Eine knappe Stunde später erreichten wir ein kleines Dörfchen an der Westküste. Noch außerhalb dieses Ortes, in einem fast vergessenen Winkel, am Fuße eines bewaldeten Hanges, war es, wo Obadhia mit seiner kleinen Familie lebte.
Ich konnte nur Roberts Anweisungen folgen, und nachdem wir noch etwa hundert Meter einem schmalen Weg entlang geholpert waren, machten wir Halt.
Außer einem schmalen Fernblick, war rundum nur wild wuchernde Vegetation zu erkennen, doch dann bemerkte ich einen kaum erkennbaren Fußpfad. Von einer Behausung war allerdings nichts zu sehen. Robert erklärte mir, das Obadhias Heimwesen einige Meter, dem Pfand entlang, inmitten dieser Bewaldung läge.
Als verantwortlicher Fahrer versuchte ich die Türen des Wagens zu verriegeln, übrigens ohne erfolg. Robert lachte, öffnete die Motorhaube und entnahm kurzerhand den Rotor aus dem Zündverteiler.
„So macht man das bei uns!“ Sagte er, indem er mir das Teil in die Hand drückte.“ Wenn du wirklich Angst hast, dass man uns den Wagen klaut, steck das hier in deine Hosentasche. Meiner Ansicht nach wäre das sinnvoller, als die Türen ohne Fensterscheiben abzuschließen.“
Erst in dem Moment wurde mir klar, wie blödsinnig er meine Geste beurteilt haben musste, doch ich hatte, in Gedanken versunken, nur routinemäßig gehandelt. Ich selbst konnte nur über meinen eigenen Bockmist lachen.
Nach diesem Intermezzo machten wir uns auf Schusters Rappen, dem Pfad folgend, hinein ins Unterholz. Unser Fußmarsch war nur von kurzer Dauer, als ich ein Schrägdach, wie aus dem Dickicht auftauchen sah und gleich darauf, öffnete sich eine Lichtung vor unsern Augen.
Robert hatte dem Herrn des Hauses eine ungefähre Uhrzeit unseres Kommens vorgeschlagen, daher hatte dieser scheinbar auf der Lauer gestanden.
So wie Robert mir erklärte hatte, war diese Wildnis rundum noch staatliches Eigentum. Ungefähr vor zwanzig Jahren, es kann auch in den Fünfzigern gewesen sein, hat man ihm dies Fleckchen Erde, als Dank für irgendwelche Leistung treuer Dienste, zugeschrieben. Ich kannte ihn damals noch nicht und kann mich auch nicht mehr genau daran erinnern, um was es eigentlich ging. Er spricht auch nicht darüber. Damals hatte er noch die Kräfte seine erworbene Zelle nutzbar zu machen. Ich nehme doch an, meinte Robert, dass er es, selbst damals, nicht ganz ohne Hilfe geschafft hat.
Ein Mann mittlerer Größe, ich schätzte sein Alter, so um die sechzig, kam uns bereits mit einem breiten lächeln entgegen.
„Da kommt er! Das ist Obadhia“, sagte Robert.
Sapristi! Die Realität kam mir plötzlich ziemlich weit entfernt, von meinen Visionen der „Tausendundeiner Nacht“ vor.
Obadhia schien mir irgendwie dünn und zerbrechlich in seinem kurzärmeligen weißen Hemd und seiner grauen Hose, die beide wie ein Segel um seine Gestalt herumflatterten. Mit einigen Schritten Abstand, folgte ihm seine Tochter, welche ich so um die acht oder neun Jahre alt schätzte, und ihr selbst folgte noch ein junges, weißes Zieglein.
Bereits von Weitem bekundete er seine Begeisterung uns zu sehen und hieß uns, in seiner Sprache, herzlich willkommen.
Nachdem die Begrüßungszeremonie erledigt war und wir uns seiner Behausung näherten, erschien auch Madame Obadhia.
Sie war in einen alltäglichen, doch farbenprächtigen, indischen Sari gehüllt. Ich war erstaunt, sie zu sehen. Sie überragte ihren Ehemann mindestens eine Kopfhöhe und in der Breite …, sodass als Obadhia hinter ihrem Rücken vorbeiging, verschwand er für einen Augenblick. Boshafte Menschen hätten vermutet, er müsse wohl in ein Loch gefallen sein!
Wir wurden jedenfalls mit allen Ehren empfangen und gebeten einzutreten. Obadhia zeigte uns stolz sein Heim, welches er selbst gebaut hatte, wie er mehrmals erwähnte. Aus meiner Sicht hätte man die Konstruktion eher als „Wellblechschuppen“ bezeichnen können. Doch wenn man bedenkt, mit welch dürftigen Mitteln und wie lange, dieser kleine schmächtige Mann sich abgerackert haben musste, um seiner Familie eine bessere Unterkunft zu schaffen. Alle Achtung!
