Martin Renold
Daniel in Babylon
Historischer Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Martin Renold Daniel in Babylon Historischer Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
Zeittafel
Biblische Personen
Historische Personen
Erfundene Personen
Quellen:
Impressum neobooks
„Hei, Beltsazar“, ruft Abed-Nego seinem Freund zu, „hast du nicht Lust, mit uns einen Wettlauf zu machen?“
Der Angesprochene reagiert nicht. Er sitzt in sich versunken auf einem Stein, der die Ecke eines dreihundert Fuß langen und hundertvierzig Fuß breiten Spielfeldes markiert.
Abed-Nego, der mit seinen beiden Freunden, abgetrennt von den babylonischen Knaben, die sich in der diagonal gegenüberliegenden Ecke des Spielfeldes mit einem Ballspiel beschäftigen, etwa zwanzig Schritte von Daniel entfernt steht, ruft noch einmal eindringlich, aber nicht zu laut: „Beltsaaazar“.
„Lass ihn“, sagt Sadrach, einer der vier Freunde, zu denen auch Mesach gehört. „Er hat sich immer noch nicht an seinen neuen Namen gewöhnt.“
„Es ist nicht nur das“, meint Abed-Nego. „Er hätte es am liebsten, wenn wir uns alle mit unseren alten israelitischen Namen rufen würden. Er glaubt, er würde unserem Volk und unserem Gott untreu, wenn wir uns untereinander mit den babylonischen Namen ansprechen.“
„Er weiß doch, dass das gefährlich ist“, mischt sich nun auch Mesach ins Gespräch ein. Wir können unserem Gott doch trotzdem treu sein. Aber wir müssen uns vor unsern anderen Mitschülern in Acht nehmen. Nicht alle sind uns Israeliten gutgesinnt.“
Mesach wirft einen raschen Blick zu den babylonischen Kameraden hinüber und zu dem Mann, der die vier jungen Israeliten und die acht jungen Babylonier auf das Spielfeld vor den Mauern begleitet hat. Doch der geht außerhalb des Feldes hin und her, anscheinend ohne groß auf die ihm anvertrauten Knaben zu achten.
Daniel, oder Beltsazar, wie er nun heißt, bleibt auf dem Stein sitzen. Abed-Nego hat Recht. Die Schmach, die man ihm, seiner Familie und seinem Volk angetan hat, kann er nicht vergessen. Er hat immer noch die Bilder im Kopf, wie die Krieger des babylonischen Königs Nebukadnezar in das Haus seines Vaters eingedrungen waren. Brutal. Ohne anzuklopfen. Auf Befehl des Königs, sagten sie, müssten alle, Vater, Mutter und die Geschwister, mit ihnen gehen. Ein paar Kleider durften sie mitnehmen, ausdrücklich auch gutes Schuhwerk. Den Schmuck warfen sie in einen Sack, und dann legten sie seinem Vater Fesseln an. Die ganze Familie wurde weggeführt.
Die Sonne hatte vom Himmel herabgebrannt. Daniel erinnert sich, wie er sich umgewandt hatte. Ihr blendendes Licht war auf das Haus gefallen, hatte die Mauern vor dem Hintergrund des tiefblauen Himmels noch weißer erscheinen lassen, als sie schon waren, so als wollte sie die Erinnerung daran in seine Augen einbrennen. Oder wollte sie die Schmach und den Schmerz noch erhöhen? Schau nur noch einmal hin, das musst du zurücklassen, die Straße, wo du schon als kleiner Bub mit den Nachbarskindern gespielt hast, das Haus, in dem du deine Kindheit verbracht hast. Im Gefängnis wirst du in ewiger Nacht und Dunkelheit leben.
Schon beim Nachbarhaus und unterwegs begegneten sie weiteren babylonischen Soldaten, die ganze Familien, ihre Nachbarn, wegschleppten. Asarja, sein bester Freund, war auch unter ihnen. Er sah ihn, als er sich umdrehte. Er wollte zu ihm, doch ein Soldat hielt ihn auf. Marsch, lauf vorwärts! Er verstand die fremde Sprache nicht, aber die Hand, die ihn unsanft stieß, genügte, um zu verstehen. Alle wurden durch die Gassen hinabgetrieben. Die Antreiber drängten sie mit lauten Rufen vorwärts. Als sie unter dem Tempel vorübergingen, sahen sie, wie Soldaten goldene Gefäße über die Treppe hinabtrugen. Auf halber Höhe blieben sie stehen und hoben die heiligen Gegenstände hohnlachend in die Höhe. Und hinter ihnen, auf der obersten Stufe, bewacht von seinen Soldaten, stand wie ein Priester mit erhobenen Händen Nebukadnezar. Das war mehr noch als die persönliche Schmach eine Entweihung des Tempels, eine Gotteslästerung.
