Ernst Meder - Gegen die Vergangenheit
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Gegen die Vergangenheit
נגד בעבר
Ernst Meder
Für Svenja Tabea
"Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat."
(Erich Kästner, 1958)
Gegen die Vergangenheit
נגד בעבר
Ernst Meder
Gegen die Vergangenheit
Ernst Meder
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.deCopyright © 2012 Ernst Meder ISBN: 978-3-8442-7472-1
Alle Rechte vorbehalten.
Dieses Buch darf nicht – auch nicht auszugsweise – ohne schriftliche Genehmigung kopiert werden.
1. Kapitel
Der Höhepunkt der Feier stand noch bevor, als diese jäh durch sechs schwarz gekleidete Personen unterbrochen wurde. Sie hatten den Zeitpunkt ihres Eindringens ausgesprochen günstig gewählt, da sich die Mehrzahl der geladenen Gäste gerade begann, in der Halle der hochherrschaftlichen Villa zu versammeln. Nun sollte der offizielle Teil der Veranstaltung beginnen, in der die Lobrede des Lieblingsenkels nur den Beginn der Familienfeier einleitete. Mit seinem einhundertsten Geburtstag sollte der Jubilar, so die Erwartung der Familie, auch den letzten Schritt in das Privatleben vollziehen.
Am Vormittag waren bereits Mitglieder der Regierung erschienen, um ihm einen weiteren Orden zu verleihen, war es der Dritte oder Vierte, er konnte es nicht genau sagen. Trotzdem war allen bewusst, dass der Orden auch die Hoffnung beinhaltete, bei den jährlichen Spenden der Unternehmung mit einem erklecklichen Betrag berücksichtigt zu werden.
Die ursprünglich geplante Feier sah vor, dass neben der umfangreichen Familie auch engste Freunde aus Wirtschaft und Politik diesen Tag gemeinsam begehen sollten. Gerlinde, seine dritte Enkelin war von der Familie betraut worden diese Feier sowie die einzuladenden Gäste zu planen und die Ausrichtung mit einem namhaften Cateringunternehmen abzustimmen.
Dieses Familienfest stellte zugleich den familiären Höhepunkt des Jahres dar, da erwartet wurde, dass der Jubilar sich auch von dem letzten Aufsichtsratsposten zurückziehen würde. Damit war der Weg frei, den bisher mit eiserner Hand geführten Firmenbereich an seinen Nachfolger zu übergeben. Die Holding, die die Geschicke des Unternehmens leitete, sollte künftig von seinem Lieblingsenkel Sebastian geführt werden, der bereits die führenden Leitungspositionen der anderen Gesellschaften innehatte.
Zuerst hatte man in der Familie daran gedacht, die Feier mit einhundert Personen auszurichten. Diese Zahl war im Hinblick auf seinen einhundertsten Geburtstag gewählt worden, wobei die Auswahl innerhalb der Familie für Unstimmigkeiten sorgte. Während Teile der Familie ihre konservative Grundhaltung bei der Einladung der Gäste berücksichtigt wissen wollte, versuchte die Minderheit, die Gäste aus der Wirtschaft zu begrenzen.
Diesem Streit setzte der künftige Jubilar ein abruptes Ende, als er die Gästeliste zusammenstrich, sich dabei ereiferte, dass immer die gleichen Schmarotzer eingeladen werden, die er an seinem Geburtstag nicht auch noch sehen wollte. Rigoros strich er alle Gäste von der Liste, die nicht zur Familie gehörten, eine Person setzte er allerdings dazu, eine Person, die niemand aus der Familie eingeplant hatte.
Im Übrigen empfand er den immensen Aufwand als zu verschwenderisch, nur um daran erinnert zu werden, dass seine Sanduhr nur noch über einen geringen Rest an Sandkörnern verfügte. Außerdem bestand er darauf, dass die Feierlichkeiten in seinem Haus stattfinden sollten, da der Platz für die dreißig bis vierzig Personen vollkommen ausreichend sei. In diesem Haus, das inzwischen viel zu groß für ihn geworden war, konnten sich alle die aus dem Weg gehen, die sich partout nicht ausstehen konnten.
