Hans Müller-Jüngst
Besinnliche Geschichten (4)
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hans Müller-Jüngst Besinnliche Geschichten (4) Dieses ebook wurde erstellt bei
In der Zeitblase
Teagan und Paul
Südtirol
Wie wird man glücklich?
Die Kalahari
Berlin II
Konya, Kusadasi
Sizma
Im Zug nach Amsterdam
Impressum neobooks
Auf dem Exoplaneten Tolan befindet sich Paul in einer Zeitblase, das heißt, dass die Zeit in ihr quasi zum Stillstand kommt. Das ist sehr befremdlich, zumal auf Tolan die Uhren ohnehin anders gehen, alle Erdenbesucher sind in ihre Jugendzeit zurückversetzt und haben nur den Bruchteil des Gewichtes wie auf der Erde.
Die Prozedur nahm tatsächlich kaum Zeit in Anspruch, sie saßen nur da und Shirin und Brando schlossen kurz die Augen und gingen in sich, nach geschätzten 2 Minuten war alles vorbei und Brando sagte:
„Ihr befindet Euch ab jetzt in einer Zeitblase!“
„Wir können morgen, wenn Brando und ich freihaben, einmal durch Gudon laufen und Euch zeigen, wie die Nigren leben, Ihr werdet sehen, dass nicht alle so komfortabel leben wie Brando uns ich!“, sagte Shirin,
„unsere Kinder sind am Vormittag in der Schule, Leevi ist in dem Aufbaukurs, Lauri noch ganz am Anfang, sie sind beide sehr redselig und werden Euch vielleicht in den Ohren liegen mit dem, was sie in der Schule durchgenommen haben, lasst sie einfach gewähren, sie werden Euch nicht weiter stören!“
„Aber Shirin“, entgegnete Tommy, „es ist doch keine Störung, wenn Kinder Erwachsenen erzählen, was sie erlebt haben!“
Leevi und Lauri lagen schon seit einer Stunde in ihren Betten und die Erwachsenen saßen noch am Tisch und redeten, sie versuchten zu ergründen, wie die jeweilige Lebenswelt aussah und Schlüsse für sich daraus zu ziehen.
Bernd und Tommy erzählten von ihrem Arbeitsleben zu Hause und sagten, dass sie beide lange haben lernen müssen, bis sie ihre Berufe ausüben konnten, Paul berichtete von seinem früheren Berufsleben.
„Das Verblüffendste war für uns nach unserem Erscheinen auf Tolan, dass wir Alte in unserem Aussehen auf den Status eines jungen Erwachsenen zurückversetzt worden sind, also ungefähr in das Alter von Tommy und Bernd, ich bin jetzt 65 Erdenjahre und sehe viel jünger aus, immer wenn ich an einem Spiegel vorbeikomme, bleibe ich stehen und kann kaum glauben, was ich da sehe!“, sagte Paul.
„Auch wir Nigren altern ab einer bestimmten Reifestufe nicht mehr, Shirin und ich sind nach Erdmaßstäben beide vielleicht 80 Jahre alt“, entgegnete Brando.
Sie wünschten sich kurze Zeit später alle eine gute Nacht und legten sich in ihre Betten, Paul fragte vorher noch:
„Seid Ihr eigentlich Langschläfer?“ und Shirin antwortete:
„Wir stehen nicht allzu spät auf und richten uns nach dem Stand unserer beiden Sonnen, wenn sie voll in unser Zimmer scheinen, ist es Zeit für uns!“
Die drei Menschen hatten Schlafgelegenheiten in dem einen Zimmer, das Shirin ihnen gegeben hatte und sie schliefen alle ausgezeichnet, bis Shirin sie weckte.
Sie standen auf, machten sich frisch und gingen alle zu dem Esstisch, an dem sie sich einen guten Morgen wünschten.
Shirin brachte von dem guten Brot und dem leckeren Tee, dazu gab es einen Marmeladenaufstrich, der aus einer Frucht hergestellt war, die es auf der Erde nicht gab.
Sie erinnerte entfernt an Himbeere und Erdbeere, war aber keine von beiden.
Die Kinder waren in der Schule, Shirin hatte sich schon am frühen Morgen um sie gekümmert und ihnen ein Frühstück gemacht.
Sie wären am frühen Nachmittag wieder zu Hause, wie Shirin sagte:
„Bis dahin drehen wir eine Runde durch Gudon, aber frühstückt erst einmal in aller Ruhe!“ und Brando biss in sein Brot mit dem herrlichen Marmeladenaufstrich.
