Martin Renold
Abraham
Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Martin Renold Abraham Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
Terachs Traum von Freiheit
Die Sonne verfinstert sich
Abram will mehr wissen
Haran und Abram
Schicksalsschläge
Milka
Terachs Traum wird wahr
Von Ur nach Babylon
Von Babylon nach Haran
An der Wegscheide
Im Lande Kanaan
In Ägypten
Sarai am Hof des Pharaos
Streit zwischen den Hirten
Lot zieht nach Sodom
Mamre
Lots Rettung
Hagar
Das Leben in Sodom
Gott schließt einen Bund mit Abram
Sodom und Gomorra
Lots Töchter
Abimelech
Abrahams Söhne
Abrahams Bund mit Abimelech
Isaak
Saras Tod
Ismael
Nahor und seine Nachkommen
Abraham und Ketura
Rebekka
Isaak begegnet Ismael
Esau und Jakob
Impressum neobooks
Terachs Traum von Freiheit
Die Stadttore von Ur im Land Aram-Naharaim, dem Land der zwei Ströme, waren geschlossen. Es war eine mondlose Nacht. Schwarz und gespenstisch ragten die Mauern, hinter denen die Bewohner schliefen, in die Höhe, unüberwindlich für jeden Feind. Die Soldaten von Sin-Aschar, dem Statthalter des Königs Rim-Sin, der in Larsa herrschte und dem auch Ur untertan war, hielten Wache auf den Zinnen. In den dunklen Gassen war es ruhig. Nur hie und da hätte ein später Heimkehrer, wenn es denn einen solchen gehabt hätte, das Kläffen eines Hundes, den leisen Zuruf eines Soldaten an einen Kameraden auf der Mauer oder die Schritte der Wächter, die durch die Gassen patrouillierten, gehört. Doch niemand wagte sich um diese Zeit aus den Häusern. Die Türen waren verriegelt.
Bis zum Aufgang der Sonne herrschte ein strenges Ausgehverbot. Obwohl die Stadt schon vor Jahrzehnten von den Herrschern aus Larsa besetzt worden war und von ihnen regiert wurde, traute der König dem Volk der Chaldäer nicht. Es waren eigensinnige Leute, die sich gerne die vergangene Zeit zurückwünschten. Und Rim-Sin waren die Aufstände gegen frühere Herrscher wohl bekannt. Wie viel hatte er schon für dieses Volk getan! Er hatte die Kanäle in der Stadt erneuert und neue gebaut, er hatte die Bewässerungsanlagen auf den Feldern verbessert, hatte die Stadtmauern und Tore verstärkt, aber das Volk dankte es ihm nicht. Die Chaldäer wollten nicht unter der Herrschaft von Larsa leben. Doch sie mussten endlich verstehen, dass die große Zeit der Könige von Ur vorbei war.
Die alte Königsburg, die jetzt von Sin-Aschar, König Rim-Sins, vom Volk ungeliebtem Statthalter, bewohnt wurde, war Tag und Nacht streng bewacht. Und auch durch die breite, gepflasterte Hauptstraße und die engen, von Abfall und Kot übel riechenden Nebengassen, die sich zwischen die aneinandergebauten Häuser hineindrängten, gingen die Wächter des Nachts, mit Speeren und Äxten bewaffnet. Und nicht selten kam es vor, dass sie an eine Tür klopften, um zum Rechten zu sehen.
Auch in dieser dunklen Nacht schritten zwei Soldaten, von der Burg her kommend, durch die leicht gebogene Hauptstraße, schauten links und rechts in jeden Winkel, ob sie etwas Verdächtiges entdeckten, gingen bis zu dem Platz, von dem aus fünf Straßen sternförmig auseinanderliefen, blieben eine Weile stehen und horchten in alle Richtungen, schritten dann nach Osten weiter, um eine Ecke, und noch eine, und bogen schließlich in ein schmales Gässchen ein.
Die Gasse mündete in einen kleinen Hinterhof, der kaum mehr als doppelt so breit wie die Gasse war. Dort schreckten sie zwei Hunde auf, die sich um den Abfall stritten, der von den Bewohnern auf den Hof geschüttet worden war. Sie erschraken selbst, wollten sich zurückziehen, hörten aber hinter einer verschlossenen Tür auf einmal laute Stimmen. Sie konnten jedoch nichts verstehen.
