Die Frage war nur, ob der Schotte sich für diesen begeistern ließ.
Auch wenn McDenglot klug genug war, die rein politische Entscheidung hinter seiner Zwangspensionierung zu sehen, so verletzte sie dennoch seinen Stolz, denn sie befleckte fraglos seine Ehre als Offizier. In jedem Fall musste sich Sir John sehr schnell Gewissheit verschaffen, ob McDenglot die schwierige Mission übernehmen würde, denn England musste schnell und entschlossen handeln. Wenn weitere Lieferungen von Thermionit ausfielen, konnte die Lage für das Empire rasch prekär werden.
Sir John wollte persönlich mit McDenglot sprechen.
Auch dafür gab es mehrere gute Gründe. Je weniger Menschen von der geheimen Mission erfuhren, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch geheim blieb. Er wollte und konnte keinen Untergebenen entsenden, gleichgültig, wie hoch dessen Rang auch sein mochte, denn der Schotte sollte von vornherein begreifen, wie wichtig der Plan war, und dass er die Unterstützung höchster Stellen besaß.
Das Problem war nur, Eugenius McDenglot auch zu erreichen.
Der Nebel hatte die englischen Inseln fest im Griff und die Auswahl an Transportmitteln war, selbst für den Lord-Admiral, sehr begrenzt. Die Fahrt mit einem Dampfwagen wäre zu unsicher und würde zu lange dauern. Einen der neuen zweisitzigen Jäger zu benutzen kam erst gar nicht in Betracht. Zwar waren deren dampfbetriebene Motoren inzwischen sehr zuverlässig und leistungsfähig, aber wie sollte ein Doppeldecker mit hydraulischem Flügelschlag bei diesem Nebel landen? Bei einer Sichtweite von allerhöchstens zehn Metern war das vorsätzlicher Selbstmord. Auch die Linienluftschiffe stellten bei dieser Witterung den Passagierverkehr ein. Somit blieb dem Lord-Admiral nur eine einzige Möglichkeit – Die Reise mit einem der Aufklärungsschiffe des Royal Air Corps.
Sofern er einen Piloten fand, der dumm oder tollkühn genug war, in diesen Nebel aufzusteigen.
Er ließ sich zum Flugfeld des königlichen Luftkorps bringen und hoffte darauf, dass seine Autorität ausreichte, einen der Piloten zu diesem gefährlichen Flug zu bewegen. Sein hoher Rang in der Navy gab ihm keine Befehlsgewalt innerhalb des RAC.
Die Wache am Tor sah ihn überrascht an und wollte hastig eine Ehrenwache heraustreten lassen, doch Sir John winkte ab und erkundigte sich nach dem Bereitschaftsraum der Flieger. Der Mann übergab seinen Dienst an einen anderen Soldaten und stieg in den Wagen ein, da er befürchtete, dass der hohe Gast sich sonst eher verfahren würde.
Wenig später trat Sir John in den geräumigen Raum, der Piloten und Mannschaften der Aufklärungsluftschiffe und Abfangjäger als Aufenthaltsraum diente. Die meisten der Männer und Frauen vertrieben sich die Zeit mit diversen Spielen, wobei etliche offensichtlich auch dem Alkohol zusprachen, obwohl dies während der Dienstzeit verboten war. Sir John hatte durchaus Verständnis, denn jetzt, zur Zeit des langen Nebels, war nicht mit einem Start zu rechnen.
Die Angehörigen des RAC erhoben sich überrascht, als der hohe Besuch so unerwartet in der Tür stand. Ihre Blicke waren skeptisch, während sie vorschriftsmäßig grüßten. Sir John hoher Rang verpflichtete sie dazu, obwohl das Corps nicht der Navy unterstand.
„Ich muss hinauf nach Schottland“, eröffnete der Lord-Admiral. „Und ich suche einen Piloten, der genug Eier in der Hose hat, mich jetzt dorthin zu fliegen.“
Die unverblümten Worte aus dem Mund eines hohen adligen Offiziers überraschten die Männer und Frauen sichtlich. Gemurmel erhob sich, man sah sich untereinander an.
„Bei allem Respekt, Mylord“, meinte einer. „Bei dieser Suppe steigt keiner auf, dem noch etwas an seinem Leben liegt. Zudem bräuchten wir dazu einen Befehl des Sky-Commanders.“ Er lächelte herausfordernd. „Und der war selber Flieger und schickt bei dem Wetter keinen hinauf.“
Eine junge Frau schob sich nach vorne. „Ich habe zwar keine Eier in der Hose, Mylord, aber ich würde es versuchen.“
„Jane „Calamity“ Wilder, wer auch sonst?“, knurrte ein Pilot. „Immer bereit, mit beiden Beinen in einen Fettnapf oder eine Katastrophe zu springen.“
„Ich springe dir gleich ganz woanders hin“, fauchte die Pilotin.
