Ein Roman
von
Ernst Meder
Für Svenja Tabea
Wer das Leben nicht schätzt, der verdient es nicht
(Leonardo da Vinci)
Wer die Zukunft von Kindern zerstört, zerstört die Zukunft der Menschheit.
Ernst Meder
Roman
Kein Vergessen
Ernst Meder
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.deCopyright © 2013 Ernst Meder ISBN: 978-3-8442-7473-8
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Er saß in unmittelbarer Nähe zum Schlosspark Bellevue auf einer Parkbank, sein Kopf war nach leicht nach vorne gebeugt. Ein unbefangener Betrachter konnte annehmen, dass der ältere Mann eingeschlafen war, oder, dass er mit halb geschlossenen Augen über ein Problem grübelte, welches ihn beschäftigte.
Das Laub der Sträucher hinter der Parkbank verdeckte den Zaun zum Schlosspark des jeweiligen Bundespräsidenten, auf den die sonntäglichen Spaziergänger in den kalten Jahreszeiten blickten. Hätte der alte Mann seinen Kopf gehoben, er hätte direkt auf die Rückseite des Restaurants „Teehaus“ geblickt, in dem er seit geraumer Zeit sein sonntägliches Mittagsmahl einnahm.
Für viele der Spaziergänger war der ältere Mann kein Unbekannter. Hatten sie ihn doch häufig auf der Bank sitzen gesehen, wenn sie am Sonntagvormittag durch den im Tiergarten spazierten oder zum Essen in dem Restaurant einkehrten. Seine Anwesenheit auf dieser Bank war inzwischen zum festen Bestandteil geworden, einige der Spaziergänger kannten diese Bank nur in Verbindung mit ihm.
Auf der Bank sitzend, las er in der ausgebreiteten Sonntagszeitung, dabei betrachtete er von Zeit zu Zeit die vorbeikommenden Familien. Mit Nachsicht und einem gelegentlichen Lächeln unterbrach er seine sonntägliche Lektüre, wenn er dem ausgelassenen Spiel von Kindern zusah.
Es war zum Ritual geworden, seitdem seine Frau gestorben war. Sonntags führte ihn sein erster Gang in die evangelische Kirche der Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Kirchengemeinde an der Händelallee, die in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung lag. Zu seinem Leidwesen erinnerte an der Kirche nichts mehr an ihre neugotische Vorgängerin, die im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war. Er hatte diese Besuche nach dem Tod seiner Frau beibehalten. Obwohl es seine Frau gewesen war, die so intensiv an ihren Gott geglaubt und ihn deshalb jeden Sonntag zum Besuch des Gottesdienstes gedrängt hatte.
Nachdem er seinen sonntäglichen Kirchgang absolviert hatte, spazierte er im Anschluss an den Besuch der Kirche, mit langsamen Schritten zum S-Bahnhof Bellevue. Hier im Eingangsbereich des Bahnhofs kaufte er immer seine Sonntagszeitung, ehe er sich zu seiner Bank begab. Für diesen sonntäglichen Spaziergang wählte er immer diesen Weg, auch wenn andere Wege kürzer gewesen wären. Die Absicht die ihn bewog diesen längeren Spaziergang zu nutzen lag daran, dass er es genoss, einmal in der Woche seinem Bewegungsdrang nachzukommen. Sein Bedürfnis nach der frischen Luft im Park, der er am Sonntag mit einer gewissen Kontinuität nachging.
Mit seiner Zeitung ging er, sofern es das Wetter zuließ, zu seiner erwählten Bank um sich darauf niederzulassen. Er hatte die Bank deshalb gewählt, da er dabei die Umgebung beobachten konnte, während er seine Zeitung las. Es waren die spielenden Kinder, die bei schönem Wetter auf der Wiese herumtollten und die ihn immer noch erfreuten.
Nachdem er seine Zeitung gelesen hatte, ging er zu dem etwa einhundert Meter entfernten Restaurant, wo er, seit dem Tod seiner Frau, sein Mittagessen einnahm. Diese wiederkehrenden sonntäglichen Handlungen, vom Kirchgang bis zum Mittagessen hatten sich inzwischen so manifestiert, dass er auf keine dieser Handlungen verzichten wollte. Die einzige Abweichung, die er akzeptierte, war nur dem Wetter geschuldet. Wenn es zu kalt war oder wenn es regnete, dann verlegte er sein sonntägliches Leseritual in den Innenraum des Restaurants.
