„Na gut, aber nur eine Stunde. ich hab noch total viel zu tun.“
Das war gelogen, aber ich wollte später noch ein bisschen über die Zukunft nachdenken. Oder mich in Selbstmitleid suhlen.
Bei Meike ging es zu wie immer. Vanessa und Oliver stritten sich um eine MonsterMan -Puppe, und Meike saß in der chaotischen Küche, Selina an der Brust, und aß Schokolade. Ich betrachtete sie kopfschüttelnd und füllte erst einmal die Spülmaschine. Als sie lief, setzte ich mich zu meiner kleinen Schwester an den Küchentisch.
„Schau mich nicht so kritisch an, Karen!“, verteidigte sie sich schwach. „So ist es eben, wenn man Kinder hat.“
„Tu nicht so, als sei das Schicksal. Du wolltest doch Kinder! Und ich glaube nicht, dass man sich so gehen lassen muss. Du siehst aus, als seiest du immer noch schwanger. Himmel, du bist doch nicht schon wieder - ?“
Sie schüttelte den Kopf. „Wie denn? Robbi rührt mich kaum noch an, und ich kann´s ihm nicht verdenken.“
War das einfach Schlamperei oder eine postnatale Depression? Andererseits war Selina schon fünf Monate alt... Ich entschied mich für die Schlamperei. Allerdings hätte ich in einer Dreizimmerwohnung mit drei kleinen Kindern auch Zustände bekommen.
„Kann Vanessa nicht bald in den Kindergarten? In einen ganz normalen, damit du da nicht noch mehr eingebunden bist?“
„Ja, ab ersten April hab ich einen Platz für sie.“
„Wenigstens etwas. Komm, wenn Selina satt ist, räumen wir auf und dann duschst du mal und ziehst dir was Besseres an. Du siehst aus wie ein Bündel Lumpen, so kannst du dich doch nicht wohl fühlen!“
„Ich bin so schlapp...“
„Das kommt vom Rumsitzen“, antwortete ich streng und kam mir vor, als hätte ich eine lustlose Schülerin vor mir.
„Jetzt schau, dass du deinen Arsch hochkriegst – er hängt sowieso“, fügte ich kritisch hinzu und Meike sah mich böse an.
„Das weiß ich auch. Fürs Fettabsaugen haben wir kein Geld!“
„Fett absaugen? Beweg dich und lass die Schokolade weg, das reicht schon!“
Ich nahm ihr Selina ab, die mir etwas Milch auf die Schulter rülpste, und setzte sie in die Babywippe, damit sie uns beim Aufräumen zusehen konnte. Das gefiel ihr, sie sah gerne, wenn andere arbeiteten.
Vanessa und Oliver bekamen den Auftrag, ein schönes Bild zu malen, den MonsterMan versteckte ich erst einmal. Sofort begannen sie, sich um die Stifte zu zanken. Meike schlurfte hinter mir her, begann dann aber doch, den herumliegenden Kram im Wohnzimmer in die Regale zu räumen und holte wenigstens den Staubsauger. Während ich das Wohnzimmer weiter in Ordnung brachte und die verstaubten Pflanzen einmal wieder goss, zog sie auf meinen Befehl hin das etwas muffige Ehebett ab und stopfte eine Ladung Wäsche in die Maschine. Ich putzte danach die Küche, Meike bezog die Betten frisch, brachte das Schlafzimmer auf Hochglanz und entfernte die Schmutzränder im Bad.
„Das reicht erst mal“, fand ich. „Du duschst jetzt, wäschst dir deinen Bappkopf und ziehst dich etwas besser an. Oder passt außer den Jogginghosen gar nichts mehr?“
„Die schwarzen Jeans müssten noch gehen...“
„Dann ab mit dir. Ich spiele mit den Kindern Memory.“
Vanessa und Oliver kreischten begeistert – das einzige Spiel, bei dem sie jeden Erwachsenen schlagen konnten! Ich ließ mich, das Baby auf dem Schoß, von ihnen in zähem Kampf besiegen, bis Meike etwas frischer wieder ins Zimmer trat.
„Du solltest etwas mehr planen, wenigstens wochenweise“, empfahl ich ihr besserwisserisch.
„Ich weiß ja, dass du es doch nicht tust, aber ein Pfund pro Woche abnehmen, die Bude putzen, etwas Gymnastik, Vanessa in den Kindergarten, etwas hübscher stylen... Hilft Robbi dir eigentlich gar nicht?“
„Nur am Wochenende ein bisschen. Sonst kommt er ja immer so spät, aber das ist doch unser einziges Einkommen...“
„Sag mal – noch ein Kind wollt ihr aber nicht, oder?“
Meike schaute verkniffen drein. „Nicht unbedingt, aber man weiß ja nie...“
„Ich finde ja, drei reichen. Aber das müsst ihr wissen. Irgendwann willst du doch auch wieder arbeiten, oder?“
„Was denn? Grafik wird doch heute mit dem Computer gemacht – und sonst hab ich doch nichts gelernt. Ich hab ja nicht studiert wie du!“
Langsam wurde ich sauer. „Sag das nicht in einem Ton, als hättest du nicht studieren dürfen! Niemand hat dich zu deiner Ausbildung und zu dieser Ehe gezwungen. Lass endlich dieses Selbstmitleid! Du hast einen akzeptablen Mann, drei putzige Kinder – naja, mehr oder weniger putzig – und jetzt mach was draus. Ich kann doch nicht immer kommen und dich aus dem Sessel zerren. Jaulst du Robbi auch in diesem Ton an? Dann wundert es mich nicht, dass er Überstunden macht.“
Meike sah mich mit Tränen in den Augen an. „Und stell diesen waidwunden Blick ab! Bei mir zieht das nicht, das sehe ich täglich. Du müsstest nur noch dazu sagen Ich versteh´ das nicht, eben war die Hausaufgabe noch im Heft! Raff dich endlich auf! Ich komme nächste Woche mal zu einem Kontrollbesuch, und dann bist du anständig angezogen und die Wohnung ist vorzeigbar, klar?“
„Boah ey, bist du in der Schule auch so fies drauf?“
„Klar, sonst gehst du da unter.“
Sie musterte mich. „Und du hast so eine tolle Figur...“
Ich verdrehte die Augen. „Wir haben alle drei exakt die gleiche Figur. Wenn du sie wieder haben willst, dann beweg dich und hör mit dieser blöden Schokolade auf. Wenn du sie nicht wieder haben willst, dann trag´s mit Grazie – aber nicht mit einem Jogginganzug.“
„Ja, Mama... Ich werd´s versuchen...“
„Du wirst es nicht versuchen, du wirst es tun, verstanden? Und jetzt muss ich an meinen Schreibtisch zurück, ciao.“
Ich fuhr auf dem Rückweg gleich beim Supermarkt vorbei und füllte den Kofferraum, voller Energie: Ich war ja so viel besser als Meike! Als ich in der Tiefgarage meine Kartons auslud, sah ich Marianne, die schräg über mir wohnte. Ich wollte sie schon grüßen, merkte dann aber, dass sie nicht alleine war. Der Mann aus der Wohnung über mir zog sie gerade in seine Arme und die beiden küssten sich so intensiv, dass ich schon nach einem Blick darauf ganz weiche Knie bekam. Waren die zusammen? Warum wohnten sie dann in zwei Wohnungen?
Ich schleifte meine Beute in den ersten Stock und verstaute alles in der Küche. Für die nächste Woche war ich damit versorgt.
Dann ließ ich mich wieder aufs Bett fallen. Der Anblick eben hatte in mir etwas ausgelöst – aber was? Wollte ich auch so etwas? Andererseits – Männer störten einen doch nur bei der Arbeit... Meike hatte ein Mann drei Kinder und Verzweiflung eingebracht... Blödsinn, das hatte die dumme Meike doch ganz alleine geschafft – na, fast... Und Silke? Immer wenn sie mal wieder einen Kerl hatte, schlampte sie bei der Arbeit - nur gut, dass die Kerle immer schnell verbraucht waren, sonst hätte diese Modezeitschrift meine elegante, aber unzuverlässige Schwester schon längst gefeuert.
Und wie war´s früher bei mir?
Peter, im zweiten Semester... Eigentlich hatte er mich nicht von der Arbeit abgehalten, wir hatten sogar zusammen gelernt. Aber er war zum Weinen langweilig gewesen – und insgeheim davon überzeugt, dass er hundertmal begabter war als ich. Was war wohl aus ihm geworden? Und Neil? Der Affe, wie konnte man sich nur Neil nennen, wenn man eigentlich Cornelius hieß! Er war weniger fleißig gewesen, dafür ganz lustig, aber er hatte mich ein gutes Semester gekostet. Kurz vor dem Examen hatte er offenbar eine gefunden, die mehr Sinn für ein lockeres Leben hatte und wohl auch eher bereit war, sich für ihn abzurackern, und ich war insgeheim erleichtert.
Danach hatte ich mir die Kerle recht erfolgreich vom Leib gehalten – obwohl das, wie ich zugeben musste, keine so furchtbare Anstrengung gewesen war. Anscheinend hatte ich einen sehr strebsamen und neutralen Eindruck erweckt – und da ich selten ausging, nie alleine, gab es auch gar nicht so viel Gelegenheit, Männer kennenzulernen. Besser so. