Er bat die drei Besucher in den riesigen Salon und sich an den großen Mahagonitisch zu setzen, der im Salon prangte. Der König klatschte in die Hände und als ein Diener erschien, ließ er von dem grünen Saft und Kaffee kommen und als diese Dinge gebracht worden waren, forderte er seinen Besuch auf, zuzulangen. Joda fragte den Glen:
„Wie gefällt es Dir bei den Argin?“, und der Glen sagte:
„Ich bin überwältigt von so viel Einfachheit und Klarheit im Zusammenleben der Argin, was mir besonders gefällt ist die offensichtliche Zufriedenheit aller.“ Tola erläuterte:
„Es gibt bei den Argin keinen Neid und keinen Hass, weil niemand einen Mangel empfinden muss, deshalb gibt es bei uns auch keine Kriege oder sonstige gewaltsame Auseinandersetzungen.“ Sie saß neben dem Glen und schaute ihm ins Gesicht als sie das sagte, und der Glen wäre beinahe dahingeschmolzen, so schön fand er Tola. Sie hatte tiefbraune Augen und ein ebenmäßiges Gesicht, ihre Nase war zierlich und ihr Mund klein, sie hatte dunkles und recht kurzes Haar und von Tola ging ein betörender Duft aus, das war ein Parfum, wie es der Glen noch nie gerochen hatte. Nachdem sich alle ein wenig an dem Saft erfrischt hatten und der Glen auch eine Tasse Kaffee getrunken hatte, sagte Joda:
„Vielleicht fragt sich der Glen, warum es bei den Argin so etwas rückständiges wie einen König gibt, es muss ihn eigentlich gar nicht zu geben.
Die Argin brauchen keine Regierung, die ihr Leben in die richtigen Bahnen lenkt, es gibt im Arginreich auch keine geschriebenen Gesetze, an die sich jeder zu halten hätte, demzufolge gibt es auch kein Parlament, das als Gesetzgeber fungiert. Als Richtschnur für das Leben der Argin gilt ein moralisch-ethischer Kodex, der ihnen schon von Geburt an zu eigen ist, er wird ihnen quasi in die Wiege gelegt und von jedem unwidersprochen übernommen. Die Argin kommen mit einem hohen Intelligenzpotenzial auf die Welt und jeder kann eigentlich von Anbeginn seines Erwachsenenseins alles. Die Person des Königs ist vollkommen überflüssig.“ Joda sähe sein Amt als ein Relikt aus einer überkommenen Zeit an, in der es noch Regierungen und die anderen Teilgewalten gab, aber das wäre lange her. Die Argin wären sehr traditionsbewusst und liebten es, einen König und bald auch eine Königin zu haben.
„Ich beabsichtige, die Königswürde in zwei Jahren an meine Tochter zu übergeben, Tola ist im ganzen Reich bekannt und wird wegen ihrer Weisheit und ihrer Schönheit überall hoch geschätzt.“ Joda fuhr fort und sagte dem Glen:
„Überleg Dir doch, Bürger im Reich der Argin zu werden, Du bist herzlich willkommen, und ich könnte mir vorstellen, dass Dir ein Leben bei den Argin gefällt.“ Der Glen wurde leicht verlegen, als ihm der König das anbot, er hatte im Stillen selbst schon daran gedacht, Bürger bei den Argin zu werden und als auch noch Tola ihn darin bestärkte, Bürger im Arginreich zu werden, sagte der Glen, dass er darüber nachdenken wollte, und er bedankte sich für das freundliche Angebot, in Wirklichkeit hatte er sich aber schon längst entschieden. Es überkam ihn plötzlich eine Müdigkeit, die er darauf zurückführte, dass es bei ihm zu Hause tiefe Nacht war und er fragte, ob es bei den Argin denn nie dunkel würde. Tabor antwortete:
„Die Argin kennen Dunkelheit nicht, sie werden selbstverständlich auch müde und schlafen gelegentlich, dann ziehen sie sich zurück und legen sich hin oder sie schlafen bei sich vor dem Haus, Dunkelheit brauchen sie dazu nicht.“ Alles, was der Glen bis dahin bei den Argin erlebt hatte, überwältigte ihn und er fand es überaus überzeugend, er sah Tola an, und sie erwiderte seinen Blick mit ihrem unglaublichen Charme. Tabor und der Glen standen auf und verabschiedeten sich vom König und seiner Tochter, der Glen bedankte sich für die freundliche Aufnahme, und Tabor und er verließen den Palast wieder, sie liefen zu Tabors Haus und setzten sich bei ihm in den Vorgarten. Tabor goss beiden ein Glas Saft ein und der Glen sagte, dass er gern wüsste wie spät es im Moment bei ihm zu Hause wäre.