Es war keine Bitte, die er geäußert hatte, es war ein Diktat, dem sich niemand widersetzen durfte, wenn er sich nicht seinen Zorn zuziehen wollte. In seiner Vergangenheit hatten einige versucht sich ihm zu widersetzten, keinem von ihnen war es bekommen. Die Bandbreite der Bestrafungen war im einfachsten Fall der persönliche Ruin, setzte sich fort in Gefängnisaufenthalte, bei besonders aufmüpfigen Widersachern führte die Strafe in der Regel zum Tod.
Keiner hatte je in Betracht gezogen ihn damit in Verbindung zu bringen, da niemand glauben wollte, dass er tatsächlich dazu fähig sei. Jetzt hatte Gerlinde sein immer noch ausgeprägtes Machtverhalten sowie seine Arroganz erleben dürfen, es schien fast so, als wäre dies im Alter noch ausgeprägter geworden. Seine frühere Nachsicht, von der viele gehofft hatten, dass diese sich mit zunehmendem Alter in Altersweisheit wandeln würde, hatte bei ihm eine entgegengesetzte Entwicklung genommen.
Nichts und niemand konnte ihm seine Wünsche erfüllen, seine Gedanken vorhersehen, oder nachvollziehen, weshalb er bestimmte Dinge veranlasste, die jeder andere nie auch nur in Erwägung gezogen hätte. Dem einzigen Menschen, dem er bedingt vertraute, war sein Enkel Sebastian, dem er bereits seit frühester Jugend versucht hatte, seine politischen Ideen, seine wirtschaftlichen Ansichten nahe zu bringen, den er zu seinem Nachfolger erkoren hatte.
Niemand, auch er selbst nicht, hatte damit gerechnet, dass er das biblische Alter, welches sie heute feiern wollten, jemals erreichen würde. Deshalb war sein Bestreben, seinen Nachfolger in seinem Sinne zu erziehen so wichtig gewesen, dass er weder Kosten noch Mühen gescheut hatte, um dies zu erreichen.
Obwohl er immer noch der Patriarch des Unternehmens war, wollte er am heutigen Tag auch seine letzten Aufgaben und Befugnisse auf seinen Enkel übertragen. Dessen Erziehung aber auch seine Entwicklung hatte ihm Freude bereitet, wenn er denn den Begriff Freude in diesem Zusammenhang überhaupt verwenden würde.
Es war wohl mehr der Stolz über das Ergebnis seiner Ausbildung als auch die Erkenntnis, dass seine verbleibenden Tage an ein paar Händen abzuzählen war. Auch wenn diese noch im Kreise der Schmarotzer, die sich seine Familie nannte, zu verbringen musste.
Dann blickte er auf das Ergebnis seiner Lenden als auch auf deren Ergebnis, wobei er erkennen musste, dass ein großer Teil dieser Familie misslungen war. Sie reihten sich ein in die Reihe jener Gruppen der Gesellschaft, die er verachtete, die er als schwach und jämmerlich bezeichnete, auch wenn er dies nie öffentlich tat.
Er hatte lernen müssen, seine Ansichten nicht öffentlich kundzutun, sich zu verstellen, um seine Ziele zu erreichen, aber er hatte vorgesorgt. Wenn er einmal die Fäden nicht mehr in der Hand halten konnte, bestimmen, in welche Richtung sich seine Nachfahren begeben sollten, dann würden seine Auserwählten da sein, sich um alles Weitere zu kümmern.
Auch über dieses Geheimnis sollte sein Enkelsohn heute unterrichtet werden, sowie seinem Wunsch wie künftig sein politisches Erbe zu verwalten sei. Seine Sorge galt den Menschen, die in Zukunft wieder wesentlichen Einfluss darauf nehmen sollten, wie seine Heimat sich entwickelte. Und es war die Dankbarkeit, die er ihnen schuldete, weil sie für ihn da waren, wann immer er sie brauchte. Wenn er ihrer Hilfe bedurfte, um sein Lebenswerk aufrechtzuerhalten, wenn er seinen gesellschaftlichen Staus verteidigen musste.
Sie waren so etwas wie seine Ersatzfamilie geworden, die ihn über Jahrzehnte begleitet hatte, die auf ihn aufgepasst, die ihn geschützt hatte. Bisher waren sie ausschließlich sein Geheimnis, niemand hatte je davon erfahren oder ihn in Zusammenhang mit ihnen gebracht.
Er hatte Vorsorge getroffen für den Fall, dass er unverhofft seine Reise ins Nichts hätte antreten müssen, sein Vermächtnis war dokumentiert, sie wäre seinem Enkel nach seinem Tod ausgehändigt worden.
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