Sie gingen an den Hunden, die den beiden Soldaten weiter keine Beachtung schenkten, vorbei und traten auf das Haus zu, aus dem die Stimmen kamen.
»Was meinst du«, fragte der eine Soldat den andern, »sollen wir eingreifen? Vielleicht braut sich eine Verschwörung zusammen. «
»Die würden nicht so laut reden, wenn sie etwas Schlimmes im Schilde führten«, meinte der andere, der lieber einer unnötigen Auseinandersetzung aus dem Weg ging.
»Wir sollten doch ... Ich will dann nicht meinen Kopf hinhalten ...«, sagte der erste und hob seine Hand zu einer abweisenden Bewegung, die sein Kamerad wegen der Dunkelheit dieser mondlosen Nacht aber kaum wahrnehmen konnte.
Es war ein Haus wie jedes andere in diesem Viertel. Sie standen eng zusammengebaut, zwei- und dreistöckig. Sie hatten Türen, aber keine Fenster auf die Straße hinaus. Das Tageslicht gelangte über kleine Innenhöfe in die Gebäude. Die Bewohner waren zumeist Handwerker, die im Erdgeschoss neben einem Wohnraum ihre Werkstatt hatten. In den oberen Geschossen befanden sich die Schlafgemächer des Hausherrn und seiner Gattin und jene ihrer Kinder. Hier in diesem Viertel der Stadt hatten die Männer meistens nur eine Frau. Nur Adelige und reiche Bürger, die in einem vornehmeren Stadtteil wohnten, leisteten sich manchmal eine Nebenfrau oder eine Geliebte und Gesinde, das für die Hilfe in Küche und Haushalt benötigt wurde.
Im Haus von Terach ging es an diesem Abend ungewöhnlich laut zu und her, genauer gesagt, in der Werkstatt, die einen eigenen Eingang besaß. Terach hatte seine drei Söhne Abram, Nahor und Haran, die zusammen mit ihrer Stiefmutter Sia und deren Tochter Sarai im Wohnzimmer gesessen hatten, gebeten, mit ihm in die Werkstatt zu gehen. Er wollte mit ihnen allein reden. Da er schon am Tag vorher angedeutet hatte, worum es gehe, hatte er guten Grund anzunehmen, dass es eine hitzige Diskussion geben könnte. Deshalb wollte er seine Frau nicht dabei haben. Sie würde sich doch nur aufregen.
Sie hatten schon eine geraume Weile gestritten, und es war immer lauter geworden. Besonders Haran, der Jüngste, hatte sich kaum mehr beherrschen können.
»Könnt ihr das denn wirklich nicht verstehen?«, fragte Terach. »Mein Vater war ein Nomade. Er hatte Schafe und Ziegen und zog durch das Land, stellte sein Zelt einmal da auf und einmal dort, unter dem freien Himmel, im Schatten einer Tamariske oder unter Dattelpalmen. Am Tag sah man über die grünen Weiden, über die gelben Getreidefelder, sah den Euphrat, hörte sein Rauschen, und des Nachts leuchteten der Mond und die Sterne, und man hörte das Heulen der Wölfe, und am Morgen weckte einen der Gesang der Vögel. Und was sieht man hier? Am Tag nur die Mauern der Häuser rund um einen herum und des Nachts gar nichts. Ein kleines Stück Himmel, wenn’s hoch kommt zwei, drei Sterne und nur eine Ahnung vom Licht des Mondes. Wann habt ihr zum letzten Mal den Mond gesehen? «
»Was brauch ich den Mond zu sehen?«, antwortete Nahor. »Hier in der Stadt sehe ich Menschen, Freunde, da brauch ich den Mond nicht.«
Er schüttelte den Kopf. Wie konnte sein Vater nur auf eine solche Idee kommen. Er hielt ihn für einen Träumer. Warum sollten er und sie, seine Söhne, alles aufgeben, ihr Handwerk, die Sicherheit, die ihnen das Haus und die Stadt boten, tauschen gegen eine ungewisse Zukunft in Zelten, die keinen sicheren Schutz boten vor Unwettern, vor wilden Tieren oder Räubern und Dieben?
»Auch ich habe meine Freunde«, sagte Haran. »Draußen vor der Stadt kennst du niemand. Da bist du allein. Und wenn es regnet und stürmt, soll ich dann tagelang im Zelt sitzen und lauschen, wie der Regen auf das Zeltdach prasselt oder warten, bis das Wasser hereinströmt? Das ist nichts für mich.«
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