Sir John war froh, nicht selbst fahren zu müssen. Es war schon für die Fußgänger nicht leicht, die Orientierung zu behalten, und er bewunderte die Autofahrer, die ihren Weg auch in der „Suppe“ fanden und dabei auch noch eine annehmbare Geschwindigkeit fuhren. Sein Fahrer wusste, dass Sir John in Eile war und hatte das Seitenfenster gesenkt. Es war unangenehm, dass der Nebel nun ins Fahrtzeug drang, aber der Fahrer konnte besser hören und somit ein wenig schneller fahren.
Gelegentlich war das leise Trällern der Atempfeifen zu hören, wenn Passanten in der Nähe waren und die Laute waren nicht einmal unangenehm. Es gab verschiedene Modelle und einige waren so konstruiert, dass sie eine kurze Tonfolge ausstießen. Es klang ein wenig, als würden ihre Träger eine fröhliche Melodie pfeifen, dann aber vergessen wie sie weiterging, und wieder von vorne beginnen. Zwei oder dreimal war das warnende Trillern der Pfeife eines Bobby zu hören.
„Wir sind gleich da, Mylord“, sagte der Fahrer unvermittelt.
Sir John blickte kurz zur Bordsteinkante. Rot-Weiß-Rot. Sie mussten sich tatsächlich in der unmittelbaren Nähe des königlichen Palastes befinden. Dann bog der Wagen auch schon ein. Kies knirschte unter den Reifen, Sir John sah flüchtig zwei Gardisten der Horseguards in ihren traditionellen roten Uniformröcken, dann hielt der Bentley zu seiner Erleichterung auch schon unter dem Vorbau des inneren Eingangs.
Der Lord-Admiral stieg aus und tauchte in die Pracht des Buckingham Palace ein. Er war den Anblick der scharfäugigen Gardisten und der livrierten Bediensteten ebenso gewöhnt, wie die üppige Ausstattung mit Gold und dicken Teppichen.
Der Kammerdiener der Königin fing ihn im Flur ab und verbeugte sich respektvoll. „Ihre Majestät und Premier Gordon erwarten Sie im kleinen Arbeitszimmer, Mylord. Wenn Sie gestatten?“
Der Mann wartete nicht auf eine Erwiderung, sondern wandte sich um und ging voraus. Obwohl Sir John diesen Weg schon oft gegangen war, galt es die höfischen Regeln einzuhalten, und kein Gast, auch keiner vom Rang des Lord-Admirals, bewegte sich ohne Begleitung durch den Palast. Es war eine allgemeine Vorsichtsmaßnahme für die Sir John absolutes Verständnis hatte. Kein Besucher sollte so dumm sein, die Männer und Frauen in ihren Goldstrotzenden Dienerschaftsuniformen für schlichtes Personal zu halten. Jeder von ihnen erfüllte wenigstens zwei Aufgaben, und eine davon war es, über die Sicherheit der Königin zu wachen. Selbst Sir John wusste nicht, welche Waffen unter den altmodisch wirkenden Jacken verborgen waren, aber ihm war bekannt, dass jeder der Dienerschaft ein ausgezeichneter Nahkämpfer war. Bedauerlicherweise hatte sich dies während der Jahre der kontinentalen Unruhen schon bewährt. Nicht jeder Untertan ihrer Majestät war ihr auch von Herzen zugeneigt. Es gab immer Fanatiker, die bereit waren, sich unter den seltsamsten Motiven zu opfern, und die meisten hingen sich kein Schild um den Hals, an dem man sie erkennen konnte.
Sie hielten vor einer unbedeutend wirkenden Tür an, der Livrierte klopfte kurz und öffnete dann die Tür. „Sir John Prewitt“, meldete er, wie es der Etikette entsprach. „Lord-Admiral der Flotte Ihrer Majestät.“
„Danke, Jürgen, Sie können gehen.“ Die Stimme der Königin klang sanft und melodisch.
Sir John machte die vorgeschriebene Verbeugung. Nicht allein weil dies der Sitte entsprach, sondern weil er die Königin in höchstem Maße respektierte. Vielleicht schwärmte er sogar ein wenig für sie, denn obwohl sie die Fünfzig schon überschritten hatte, war sie noch immer eine strahlend schöne Frau, die sich etwas Mädchenhaftes bewahrt hatte und doch zugleich majestätisch wirkte.
Victoria II., Regentin des britischen Empire, Königin Englands und seiner Gebiete, war in ein schlichtes Kostüm gekleidet. Der Mode entsprechend war das Mieder über der Seidenbluse geschnürt und betonte die weiblichen Formen. Der Glockenförmige Rock schwang weit aus. Ihre Majestät verzichtete auf jeglichen Schmuck und trug lediglich den Ehering ihres Gemahls, des Prinzregenten, sowie eine zierliche Brosche, die auf ihren Rang hinwies.
