Doch als Tamit immer lauter schrie und das Kind noch immer nicht kommen wollte, fing auch ihre Schwester zu bangen an. Mit leiser Stimme flehte sie zu Hathor, der Liebesgöttin, die auch bei der Geburt beistand. Doch als auch das nichts nützte, schickte sie Eje in den am nächsten gelegenen Tempel, um einen Priester oder Magier zu holen.
Auch Chunes hielt es im Nebenzimmer nicht mehr aus. Er ging hinüber und trat zu Tamit ans Bett. Mit einem feuchten Tuch wischte er den Schweiß von ihrer Stirne, während seiner ihm über das Gesicht und von der nackten Brust auf den Wickelschurz rann. Auch Ti, obwohl sie selber Schlimmes befürchtete, redete auf Chunes ein. Sie habe das auch durchgemacht und überstanden. Ohne Schmerzen gehe das nun einmal nicht.
Eje brachte einen älteren, untersetzten Mann mit, der in der Hand eine kleine Statue der Göttin Thoëris in der Gestalt eines aufrecht stehenden Nilpferds trug. Die langen Brüste hingen über dem dicken, schwangeren Bauch des Nilpferdes. Der Priester hielt die Statue über Tamit und murmelte unverständliche Beschwörungsformeln.
Es war eine schwere, schmerzvolle Geburt. Doch umso größer war die Freude und Erleichterung, nicht nur bei Tamit, sondern bei allen Umherstehenden, als das Kind, es war ein Mädchen, endlich aus der Mutterhöhle herausgezogen werden konnte und zu schreien anfing.
Tamit verlor viel Blut und versank nach kurzer Zeit in einen tiefen Schlaf.
Es war schon dunkle Nacht, als Eje und Ti mit ihrem Kind nach Hause zurückkehrten, ermattet, aber glücklich, dass alles überstanden war.
Am nächsten Tag, gegen Mittag, kam Chunes angerannt. Er war aufgelöst und hielt ein schreiendes Bündel vor sich in den Händen. Er streckte es Ti entgegen und sank, als sie es ihm abgenommen hatte, auf einen Stuhl.
Eje, der ebenfalls zugegen war, und Ti waren erschrocken.
„Was ist geschehen?“, fragte Eje. Doch Chunes gab keine Antwort. Er saß da und hielt das Gesicht in den Händen verborgen.
Das Kind heulte. Doch Ti hielt die Kleine noch immer fassungslos in den Armen und starrte auf den armen Vater, der sich offensichtlich in seiner Verzweiflung nicht zu helfen wusste.
„Gib ihm endlich zu trinken!“, schrie Chunes und sah seine Schwägerin mit irrem Blick an.
„Sag mir zuerst, was los ist!“, gab Ti zurück. Sie begann an seinem Verstand zu zweifeln.
„Tamit ist tot“, würgte er hervor.
Eine beklemmende Stille trat ein. Selbst das Kind hatte für einen Augenblick aufgehört zu schreien. Als es wieder zu heulen anfing, entblößte Ti instinktiv ihre Brust und gab ihm zu trinken.
Allmählich war aus dem verstörten Chunes herauszubekommen, was geschehen war. Tamit war nach einem langen Schlaf aufgewacht. Von dem großen Blutverlust war sie geschwächt. Sie hatte nach dem Kind verlangt, und Chunes hatte es aus der Wiege gehoben und es ihr an die Brust gereicht. Beinahe entzückt hatte er zugeschaut, wie das Kind trank, bis er auf einmal bemerkte, wie sich der weiße Überwurf, der die Stillende bedeckte, rot färbte. Er schlug die Decke zurück und sah, dass Tamit wieder eine Menge Blut verloren hatte. Er war verzweifelt, wollte einen Arzt oder die Hebamme holen, wagte aber auch nicht, seine Frau zu verlassen. Es war ohnehin zu spät. Tamit hauchte ihr Leben aus, noch während das Kind an ihrer Brust lag.
„Ihr müsst das Kind nehmen“, bat Chunes. „Es braucht doch eine Amme. Ich weiß mir sonst keinen Rat.“
Ti und Eje waren sich einig. Sie brauchten dazu kein Wort zu verlieren.
„Hat das Mädchen denn schon einen Namen?“, fragte Eje.
„Nein, wir hatten noch gar keine Zeit, darüber nachzudenken“, erwiderte Chunes.
„Ist es nicht ein schönes Kind?“, meinte Ti, als sie das Mädchen gesäugt hatte und sie es mit ausgestreckten Armen vor sich hinhielt.
„Nennen wir es doch Nofretete, ‚die Schöne ist gekommen’“, sagte Eje. Und Chunes und Ti waren einverstanden.
Chunes kehrte mit Eje in sein Haus zurück. Eje ließ Hilfe holen, um die Tote zu waschen und für die Einbalsamierung vorzubereiten.
