1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 Ich sprang auf, eilte hinter der jungen Frau her und wiegte mich im Rhythmus der Trommeln. Der Sand war warm unter meinen Füßen, die Sonne war nun fast gänzlich im Meer versunken. Das Licht am Strand war gold und rot. Es war dieses eigenartige, weiche Licht, dass es nur wenige Minuten am Tag gab. Die Zeit bevor der Tag der Nacht weichen muss und die letzten Strahlen der Sonne bereits von der aufkommenden Dunkelheit aufgesogen werden. Ich hatte es noch nie so intensiv wahrgenommen und gespürt. Die Musik riss mich mit, meine Füße bewegten sich wie von selber. Meine nackten Zehen krallten sich in den warmen Sand. War ich sonst stets darauf bedacht, wenn ich tanzte, möglichst cool und etwas sexy zu wirken, hier war es mir plötzlich egal. Ich ließ mich vom Rhythmus und der Stimmung mitreißen. Die junge Frau lachte mich an und ich wirbelte mit ihr im Kreis herum. Ihre Röcke flogen. Einige Paare tanzten ganz ineinander versunken. Andere tanzten wie ich alleine und keiner schien den anderen zu beobachten oder sich gar über die anderen und deren Bewegungen zu amüsieren. Mittlerweile senkte sich die Dunkelheit über den Strand. Im Schein der Fackeln warfen die Tänzer lange Schatten auf den hellen Sand.
Ich drehte mich im Kreis, berauscht von der Stimmung, dem Meer und dem Mond der nun voll und strahlend hell über der Bucht stand. Dann sah ich ihn plötzlich. Nur für einen kurzen Augenblick und doch reichte es, dass mir der Atem stockte. Er war größer als die anderen Männer, sehnig und seine Muskeln zeichneten sich unter der dünnen Wolltunika ab. Er hatte dunkle Haare und seine Augen schienen fast schwarz und blitzen im Fackelschein. Er tanzte mit einer jungen, blassen, rothaarigen Frau, der die dicken Locken bis zur Hüfte fielen. Seine Bewegungen waren geschmeidig und kraftvoll.
„Mein Gott, was für ein Mann“, entfuhr es mir unbewusst. Die junge Frau die mit mir tanzte, dreht sich um und folgte meinem Blick. Dann lächelte sie. „Ach, du meinst Dornat. Ja, er sieht wirklich ganz gut aus. Aber leider redet er nicht besonders viel. Er ist auch erst seit ein paar Wochen gesund. Faolane hat ihn her gebracht und lange gepflegt. Wenn du mich fragst, er ist ein wenig eigenartig, aber er versteht sich scheinbar gut mit Kellye.“ „War er krank?“ fragte ich neugierig, aber die junge Frau hatte sich schon abgewandt und drehte sich zum Klang der Musik.
„Ah, da ist Tomasz“, rief sie dann, „ich hab ihn schon gesucht.“ Sie tanzte auf einen blonden Mann zu, der sie herzlich umarmte und auf den Mund küsste. Ich drehte mich noch einmal um, aber der große, dunkelhaarige Mann war verschwunden.
Da die blonde Frau nun mit ihrem Freund tanzte, beschloss ich, Faolane zu suchen. Langsam wurde es Zeit für mich, ein paar Fragen zu stellen. War ich eben noch völlig hingerissen von der Stimmung gewesen, dachte ich nun doch plötzlich daran, wie ich eigentlich zurückkommen sollte. Die Wirkung von Wein und Mond schien nachzulassen. Mein Geist wurde wieder wacher und klarer. Faolane hatte es mir versprochen und eigenartigerweise vertraute und glaubte ich ihr, obwohl ich nicht einmal wusste, wer oder was sie war. Suchend sah ich mich um. Es wurde kühl und ich sehnte mich nach meiner Jacke. Ich entdeckte Faolane vor einem der Feuer. Ungefragt reichte sie mir einen Becher, der mit dem schweren, süßen Wein gefüllt war. „Fühlst du dich wohl?“, fragte sie. „Ja, sehr“, gab ich zu. „Aber ich muss jetzt nach Hause“, sagte ich dann fast trotzig, „man wird mich vermissen.“
„Ich weiß“, sagte sie und sah mich mit ihren goldenen Augen lange an. „Stell deine Fragen“, sagte sie dann sanft, als wenn sie gewusst hatte, dass ich genau das tun wollte.
Ich sah mich um, mittlerweile waren wohl über zweihundert Männer und Frauen am Strand. Kinder lagen schlafend an den Feuern und irgendwo wurde gesungen. Die Musik war leiser geworden.
