„Und was, wenn das ein Zeichen ist?“, spekulierte Mara verträumt. „Eine Art Bestimmung, dein Schicksal?“ „Hör auf“, sagte ich energisch. Ich wollte nicht zugeben, dass dieser Gedanke in meinem überreizten Gehirn auch schon mehrfach aufgeflackert war.
Ich umarmte meine Freundin und drückte sie fest an mich. „Danke“, sagte ich leise, „Danke, dass es dich gibt und danke dafür, dass ich dir so etwas erzählen kann und du mich nicht gleich für vollkommen verrückt erklärst. Und…“ Ich stockte. Entschuldigungen waren nicht meine Stärke. „Es tut mir leid wegen Samstag, ich freue mich für dich und egal, wie du dich entscheidest, ich stehe immer zu dir und bin für dich da“, sagte ich leise.
Mara sah mich an und ich sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. „Ich hab dich so lieb“, sagte sie und dann versagte ihre Stimme. Wir gaben ein seltsames Bild ab, zwei dick eingepackte Gestalten auf einem Balkon mitten in Hamburg, die sich wie zwei Bojen aneinander kuschelten. Das erste Mal seit meiner unfreiwilligen Reise fühlte ich mich einigermaßen gut.
Die Luft war stickig und verraucht. Ich nahm einen großen, letzten Schluck aus meinem Glas und lächelte den Typen, der neben mir am Tresen lehnte, herausfordernd an. Er grinste, kam ein Stück näher und fragte: „Kann ich dir noch was bestellen?“ „Gerne“, sagte ich und versuchte ein laszives Lächeln. Mit einer fahrigen Bewegung strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Mir war etwas übel. Eigentlich trank ich nicht besonders viel, sondern kannte recht genau den Punkt, an dem ich von Cocktails auf Wasser umsteigen musste. Aber heute war es mir egal. Ich wollte Spaß haben, feiern und vergessen. „Ich heiße Karl“, sagte er und prostete mir zu. „Oh Gott, wie kann man denn Karl heißen“, dachte ich, unterdrückte ein aufsteigendes Kichern und hob ebenfalls mein volles Glas. „Lana“, sagte ich und fuhr mir wieder mit der Hand durch die Haare. Mir war ziemlich schwindelig.
Eigentlich sah er nicht schlecht aus. Genau das, was ich heute Abend brauchte, ein netter, gutaussehender Mann, eine Menge Alkohol und paar schöne Stunden, danach sehr viel tiefen, traumlosen Schlaf. Ich plauderte ein paar Belanglosigkeiten mit Karl und wippte im Takt der Musik, die aus den Boxen dröhnte. Mein Kopf tat mir höllisch weh.
Er erzählte von seinem Motorrad und dass er davon träumte, einmal die Route 66 zu fahren. Ich verstand nur die Hälfte, weil es so laut war, aber es war mir auch egal. Ich wollte nichts von ihm wissen. Er und seine Träume interessierten mich nicht im Geringsten, nur ob er später mit mir nach Hause gehen würde und mir ein paar Stunden gnädiges Vergessen schenken würde. Ich zwang mich, ihn wieder interessiert anzusehen und zündete mir noch eine Zigarette an.
Irgendwann legte er fast beiläufig eine Hand auf meinen Arm. Läuft doch gut, dachte ich und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Gerade als er sich dichter zu mir herüber beugte, erschien eine adrette, rothaarige Frau neben Karl. Sie war sehr, sehr wütend und brüllte ihn an, was ihm eigentlich einfiel und wieso er sie einfach alleine stehen ließ. Sie schimpfte immer lauter, ihre Stimme klang hysterisch und überschlug sich fast. Er starrte sie mit ergebenem Dackelblick an und es hätte wohl nicht viel gefehlt, er hätte vor ihr Männchen gemacht. Sie ließ sich davon allerdings nicht beeindrucken und zeterte in derselben Frequenz weiter. Er schaute betreten zu Boden und ich wand mich rasch ab, ein streitendes Paar passte nicht in meine Abendplanung. „Halb zwei in der Nacht. Ich bin reichlich betrunken und habe höllische Kopfschmerzen. Nicht gerade die besten Voraussetzungen jetzt noch jemanden zu finden, der mir einfach ein paar Stunden das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein“, dachte ich. Ich fühlte mich elend und müde. Warum in aller Welt lief seit drei Wochen eigentlich nichts mehr wie früher. Ich berührte leicht das Amulett an meinem Hals und erschauerte. Zweimal hatte ich in den letzten Tagen den Versuch unternommen, es abzunehmen. Es war der blanke Horror gewesen. Mein Körper reagierte darauf, wie ein Drogensüchtiger auf den Entzug und erst wenn ich es irgendwie fertig gebracht hatte, die Kette mit zitternden Fingern wieder zu befestigen, beruhigte sich mein Körper.
Ich hatte Mara davon erzählt, sie versuchte mir Mut zu machen. Sie meinte, dass alles irgendwie noch viel zu frisch wäre und ich mir einfach mehr Zeit geben sollte. „Das ist sicher nur psychisch“, hatte sie dann gesagt, und doch hatte ich den Zweifel in ihrer Stimme gehört.
Nach diesem Montagnachmittag hatten wir das Thema Salandor gemieden. Es schien, als wenn wir beide es aus unserem Kopf verdrängen wollten, in dem wir nicht mehr darüber sprachen. Es war etwas, dass so wider den Verstand war, so wider jede Vorstellungskraft, dass es wohl am leichtesten war, es einfach zu verdrängen und es irgendwann zu vergessen. Ich war mir mittlerweile selber kaum noch sicher, was ich glauben sollte. Wie erst sollte Mara damit umgehen. Ich konnte mich ja schon freuen, dass sie mich nicht gleich auf der Stelle für total verrückt erklärt hatte.
Und doch, es gab keinen Tag an dem ich nicht eine Sehnsucht verspürte. Eine tiefe, unbestimmte Sehnsucht nach etwas, das ich nicht einmal benennen konnte und die ich nicht befriedigen konnte, in dem ich mich mit anderen Dingen ablenkte oder belohnte.
Um mich herum drehte sich alles. Die Musik schien noch lauter geworden zu sein.
Ich taumelte fast zur Tanzfläche, ein Mann stand am Rand, er schaute auf und unsere Blicke trafen sich für einen winzigen Augenblick und ich murmelte verwirrt: „Dornat?“ So sehr erinnerten mich die dunklen Augen an den Mann am Strand von Salandor. Ich sah mich hektisch um, der Mann war verschwunden. „Oh Gott“, stöhnte ich und faste mir an den schmerzenden Kopf.
Ich rüttelte den Mann neben mir, er schien zu schlafen, wie ein Stein. „Hoffentlich ist er nicht tot“, dachte ich einen Moment lang etwas panisch. Aber dann sah ich, wie sich seine nicht besonders ansehnliche Brust rhythmisch hob und senkte. Er gab ein tiefes Schnaufen von sich und wollte sich auf die andere Seite drehen, aber nun wurde ich energisch. „Aufwachen“, fauchte ich, „der Spaß ist vorbei.“ Er gab ein erneutes Grunzen von sich und öffnete die verquollenen Augen. Etwas irritiert schaute er mich an. „Los, die Nacht ist vorbei“, sagte ich unwirsch.
Er erhob sich und ich konnte mir noch einmal das komplette Ausmaß meiner Verzweiflung vor Augen führen. Er war klein, etwas untersetzt und hatte schon lichter werdendes Haar. Eine hohe Stirn und leicht vorstehende Augen rundeten mein Bild des Grauens ab.
Er grinste mich an und fragte, wie ich geschlafen hätte. „Schlecht und nun geh“, sagte ich noch energischer. Ich traute meinen Augen kaum. Der Typ war tatsächlich irritiert und enttäuscht. Was hatte der sich denn bloß vorgestellt? „Vielleicht könnten wir ja…“, startete er einen matten Versuch. „Ab sofort vergessen, dass wir uns jemals begegnet sind“, beendete ich seinen Satz trocken und zog die Decke bis zur Nasenspitze hoch.
Mühsam suchte er seine Klamotten zusammen. Sein Hintern war eindeutig zu dick. Mir tat der Kopf weh, aber trotz einiger Erinnerungslücken war mir doch bewusst, dass das hier eine Verzweiflungstat gewesen war. Eine nicht besonders befriedigende noch dazu.
Wenn ich ehrlich zu mir war, war ich so betrunken gewesen, dass ich mich kaum noch daran erinnerte, wie er hier in die Wohnung gekommen war. Er war einer der letzten Gäste im Club gewesen. Ich war sehr durcheinander, betrunken und vor allem hatte ich mich schrecklich haltlos und alleine gefühlt. Keine gute Voraussetzung für einen netten, entspannten One-Night-Stand. „Dann wird das wohl eher nichts“, maulte der Mann, dessen Name mir auch diesmal nicht wieder einfiel und schlurfte Richtung Flur. „Oh Gott, hoffentlich sehe ich den nie wieder“, dachte ich und verdreht die Augen. Eigentlich sollten Männer einen Führerschein für Frauen machen, bevor man sie auf die Damenwelt los ließ. Dieses Exemplar hatte jedenfalls noch sehr, sehr viele Übungsstunden vor sich und ich würde sie ihm definitiv nicht erteilen.
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