Die Einbalsamierer holten die Leiche ab. In wochenlanger Arbeit würden sie nun ihrem Körper die Organe entnehmen, den präparierten Leib einbalsamieren und mit Leinentüchern umwickeln. Chunes brachte den Priestern einige Amulette und die Schmuckstücke, die Tamit besonders gerne getragen hatte, damit sie diese in die Tücher einwickeln konnten.
Am Ende der siebzig Tage dauernden Trauerzeit wurde der mumifizierte Körper in einen bemalten Sarg gelegt und in der Nekropole Saqqara auf der Westseite des Nils begraben, nachdem Chunes seiner verstorbenen Gemahlin den Liebesdienst der Mundöffnung erwiesen hatte, damit sie Osiris in der Duat auf seine Fragen antworten und ihr Ba den Körper verlassen und wieder in ihn zurückfinden konnte.
Amenhotep liebte die Löwenjagd über alles. Nie, wenn er auf seiner Barke in den Süden fuhr, um einige Zeit in Theben zu residieren und in Karnak den Göttern, allen voran seinem göttlichen Vater Amun, zu huldigen, versäumte er es, den Nil weiter hinauf nach Kusch zu fahren, um mit dem Vizekönig auf die Jagd zu gehen.
Zu den Opet-Festen in Karnak durfte auch die Große Königsgemahlin nicht fehlen. Mit im Hofstaat, der in weiteren Booten hinter der königlichen Barke fuhr, war nun auch Eje, der von Amenhotep zum General und Berater ernannt worden war. Manchmal war auch Eje mit dabei auf der Löwenjagd, zuweilen aber blieb er mit Teje zurück zu ihrem persönlichen Schutz.
Zweieinhalb Jahre nach der Geburt von Thutmes und nur wenige Wochen nach der Geburt von Mutnedjemet und Nofretete hatte Teje ihren zweiten Sohn geboren, der nach seinem Vater Amenhotep genannt wurde. Es war eine schwere Geburt. Die Ärzte befürchteten das Schlimmste. Amenhotep, der Sohn des Hapu, der sich wie kein anderer in der Magie auskannte, beschwor die Götter mit magischen Sprüchen. Der Junge überstand die Krise, doch er blieb ein schwächliches Kind. Er hatte nicht den molligen Körper der Säuglinge. Der Kopf war lang und schmal, die Brust flach, und seine Arme und Beine waren dünn. Nur langsam nahm er an Gewicht zu.
Trotz der Sorge, die im Palast um das Leben des Kindes herrschte, fuhr der Pharao im Jahr nach dessen Geburt wieder zur Löwenjagd und ließ Teje in Memphis zurück.
Eje, der wegen der militärischen Ungewissheit im Norden gute Gründe gehabt hatte, den Pharao nicht zu begleiten, besuchte Teje schon in der ersten Woche nach Amenhoteps Abfahrt.
Die Große Königsgemahlin saß in ihrer Kammer mit dem Jüngsten in ihren Armen, als Eje eingelassen wurde. Das Kind schrie und weigerte sich zu essen.
„Eje, was soll ich tun?“, fragte sie. „Das Kind stirbt mir noch in den Armen hinweg, wenn es nicht mehr isst. Die Ärzte wissen nicht, was ihm fehlt. Er hat an Gewicht verloren. Sieh nur, wie dünn sein Körper ist, so zerbrechlich.“
„Ich verstehe nicht, dass Pharao dich jetzt allein lässt, nur um auf die Löwenjagd zu gehen. Ist seine Leidenschaft tatsächlich so groß, dass ihn die Krankheit seines Kindes unberührt lässt?“
„Es ist nicht nur das“, antwortete Teje. „Ich glaube, er gibt mir die Schuld, dass das Kind so schwächlich ist. Und manchmal denke ich, dass er Recht hat. Das Kind hat sich schon in meinem Leib nicht richtig entwickeln können.“
„Du hast keinen Grund, dich selber schuldig zu fühlen“, entgegnete Eje und ergriff ihre Hand. „Pharao wird enttäuscht sein, dass sein zweiter Sohn nicht so kräftig ist. Vielleicht hat er sich vorgestellt, dass er einmal mit seinen Söhnen auf die Löwenjagd gehen wird. Aber er hat ja noch Thutmes. Der ist doch ein munteres, kräftiges Kind. Hab keine Angst, Amenhotep wird dir nicht ewig grollen können.“
„Es ist nicht das allein“, erwiderte Teje mit einem Ausdruck in ihrem Gesicht, das teils Kummer, teils aber auch Unmut zeigte. „Zwar sucht er mich immer noch ab und zu in der Nacht in meiner Schlafkammer auf. Trotzdem hat er seit der Geburt des Kleinen immer wieder Töchter von Haremsfrauen seines Vaters geholt. Er beteuert mir jedoch seine Liebe, und er bespricht die Geschäfte mit mir und hört nicht nur auf den Sohn des Hapu. Und er legt großen Wert darauf, dass alle Dokumente, die sein Siegel tragen müssen, auch von mir gesiegelt werden.“
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