Das Bild hatte auf seiner Rückseite ein über den Rahmen gespanntes Band, an das es gehängt werden musste, Albin legte das Band über den Nagel und ging acht Schritte zurück bis zu Tola, und sie betrachteten wieder gemeinsam das Meisterwerk. Es war sicher untertrieben, wenn man sagte, dass es den Raum schmückte, es dominierte ihn und gab ihm eine ganz besondere Atmosphäre, die Dominanz erschlug aber nicht die anderen Eindrücke, die sich auch noch in dem Raum einstellten. Tola und Albin hatten die anderen Bilder schnell aufgehängt, den kleinen Degas hängte Albin unmittelbar am den Beginn der Treppe auf, damit sich der Blick derjenigen, die nach oben gingen, sofort auf es richteten. Als Tola und Albin wieder ins Wohnzimmer traten, sahen sie auf den riesigen Renoir und freuten sich über das ausdrucksstarke Bild. Albin sagte:
„Nach getaner Arbeit haben wir uns beide einen Schnaps verdient“ und er nahm zwei Gläser und die Flasche und setzte sich mit Tola nach draußen. Tola fragte ihn:
„Was hälst Du davon, an diesem Abend mit Nerma und Tabor zusammen ins Pop Inn zu gehen und zu tanzen?“, und Albin war Feuer und Flamme von dem Vorschlag. Tola rief gleich bei Tabor an und fragte, ob die beiden Lust hätten, am Abend tanzen zu gehen und Nerma und Tabor kamen mit. Sie verabredeten sich um 18.00 h bei Albin, Tola beendete das Gespräch wieder und sagte, dass sie sich schon auf das Tanzen freute. Und wieder musste Albin denken, dass es ihm so gut ging wie kaum jemandem sonst, jedenfalls von den Menschen, und das nur, weil er damals einem Argin geholfen hatte, wieder zurück in seine Heimat zu gelangen. Außerhalb waren die Argin völlig hilflos, wie es Tabor auch gewesen war, als Albin ihn hinter dem Farn versteckt unterhalb des Wolfskopfgipfels am Sattel fand. Tabor war völlig orientierungslos und hätte niemals den Weg zurück gefunden, wenn Albin ihm nicht geholfen hätte. Deshalb hatte man ihm das auch so hoch angerechnet und ihn zum Argin-Bürger gemacht. Tola und Albin prosteten sich zu, Albin hatte überhaupt keine Probleme mehr damit, Schnaps zu trinken, längst war er darüber hinaus, betrunken vom Schnaps zu werden. Er schüttete ihnen beiden ein weiteres Glas ein, und auch das kippten sie in Einem hinunter, bis Tola sich plötzlich auf Albins Schoß setzte und ihn zu küssen begann. Albin tat zunächst überrascht, fand es aber sehr angenehm, Tola auf seinem Schoß zu haben und begann sie zu streicheln, er küsste sie dabei mit einer solchen Inbrunst wie sie nur frisch Verliebten zu eigen war. Erschöpft legten sich beide auf den Rasen und ruhten nebeneinander aus, sie durchströmte ein Glücksgefühl und sie waren beide froh, zusammengefunden zu haben. Tola hatte ihren Kopf auf Albins Schulter gelegt und beide hatten sie die Augen geschlossen. Sie schliefen kurz ein und Albin träumte von der Wanderung, und obwohl er noch nie am Sulara gewesen war, hatte er eine ganz konkrete Vorstellung davon, wie es dort aussah. Nach ungefähr einer Dreiviertelstunde entspannten Dösens standen sie wieder auf und gingen duschen, sie standen wieder gemeinsam unter der Dusche und wuschen sich gegenseitig. Sie spülten sich beide die Seife ab, trockneten sich ab, zogen sich wieder an und gingen nach unten. Von der Treppe aus liefen sie genau auf den großen Renoir zu, sie waren jedes Mal ganz angetan, wenn sie das schöne Bild sahen.
Den Nachmittag verbrachten die beiden bei Tola, zu der sie gelaufen waren, weil Tola ihr E-Book vergessen hatte und sie lesen wollten, Albin hatte sein E-Book mit zu Tola genommen.
„Was liest Du denn gerade?“, fragte Albin sie und Tola antwortete, dass sie Siri Hustvedt, „Die zitternde Frau läse“.
„Das ist die Geschichte der Autorin, die nach dem Tod ihres Vaters plötzlich in ein unerklärliches Zittern fällt, das sich in Anspannungssituationen einstellt und sie zwingt, augenblicklich zur Ruhe zu kommen“, antwortete sie. So saßen sie draußen vor Tolas Haus und lasen, jeder hatte ein Glas Schnaps vor sich stehen und sie redeten kaum miteinander. Tola holte jedem einen Gnoogle aus ihrem Fach, den sie einfach aßen, man konnte nicht sagen, dass sie ihn mit Genuss verspeisten, denn das Essen diente bei den Argin nur dazu, dem Körper die nötigen Nährstoffe zuzuführen, so wie man bei den Menschen ein Auto betankt. Gegen 17.00 h gingen sie wieder zu Albin und setzten sich noch eine Zeit lang bei ihm hin, sie lasen dort weiter, bis um 18.00 h Nerma und Tabor eintrafen.