Ein paar Schritte vor Daniel ging Ezechiel, ein Priester. Daniel kannte ihn vom Tempel, wenn er am Sabbat mit seinem Vater zum Gebet ging.
Ezechiel war einen Augenblick stehen geblieben. Daniel hatte gesehen, wie er sein Haupt vor Scham, dass solches seinem Gott angetan wurde, gesenkt hatte. Als Daniel zu Ezechiel aufgeschlossen hatte, hob dieser seine Augen wieder, und einen kurzen Augenblick schauten der Priester und der Knabe Daniel einander in die Augen. Jeder sah im andern Tränen schimmern, ehe Ezechiel von seinem Antreiber wie ein störrischer Esel weitergetrieben wurde. Diesen Anblick der Schande beim Tempel und den Blick Ezechiels kann Daniel nie vergessen.
Nein, es ging nicht ins Gefängnis. Außerhalb der Mauern standen Ochsenkarren bereit, auf denen die weinenden Frauen und die zum Teil laut schreienden kleinen Kinder sich hinsetzen durften. Die Männer und alle, die sonst noch gehen konnten, mussten zu Fuß hinter den Wagen gehen. So eine Demütigung. Schließlich waren die Väter alle ehrenhafte Männer, Richter, Schriftgelehrte, hohe Beamte, angesehene Kaufleute und Tempeldiener. Zwei und zwei aneinandergefesselt, mussten sie gehen, angetrieben von den Soldaten Nebukadnezars.
Daniel und einige seiner Freunde, die er unter den Gefangenen gesehen hatte, waren wie alle Jugendlichen, Knaben und Mädchen, nicht an die Strapazen des Marsches und an die Kälte in den Nächten, in denen unter freiem Himmel gelagert wurde, gewöhnt. Nachts in den Lagern wurden die Männer manchmal von ihren Fesseln befreit. Aber das Lager wurde bewacht. An Flucht war nicht zu denken. Die Männer und jeder sonst, der rechnen konnte, zählte die Tage. Doch einer war wie der andere, selbst am Sabbat wurde marschiert. Wochenlang ging es in brütender Hitze über steinige oder sandige Wüsten und durch enge Täler und über hohe Pässe. Das Wasser in den Schläuchen reichte manchmal kaum bis zum nächsten Brunnen oder zur nächsten Oase.
Daniel sieht die Bilder, die ihn oft noch nachts in erschreckenden Träumen verfolgen, vor sich, als wäre all das noch nicht zu Ende. Es sind Erinnerungen an viel Gejammer und Schreien, an bleiche Gesichter mit dunklen Augenhöhlen und alte, schwache Menschen, die die Strapazen nicht überlebten und einfach im Sand verscharrt wurden. Die meisten, auch die in Jerusalem geachteten und vornehmen Männer, sahen schon nach wenigen Tagen zerlumpt und verstaubt wie Bettler aus. Und alle beschäftigte die Sorge, was aus ihnen werden sollte, wenn sie Babylon, wohin man sie, wie es hieß, verbringe, überhaupt erreichen würden.
Zuerst waren sie das ganze Jordantal hinaufgetrieben worden. Sie hatten die Berge des Libanon gesehen, ehe sie an den Oberlauf des Euphrats gekommen waren. Von da an ging es leichter, aber es schien endlos, immer in der Nähe des Flusses, der allmählich zu einem breiten Strom wurde. Dann trieb man sie wieder in ödes Land hinaus, um die Siedlungen zu umgehen. Die grünen Palmenhaine sahen sie meistens nur von weitem.
Endlich kamen sie Babylon näher. Schon aus der Ferne sahen sie den riesigen Königspalast und die Zikkurat, den gewaltigen hohen Bau, der sich nach oben stufenweise verjüngte und die Stadtmauer um ein Mehrfaches überragte.
Schon seit Tagen war man mehr als bisher Kameltreibern und Händlern begegnet, die auf ihren Eseln oder auf von Eseln gezogenen, mit Waren hoch beladenen zweirädrigen Karren Babylon entgegenstrebten oder von dorther kamen. Und das Land war immer grüner und fruchtbarer geworden. Sie marschierten mit schmerzenden Füßen und wunden Herzen an Hainen mit Dattelpalmen und Granatapfelbäumen vorüber. Ein blühendes Land. Doch was sollte aus ihnen werden? Würden sie versklavt, die Familien getrennt werden? Die Angst, die auf der ganzen Reise ihre Begleiterin war, wurde zur beklemmenden Qual.
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