„Genug!“ Ein grauhaariger Geschwaderführer sah die anderen scharf an. „Das hier ist das Royal Air Corps und ich erwarte, dass Sie alle sich wie Offiziere Ihrer Majestät benehmen. Wir sind hier nicht in einem verdammten irischen Pub in Dublin.“ Er wandte sich Sir John zu. „Verzeihen Sie, Mylord, es sind alles gute Flieger, aber es zerrt ein wenig an den Nerven, wenn einen die Suppe zur Tatenlosigkeit verurteilt.“
„Das mit der Suppe riskiere ich“, meldete sich die Pilotin erneut zu Wort. „Muss wichtig sein, wenn ein Seefuß das Wagnis auf sich nehmen will.“ Ihr Blick wanderte zu Sir John. „Aber ich kann keinen Anschiss vom Sky-Commander gebrauchen, Mylord.“
„Das regle ich“, versicherte der Lord-Admiral.
„Na schön.“ Die junge Frau straffte sich. „Von mir aus können wir. Muss nur erst die Bodenmannschaft zusammensuchen, damit meine Betsy befüllt wird.“
Sir John vermutete, dass sie damit ihr Luftschiff meinte und er sollte Recht behalten. Obwohl die anderen Flieger das Vorhaben für Wahnsinn hielten, folgten sie dem hohen Seeoffizier und dessen Pilotin in den Nebel hinaus. Neugierig, ob es wirklich zum Start kam, und bereit, den beiden Wagemutigen alles Glück zu wünschen.
Jane Wilder ging voraus und rief eine Reihe von Namen in den Nebel. Sie fand ihren Weg zu den Hangars mit traumwandlerischer Sicherheit, und Sir John schlug den Mantelkragen hoch und folgte ihr hastig.
Von irgendwo aus dem Dunst tauchte ein stämmiger Mann im Arbeitszeug auf. „Was, verdammt, ist denn los?“ Scheinbar erkannte er Sir Johns hohen Rang nicht, denn er ignorierte diesen völlig. Stattdessen blickte er die Pilotin kopfschüttelnd an. „Ist doch nicht Ihr Ernst, Calamity, oder? Ich meine, Sie wollen doch nicht bei dem Wetter …?“
„Der da will“, erwiderte sie und deutete auf Sir John. „Ist der Oberflieger von den Schwimmfüßen und er muss nach Schottland hoch.“
„Allmächtiger, ich wusste ja schon immer, dass man verrückt sein muss, wenn man auf dem Wasser herumschwimmt.“
Sir John lächelte, obwohl man das hinter dem hochgeschlagenen Kragen kaum sehen konnte. „Nein, man muss nicht verrückt sein. Aber es ist auch kein Hinderungsgrund.“
Der Stämmige lachte. „Und Sie sind echt ein Admiral?“
„Lord-Admiral.“
„Allmächtiger.“ Der Mann salutierte und sah dann erneut die Pilotin an. „Wird eine halbe Stunde dauern, Calamity. Die Hülle ist zwar fast steif, aber wir müssen den Kessel vorheizen und Gas nachfüllen. Schlage vor, dass ihr trotzdem schon einmal einsteigt. Ist ziemlich ungemütlich hier draußen, und der Mylord sieht so aus, als wäre ihm kalt.“
Vor ihnen im Nebel erschien matter Lichtschein, als man die beiden großen Rolltore des Hangars zur Seite schob. Sir John war überrascht, wie nahe sie schon vor dem mächtigen Gebäude gestanden hatten. Im Schein der elektrischen Bogenlampen wurden zwei der typischen Aufklärungsschiffe des Royal Air Corps sichtbar. Eine Wartungsmannschaft begann hastig, eines von ihnen startbereit zu machen.
Die Pilotin schob den Lord-Admiral auf ihr Luftschiff zu. „Das ist meine Betsy “, sagte sie mit sichtlichem Stolz. „Sie ist ein braves Mädchen und hat mich nie im Stich gelassen. Sie ist ein Prallluftschiff und keines dieser Starrluftschiffe, wie die Passagierzeppeline.“
„Ich weiß“, brummte Sir John. „Sie hat keine starre Hülle und auch kein Innenskelett.“
„Richtig.“ Die Frau schien ein wenig überrascht, dass ihr Fahrgast dies wusste. „Während der Dampfkessel angeheizt wird, werden die Mechaniker das Gas in der Hülle auffüllen. Ist nicht brennbar, Sir John, Sie können hier also beruhigt rauchen, falls Sie das wünschen.“
Читать дальше