Nach dem Frühstück gingen sie vor die Tür und rochen nichts mehr von dem verwesenden Abfall vom Vorabend, die Luft war rein und würzig und es herrschte eine sehr angenehme Temperatur.
„Abends kommt bei uns immer die Müllabfuhr und fährt die Abfälle weg, die die Nigren bei sich vor die Tür gelegt haben, das stinkt dann manchmal“, sagte Brando.
Die Straße, an der Shirin und Brando wohnten, lief einen Hügel hinab und endete an dem zentralen Platz in Gudon, zu dem sie gingen.
Sternförmig liefen auch andere Wege zu dem Platz und er war wirklich schön angelegt mit einer gepflegten Grünfläche und einem riesigen Baum in der Mitte, der an die Laubbäume in dem Wald erinnerte, in dem sie gewandert waren.
An dem Platz lag die Verteilstelle, die Schule, ein Cafe und die Kommunalverwaltung.
Sie steuerten das Cafe an und setzten sich davor an einen Tisch, es gab vielleicht zehn Tische vor dem Cafe, von denen vier besetzt waren und Shirin und Brando grüßten die Nigren, die dort saßen und stellten ihnen die Menschen vor:
„Sie sind keine Tolaner“, wie Brando sagte, „sondern sie sind Menschen von dem Planeten Erde und wollen sehen, wie wir hier leben.“
Es kam eine Bedienung nach draußen und Brando bestellte Tee für alle, es war der gute Tee, den sie schon beim Frühstück und beim Abendessen am Vorabend getrunken hatten.
„Sagt mal, wie funktioniert eigentlich bei Euch die Verteilstelle?“, fragte Tommy und Brando antwortete:
„Alle Dinge des häuslichen Bedarfs können die Nigren kostenlos bei der Verteilstelle abholen, sie wird von den Tolanern unterhalten und regelmäßig beliefert, das ist praktisch der Lohn für unsere schwere Arbeit, denn eine andere Entlohnung bekommen wir nicht!“
Von der Schule tönte der Lärm der Schulkinder herüber, den sie in der Pause auf dem Schulhof machten und Bernd sagte:
„Das ist genau wie bei uns auf der Erde, wo die Schüler in den Pausen auch immer auf dem Schulhof herum toben!“
„Was passiert denn in dem Gebäude der Kommunalverwaltung?“, fragte Tommy Shirin, und sie antwortete:
„Dort tagen regelmäßig ein von uns allen gewählter Bürgermeister und ein Gemeindeparlament mit 20 Mitgliedern, wir wollen nicht von einer einzigen Person beherrscht werden wie die Tolaner.“
„Auch das funktioniert im Prinzip wie bei uns, wo wir auch Vertreter wählen, die mit der Mehrheit ihrer Stimmen entscheiden, was zu geschehen hat, wir nennen das Demokratie“, sagte Paul.
Gerade in diesem Augenblick verließen einige Vertreter des Gemeindeparlaments das Gebäude und gingen zu sich nach Hause.
Kurze Zeit später erschien auch der Bürgermeister und Brando machte auf ihn aufmerksam.
Der Platz strahlte eine große Ruhe aus und Shirin erläuterte:
„Wir Nigren legen alle Wege, die wir bewältigen müssen, zu Fuß oder mit unseren Fahrrädern zurück. wir brauchen keine Busse oder Scooter wie die Tolaner, und deshalb herrscht bei uns auch so eine Stille!“
Die beiden Sonnen standen am Himmel und der große Baum in der Mitte des Platzes warf nur kurze Schatten.
Er wirkte wie ein Mahnmal, das jeden Niren daran erinnern sollte, wie stark sie doch als Volk wären.
Sie saßen ungefähr eine Stunde lang vor dem Cafe, und in dieser Stunde, die sie nur schätzen konnten, weil es keine Uhr gab, liefen sehr viele Nigren in die Verteilstelle und holten sich dort die Sachen, die sie zu Hause brauchten.
Wenn es einmal große Dinge wie Möbel zu transportieren gab, und nur dann, wurde ein Handwagen geholt und man transportierte die Gegenstände mit ihm, es gab ihn auch mit Elektroantrieb.
„Lasst uns auf dem Rückweg auch zur Verteilstelle gehen, ich muss etwas zu essen für morgen besorgen!“, sagte Shirin und alle standen auf und liefen zu dem Gebäude.
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