Vom Bedienungspersonal kannten ihn inzwischen alle, seit er vor knapp vier Jahren zum ersten Mal hier gegessen hatte. Sie hatten sich an ihn gewöhnt, versuchten ihm so weit entgegenzukommen, dass sie zu der Zeit, zu der er gewöhnlich sein Mittagessen einnahm, den Tisch am Fenster freizuhalten. Er hatte nie auf einem bestimmten Tisch bestanden, allerdings hatte er immer diesen Tisch ausgewählt, wenn er die Möglichkeit dazu hatte.
Sein Umgang mit dem Personal war immer zuvorkommend und höflich, nie war er unangenehm aufgefallen, oder hatte seinen Unmut über die Qualität der Speisen geäußert. Jeder vom Personal versuchte sonntags immer den Tisch zugeteilt zu bekommen, an dem er aß, da sein Trinkgeld immer sehr großzügig ausfiel, so als wollte er damit seine Zufriedenheit dokumentieren.
Für alle war er ein netter älterer Herr, der immer gut gekleidet und höflich war und dessen Auftreten an einen höheren Beamten erinnerte. Alle mochten ihn, wenn man sie gefragt hätte, wie sie sich ihren Großvater wünschen, ausnahmslos alle hätten ihn als Vorbild gewählt.
Dieser ältere Herr saß nun, offenbar in Gedanken versunken auf der Bank, als ein kleines Mädchen auf ihn aufmerksam wurde.
Mama, Mama guck mal, der Opa hat auch so einen Schal wie Du, dabei zeigte sie auf den älteren Herren.
Laura lass den Opa, Du siehst doch, dass er schläft, versuchte die Mutter ihre Tochter abzuhalten.
Laura hielt kurz inne, durch die Neugierde getrieben lief sie trotz der Ermahnung ihrer Mutter zur Bank.
Ich werde den Opa fragen, woher er den gleichen Schal hat, dabei zupfte sie den alten Mann an seinem Arm, um sich bemerkbar zu machen.
Die Mutter, die versuchte ihre Tochter zurückzuhalten lief hinterher, plötzlich erstarrte sie, ihr Gesicht wurde blass.
Laura komm sofort hierher rief sie erschrocken aus. Sie hatte in die offenen Augen gesehen dabei bemerkt, dass diese wächsern wirkten, fast so, als ob man durchsehen konnte. Laura komm hierher, die Stimme ihrer Mutter klang jetzt schärfer, als diese protestierte. Aber Mama, ich hab den Opa doch gar nicht fragen können, dabei versuchte sie sich aus dem Griff ihrer Mutter zu winden.
Bleib hier, der Opa ist krank rief sie, während sie verzweifelt in ihrer Handtasche wühlte, resignierend gab sie auf, sie hatte es schon wieder zu Hause vergessen. Aufgeregt wandte sich an den ersten Passanten, der ihr entgegenkam, entschuldigen Sie, haben Sie ein Telefon, als dieser zaudernd nickte, versuchte sie zu flüstern. Bitte, Sie müssen die Polizei anrufen, der alte Mann auf der Bank ist tot, dabei drehte sie sich ab, damit Laura nichts von dem geflüsterten Gespräch mitbekommt.
Entweder hatte sie das Gehör ihrer Tochter unterschätzt oder sie war doch zu laut bei ihrer Bitte. Wer ist tot Mama fragte Laura dabei hörte sie auf, an der Hand ihrer Mutter zu ziehen. Bei ihrer Mutter schien es doch interessanter zu sein oder noch zu werden. Mama wer ist tot fragte sie noch mal, dieses Mal bereits lauter, sie guckte dabei neugierig auf den Passanten was dieser jetzt machen würde. Dieser hatte sich inzwischen ein paar Schritte von ihnen entfernt, dabei sein Mobiltelefon aus der Jackentasche gezogen um eine Nummer einzutippen.
Interessiert blickte sie zu dem Mann, der ganz aufgeregt in sein Telefon sprach, dabei jedoch so leise war, dass sie tatsächlich nichts hören konnte. Mama wer ist tot fragte sie noch einmal, diesmal schon etwas ungeduldiger, scheinbar wollte ihre Mutter ihr etwas Wichtiges vorenthalten. Doch diese wirkte völlig verstört, überlegte gerade, ob sie mit ihrer Tochter nicht den Ort des Geschehens verlassen sollte, sie hatte gerade ihren ersten Toten außerhalb eines Films gesehen.
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