Tola und Albin mussten sich noch frisch machen, umzuziehen brauchten sie sich nicht, die Argin sahen immer gleich aus und trugen zu jeder Gelegenheit die gleiche Kleidung, ihre Toga. Sie begrüßten sich kurz und liefen wenig später los zum Pop Inn. Es wäre bei den Menschen noch viel zu früh gewesen, um zu tanzen, doch bei den Argin war die Uhrzeit egal, sie tanzten, wann sie mochten, auch morgens. Von Albin aus war es ja nur eine ganz kurzes Stück zu laufen, um ins Dorfzentrum zu gelangen, und als sie vor dem Pop Inn angekommen waren, hörten sie schon die in den Ohren Albins immer noch fremd anmutende Musik. Die Verteilstelle war um diese Uhrzeit natürlich geschlossen, und Albin dachte in diesem Augenblick daran, dass er sich bei Pelbin zu seiner Wanderung abmelden musste. Als sie das Tanzlokal betraten, fanden sie es schon brechend voll vor und sie hatten Schwierigkeiten, für sich noch einen freien Tisch zu finden, bis es aber einen nicht weit von der Tanzfläche entfernt gab, der offensichtlich gerade frei geworden war. Sie setzten sich und Nerma und Tabor wippten im Takt der Stakkato-Musik mit. Als der Kellner kam, bestellten sie vier große Schnäpse, Albin schaute auf die Tanzfläche und sah, wie die Tanzpaare für ihn völlig verrenkt aussehende Bewegungen vollführten. Tola stieß ihn an und forderte ihn zum Tanz auf und wie schon bei seinem ersten Versuch, auf die Argin-Musik zu tanzen, brachte Albin in den Augen Tolas doch ganz brauchbare Bewegungen hin, er musste sich nur ganz freimachen von dem Gedanken an einen Standardtanz, bei dem man geneigt war, sich in Harmonie mit der Musik zu bewegen.
Für Albin war die Musik mehr eine Art Turnübung, aber selbst diese Parallele schien ihm noch übertrieben. Als die Musik wechselte und langsam wurde, änderte sich das Bild auf der Tanzfläche vollkommen, die Paare, die bis vor Kurzem noch zuckende Körperwindungen vollführten, tanzten jetzt eng umschlungen und streichelten sich. Albin blickte neben sich und sah Nerma und Tabor wie sie sich gegenseitig streichelten, sie küssten sich mit geschlossenen Augen und bekamen von ihrer Umgebung nichts mit. Er blickte wieder zu Tola, die ihren Kopf an seine Schulter gelegt und auch die Augen geschlossen hatte. Als die Musik endete und eine Tanzpause begann, strömten die Tanzpaare zu ihren Tischen, als hätten sie nicht gerade noch verloren und völlig ab vom Weltlichen miteinander getanzt und geschmust. Auch Tola, Nerma und Tabor waren wie ausgewechselt und rannten beinahe zum Tisch, setzten sich auf ihre Plätze und tranken von ihrem Schnaps. Albin nahm auch einen großen Schluck, es war eine Art Calvados, den er dort trank, und der ihm ausgezeichnet schmeckte, er war trotz seines hohen Alkoholgehaltes mild. Hätte er eine so große Portion Schnaps früher in Kregelbach getrunken, hätte man ihn nach Haus tragen müssen, dort aber machte ihm der Schnaps nichts aus.
Als die Musik wieder einsetzte, zog Tola Albin hinter sich her zur Tanzfläche und begann mit ihren Zuckungen, die, obwohl sie nicht harmonisch verliefen, gekonnt und beinahe lieblich aussahen, Tola beherrschte jedenfalls das Tanzen, während sich Albin einfach verrenkte. Der Wechsel zur langsamen Musik läutete die Schmuserunde ein, die Albin so angenehm fand, und die nach seinem Geschmack nie zu enden brauchte. Tola streichelte ihn und Nerma und Tabor waren ganz besonders ineinander versunken, und hätte die Musik nicht irgendwann wieder aufgehört, hätten sie sich weiter gewiegt und miteinander geschmust. So aber liefen sie wieder mit Tola und Albin zu ihrem Tisch und Tabor bestellte vier neue Schnäpse. In der Musikpause war es möglich, sich miteinander zu unterhalten, ansonsten kam man gegen die laute Musik nicht an, hatte man sich etwas Dringendes mitzuteilen, musste man nach draußen vor die Tür gehen. Albin sagte seinen Freunden:
Читать дальше