Ich muss zugeben, dass die Primitivität der Anfertigung keinesfalls die Reinheit und Ordnung beeinträchtigte.
Ich begann zwar mich langsam an die volkseigene, universale Sprache zu gewöhnen und bereits in der Lage, einem Gespräch mehr oder weniger zu folgen, doch war ich manchmal noch auf Roberts Übersetzung angewiesen, denn unser Gastgeber sprach kein einziges Wort französisch.
Zur Feier des Tages hatte Obadhia seine Flasche Rum herbeigeschafft und wir plauderten eine Zeit lang über dies und jenes. Als Madame Obadhia sich in ihre Kochecke zurückzog, um unser Mahl zuzubereiten, lud uns der Hausherr zu einer Besichtigung des Eigentums ein.
Die kleine Lehmhütte nebenan, mit ihrem Strohgedecken Spitzdach, war bis vor einem Jahr noch ihr Haus gewesen. Die Fassade hatte er nun abmontiert, und zu dem Zeitpunkt, als wir seine Gäste waren, nutzten sie es nur noch als Abstellraum. Für den „hohen Besuch von auswärts“, wie er uns bezeichnete, hatte er den Innenraum aufgeräumt und gesäubert. Wieso und warum, erfuhren wir etwas später.
Neben dieser Hütte wuchs ein gewaltiger Mangobaum, zu dessen Fuß, zwischen zwei Wurzeln, mir ein schwerer Stein auffiel. Die Oberfläche war, ohne Zweifel, von Hand bearbeitet worden, denn sie war glatt und in der Mitte einige Zentimeter ausgehöhlt.
Ich wollte mich soeben über die Bedeutung oder die Nutzung informieren, als die Dame des Hauses sich näherte und einige Körner und kleine trockene Wurzeln in die Mulde legte. Dann begann sie, mit einem länglichen, abgerundeten Stein, die Produkte zu zerkleinern. Nun hatte ich die Antwort auf eine der Fragen, die ich mir gestellt hatte.
„Ah ha!“, machte Robert, der mich aus dem Augenwinkel beobachtet hatte. „Komm, sehen wir uns das aus der Nähe an ..., es ist, was wir in Morisyen , “en rosscarry“ , nennen, „ein Currystein“. Dieser Stein wird aber nicht nur benutzt, um Curry zu malen. Manche unserer Frauen in der Stadt benutzen auch noch das gleiche System in der Küche für vieles Andere. In kleinerem Format versteht sich. Man bevorzugt, hier bei uns, immer noch die Gewürzte eigenhändig vorzubereiten.
Nachdem Madame Obadhia diese Tätigkeit beendet hatte, welche wir bis zum Ende interessiert beobachtet hatten, führte unser Gasgeber uns, etwas abseits zu einer kleineren, mannshohen, runden Strohhütte. Diese erinnerte mich irgendwie an einen überdimensionalen Bienenkorb. Die einzige Öffnung, die man erkennen konnte, war ein rundes Loch unterhalb der Bedachung.
Als wir uns näherten, streckte plötzlich, zu meiner Überraschung, ein Ziegenbock den Kopf durch das runde Loch, blähte uns an und verschwand wieder. Dieses, Kopf raus, Kopf rein, wiederholte er mehrmals in regelmäßigen Abständen, bis wir neben der Hütte standen.
Dann erklärt uns Obadhia:
„Seht ihn Euch an, mit seinem unschuldigen Blick! Aber er ist niederträchtig wie kein Zweiter. Das Loch hat er selbst gemacht. Eigenartig ist, dass er es nicht größer macht. Wenn er wollte, könnte er ja ohne Weiteres die ganze Wand abreißen. Er ist wie der „Wolf im Schafskleid“, aber wenn er draußen ist, kannst du ihn nicht aus den Augen lassen! Er spielt den Schuldlosen. Er tut so, als würde er dich nicht wahrnehmen und wartet darauf, dass du ihm einen Augenblick den Rücken zuwendest, dann knallt er dir eine ins Hinterteil! Aber nur eine …, wenn du dich umdrehst, ist er schon verschwunden. Auffällig ist aber auch: Unsere kleine Tochter hat er noch nie angegriffen!“
Als Obadhia die Tür öffnete, stand er bereits dahinter, obwohl er im Augenblick zuvor, uns noch durch seine Luke beobachtet hatte. Ich sah sogleich, dass der Bock nicht alleine dort hauste, denn im Hintergrund standen noch zwei Ziegen. Obadhia erklärte uns weiter, dass er noch nie den Kopf einer seiner Mitbewohnerinnen am Fenster gesehen habe. „Vielleicht hat er es ihnen verboten!“, meinte Obadhia.
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