Ein Stück hinter ihr hatte sich Sir Gordon von einem Sessel erhoben. Er stellte seine Tasse Tee ab und die Ungeduld stand in sein Gesicht geschrieben, während er seinen Freund erwartungsvoll anblickte. Dennoch musste er sich gedulden, denn es lag an der Königin, das Gespräch zu eröffnen.
„Ich würde gerne ein wenig Konversation machen, Sir John“, sagte sie auch schon, „aber in einer halben Stunde beginnt ein Treffen mit den Vertretern unserer australischen und nordamerikanischen Kronkolonien.“
„Ich bin Eurer Majestät zutiefst zu Dank verpflichtet, dass Ihr mir eine so schnelle Audienz gewährt“, sagte Sir John artig und Victoria lachte freundlich, als sie ihn unterbrach.
„Lassen wir die höfischen Schnörkel, Sir John. Ich weiß, dass Sie ebenso beschäftigt sind, wie ich selbst dies bin. Also muss es dringend sein, und Ihr Adjutant, Commodore Frobisher, deutete an, es handele sich um Thermionit. Somit ist es in der Tat von Bedeutung, denn wir alle wissen, wie viel für Britannien von diesem Mineral abhängt. Also?“
Sir John zog das zusammengerollte Schriftstück aus seiner Jacke, und da sein Freund wenigstens ebenso wissbegierig war wie die Königin, überreichte er es ihr nicht, sondern las den Inhalt vor. Während Gordon ein wenig blass wurde, blieb das Gesicht Victorias unbewegt.
Als Sir John das Schreiben senkte, schwieg die Königin einige Sekunden. Ihre folgenden Worte zeugten von ihrer raschen Auffassungsgabe. „Ich gehe davon aus, Sir John, dass Sie das Verschwinden der beiden Raumfrachter als Folge eines feindlichen Aktes ansehen, und ich schließe mich dieser Meinung an. Ein einzelner katastrophaler Unfall wäre denkbar, doch bei zweien solcher Ereignisse schließe ich jegliche natürliche Ursache aus. Jemand hat die Schiffe sabotiert oder sogar angegriffen.“
„Sabotage können wir wohl ausschließen“, wandte Premier Gordon ein. „Kein Glaskopf wäre so verrückt, sein eigenes Schiff in die Luft zu sprengen. Wer einen Raumhelm trägt, der verdient sich sein Geld auf die harte Weise. Die Leute sind zwar alle ein bisschen verrückt, sonst würden sie ja nicht im Raum arbeiten, aber sie sind grundehrlich und wahre Patrioten.“
Die Königin lächelte überaus freundlich. „Ein solcher wahrer Patriot hat vor drei Jahren versucht, mich in meinem Palast umzubringen, Sir Gordon. Ein Mensch kann aus den verschiedensten Gründen zum Mörder oder Selbstmörder werden. Es gibt Menschen im Empire, die mit meiner Regentschaft nicht einverstanden sind, Premier, und es gibt äußere Feinde, die glücklich wären, wenn sie ein Ende fände. Wobei sich mancher Feind hinter der Fassade eines freundlichen Lächelns verbirgt. Nein, Sir Gordon, wir können Sabotage nicht ausschließen. Dies erscheint mir sogar wahrscheinlicher, als ein offener feindseliger Akt. Keine Nation verfügt über Raumschiffe, mit denen man ein anderes Schiff angreifen und zerstören könnte.“
„Man kann ein Schiff auch durch Rammen versenken“, gab Sir John zu bedenken. „Allerdings wäre dies im Weltraum ein selbstmörderisches Unterfangen und man müsste über ein eigenes Raumschiff verfügen. Da der Schlichterrat die Vorräte des Hiromata-Kristalls kontrolliert, halte ich es für ausgeschlossen, dass jemand heimlich ein Schiff erbaut hat. Euer Majestät, ich pflichte der Meinung von Sir Gordon bei. Nach dem Verlust des ersten Schiffes haben wir die Besatzungen und die Minenarbeiter der Henlon Industries von Scotland Yard und Geheimdiensten mehrfach überprüfen lassen. Der Sicherheitsdienst von Henlon hat eigene Leute vor Ort, Majestät, und soweit ich gehört habe, handelt es sich um sehr fähige Kräfte. Ich weiß, selbst das ergibt keine absolute Gewissheit, dass sich nicht doch ein Saboteur eingeschmuggelt hat, aber es erscheint mir doch unwahrscheinlich. Ich befürchte eher, dass man von außen auf die Schiffe eingewirkt hat.“
Читать дальше