„Sind das alles Menschen aus dem Dorf?“, fragte ich sie erstaunt. Ich hatte höchstens vierzig Hütten gezählt. „Nein, es sind auch welche aus dem Weiler hinter den Hügeln gekommen, andere aus dem Dorf am Fuße der Berge und wieder andere kommen von den Hütten drüben am Meer. Wir leben überall verstreut, aber zu den wichtigen Festen kommen viele zusammen, um gemeinsam zu danken und zu feiern.“ „Sind noch andere hier? Andere, also solche wie ich, aus…“ Ich fand nicht die richtigen Worte. „Also Männer und Frauen, die irgendwie hier herein geraten sind?“ fuhr ich stockend fort. „Du meinst Menschen von deiner Art“, sagte sie völlig ruhig und abgeklärt, als wäre es das Normalste der Welt. „Ja, einige. Es kommen immer mal wieder Menschen durch die Nebel zu uns. Einige kommen und bleiben, andere kehren in ihre Welt zurück. Die meisten kommen dann nie wieder.“ „Aber ich habe noch nie von jemandem gehört, der hier war“, platze es aus mir heraus. Sie lächelte wieder sanft und fragte dann: „Lana, was würdest du sagen, wenn dir jemand erzählen würde, dass er durch die Nebel gegangen ist und dir dann von uns erzählen würde?“ „Ich würde sagen, dass er entweder völlig verrückt oder sehr betrunken ist“, sagte ich trocken. „Siehst du, deshalb weiß niemand in deiner Welt von Salandor.“ Sie lächelte wieder.
„Aber wie kommt man her und warum? Und warum kehren Menschen zurück in meine Welt und kommen nie wieder und überhaupt, was seid ihr und wer seid ihr?“ Meine Stimme überschlug sich fast. Ich war sehr durcheinander. Hatte ich in den letzten Stunden all das verdrängt, so war ich nun umso verwirrter.
„Das sind viele Fragen, nicht alle kann und will ich dir heute Nacht beantworten. Nur so viel: Der Weg durch die Nebel ist nicht immer offen und nur wenige können ihn gehen. Kaum einer geht ihn zweimal. Wer wir sind und was wir sind, das musst du selber herausfinden. Ihr Menschen glaubt, es gibt nur vier Dimensionen, hast du je darüber nachgedacht, dass es mehr gibt, zwischen Himmel und Erde, als du und die klugen Männer und Frauen deiner Welt bisher herausgefunden haben?“ Ich schwieg. Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht.
„Ich bringe dich jetzt zurück“, sagte sie dann weich. „Ich bin mir sicher, wir werden uns wieder sehen.“
Ich machte den Mund auf und klappte ihn wieder zu. Da war wieder diese Berührung, dieser Blick, der mich verstummen ließ und jede Widerrede im Keim erstickte. Obwohl ich noch hundert Sachen sagen oder fragen wollte, brachte ich kein Wort mehr heraus.
Sie nahm eine Fackel und führte mich den steinigen Pfad die Felsen hinauf. Noch einmal sah ich mich um und blickte auf den von Feuerschein erhellten Strand. Immer noch drangen der Rhythmus der Trommeln und die Melodie von Geige und Dudelsack an mein Ohr. Ich könnte einfach umdrehen. Mich wieder in den warmen Sand setzen, oder im Fackelschein tanzen, bis die Musik verstummte. Es wären nur wenige Schritte. Mein Herz und meine Seele schienen stumm zu weinen. Dabei kannte ich doch Nichts und Niemanden hier und doch, tief in meinem Inneren fühlte ich, dass ich Salandor vermissen würde. Ich schluckte hart, es war, als hätte ich etwas Wichtiges verloren. Ich versuchte, das Gefühl abzuschütteln, mich zu sammeln, aber es wollte mir nicht richtig gelingen. Wir gingen weiter, kamen am Dorf vorbei, das im Mondschein friedlich da lag. Nur ein verschlafener Hund betrachtete uns neugierig. Irgendwo wieherte ein Pferd. Als wir an Faolanes Hütte vorbei kamen, sagte sie knapp: „Warte hier“. Kurze Zeit später reichte sie mir wortlos meine Jacke und meine anderen Kleidungsstücke. Die Schuhe fehlten, aber ich fragte nicht danach. Ich war einfach zu traurig und zu durcheinander, um mir Gedanken über ein paar fehlende, alte Wanderstiefel zu machen.
Sie führte mich zurück auf den Hügel. Schweigend schritt sie durch die im Mondlicht hell erleuchteten Wiesen. Das Gras wiegte sich silbrig und flüsternd im warmen Wind. Ich wagte kaum zu atmen, so intensiv war ihr Schweigen und die Magie dieser Nacht.
Читать дальше