Tabor nahm daraufhin seinen Laptop und gab auf Google die Zeitumrechnung ein, es wäre beim ihm 8.00 h morgens, sagte er dem Glen. Der meinte, dass er nach Hause müsste und stand auf, er wollte sich aber schon bald wieder bei Tabor melden. Der Glen lief zu der Stelle zurück, an der er das Arginreich betreten hatte, pfiff die Erkennungsmelodie, und im selben Augenblick fand er sich auf dem Pfad zum Sattel unterhalb des Wolfskopfgipfels. Er trollte sich durch den dichten Tannenwald bergab nach Kregelbach und dachte unterwegs noch, wann er wohl einen Schlussstrich unter sein Leben im Dorf ziehen würde, wie sollte er das bloß machen? Sollte er einfach verschwinden, oder sollte er sich zumindest von seinen Eltern verabschieden? Er war sich nicht sicher, wie er sich verhalten sollte und würde abwarten, zuerst müsste er nach Hause und würde in seinem Zimmer nachdenken. Als er die alte Eisenbrücke über den Wendlerbach überquerte, sah er seine Mutter im Garten und rief ihr zu, die Mutter hob den Kopf und sah ihn fragend an, der Glen lief aber weiter und betrat sein Geburtshaus. Seine Mutter kam und fragte ihn:
„Wo hast Du denn bloß so lange gesteckt?“, und der Glen erfand wieder eine Geschichte, damit die Mutter zufriedengestellt war, und er seine Ruhe hatte. Wie er das hasste, immer lügen zu müssen, immer Geschichten ausdenken zu müssen, nur damit seine Eltern Ruhe gaben und nicht weiter nachfragten.
Der Glen ging auf sein Zimmer und legte sich auf sein Bett, er hatte sich gar nicht ausgezogen, lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Er hatte sein Fenster geöffnet und hörte die Kirchturmglocke 10.00 h schlagen, kurze Zeit später schloss er die Augen und schlief ein, er war doch sehr müde geworden während seines Aufenthaltes im Argindorf, was auch nicht weiter verwundern konnte, denn schließlich hatte er sich die Nacht um die Ohren geschlagen, obwohl es bei Tola und Tabor nicht dunkel geworden war. Der Glen schlief bis zum Mittag, als er vom Schlag der Kirchturmglocke wieder geweckt wurde. Er stand auf und machte sich frisch, bevor er ins Dorf lief. Auf der Wehrgasse war um die Mittagszeit nichts los, und der Glen trottete sie ganz langsam entlang, bis er aber hinter der Apotheke in den Weg zum Kirchplatz einbog und sich neben das Kriegerdenkmal auf eine Bank setzte. Er sah den Pfarrer eiligen Schrittes vorbeilaufen und in seinem Pfarrhaus verschwinden. Die Schule war wohl an diesem Tag schon früher aus als sonst, denn Schulkinder rannten auf den Kirchplatz und spielten dort Fußball, andere von ihnen gingen in den Supermarkt von Alfons Disch und kauften sich dort ein Eis. Peter Rohrmoser kam auf seinem Rollstuhl angefahren, sein Vater schob ihn zu Rösch, wo sich die ganze Familie draußen hinsetzte, als auch die beiden Stegmüllers erschienen und sich dazusetzten.
Und um die Gruppe zu vervollständigen, erschienen auch die Wirtsleute aus der „Sonne“, die beiden hatten keine Probleme damit, sich zu der Konkurrenz zu setzen.
Vermutlich war es so, dass sie sich dort alle als Bürgerinitiative trafen und über die Ortsumgehung sprachen. Der Glen beobachtete das Geschehen auf dem Kirchplatz und dachte, dass er in dem Ort fehl am Platze war, er war ja auch nirgends willkommen, und niemand redete mit ihm. Nach kurzem Überlegen fasste er den für sich wichtigen Entschluss, das Dorf am Abend zu verlassen und seinen Eltern einen Abschiedsbrief in den Briefkasten zu stecken, in dem er seine Gründe für sein Weggehen darlegen wollte. Er hatte dieses Vorhaben ja schon lange geplant, es nur nicht mutig genug durchgeführt, doch in diesem Moment war er sich sicher, auch den letzten Schritt zu gehen. Das war schon etwas Besonderes, wenn jemandem die Gelegenheit geboten wurde, sein Leben gegen ein anderes eintauschen zu können, das triste Dasein seines gewohnten Alltags gegen ein erfülltes Leben in Glück, Zufriedenheit und Achtung austauschen zu können. Der Glen dachte, dass ihm das Leben in Kregelbach keine Perspektive böte, und selbst wenn er nach Irmstadt oder nach Waltershausen ginge, was sollte er dort tun? Einen Beruf, mit dem er Geld für sich verdienen könnte, hatte er nicht, er wäre auf unabsehbare Zeit auf Leistungen des Sozialstaates angewiesen und das war keine schöne Aussicht für ihn. Auch wollte er seinen Eltern nicht länger zur Last fallen, sie wurden langsam älter und sie verließen die Kräfte, die sie bis dahin für ihren Sohn gebraucht hatten. Aber der Glen fühlte auch so etwas wie eine tiefe Sehnsucht, ein Gefühl, das er noch nie kennen gelernt hatte, es war die Sehnsucht nach Tola, einem Mädchen, das er anbetete, dem er hoffnungslos verfallen war.
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