfte. Das leise Zischen in den Dampfleitungen mischte sich mit dem gleichmäßigen Brummen der beiden Propeller, ab und an knarrte der Sitz von Jane Wilder, wenn diese sich etwas bewegte. Insgesamt glich sie eher einer Statue, die, von Fliegerhaube und Lederjacke eingehüllt, unbeweglich schien. Sie war nicht zu beneiden, denn sie hatte nur ihre Instrumente und den Kompass zur Orientierung. Die vor Kälte schützenden Ohrklappen der Haube hatte sie mit dem Kinnriemen nach oben gebunden, damit ihr kein Geräusch entging, welches von draußen hereindringen mochte.
Sir John Prewitt war froh, mit dem Rücken zum Dampfkessel zu sitzen. Das Gerät strahlte wohlige Wärme aus und allmählich nickte der hohe Marineoffizier ein.
Er erwachte, als er von Jane angestoßen wurde und blinzelte irritiert. „Ich muss eingeschlafen sein. Was machen Sie da?“
„Ich pumpe Wasser aus dem Reservetank in den Hauptkessel“, erklärte sie und betätigte weiterhin den kleinen Pumpenschwengel. „Tut mir Leid, Mylord, ich wollte Sie nicht wecken.“
„Unsinn.“ Er reckte sich und gähnte herzhaft. „Das ist eigentlich meine Aufgabe.“
„Sie waren gerade so schön mit dem abholzen des schottischen Hochlandes beschäftigt, da wollte ich Sie nicht stören.“
„Hm. Ich schnarche?“
„Wie ein echter Flieger, Sir.“ Sie prüfte die Wasserstandsanzeige am Kessel und nickte zufrieden. „Hunger oder Durst? Wir haben heißen Tee und ein paar Sandwiches dabei.“
„Gott möge England und Sie schützen, Jane. Sie sind ein wahrhaftiger Engel.“
Sie lachte freundlich. „Nur Pilot, Sir, aber das ist ja dicht dran.“
Die junge Frau schob sich vorsichtig rückwärts, drehte sich und glitt wieder in ihren Pilotensitz. Dort beugte sie sich zur Seite, zog einen bauchigen Beutel hervor und nahm Thermoskanne und Brotdose heraus.
Das heiße Getränk belebte Sir John und er starrte neugierig nach vorne auf die Instrumente. „Wo sind wir?“
„Irgendwo zwischen Tyndrum und Taynuilt. Ich hatte Glück und habe Tyndrum direkt gefunden, jetzt fliegen wir genau westlich auf Taynuilt zu. Das liegt direkt am Loch Etive.“
„Sie sind eine ausgezeichnete Navigatorin“, lobte Sir John.
Sie errötete erfreut. „Ein wenig Glück war bei dieser Suppe natürlich auch dabei“, gestand sie ein. „Tyndrum hat einen Notlandeplatz des RAC. Die haben immer ein großes Leuchtfeuer im Signalturm eingeschaltet und zusätzlich ein mächtiges Nebelhorn. Ich konnte es hören und mich daran orientieren.“ Jane lächelte breit. „Die Ausbilder in der Akademie haben gesagt, in Navigation sei ich einfach ein Naturtalent. Ich habe nie wirklich die Orientierung verloren. Liegt mir vielleicht in den Genen.“
Читать дальше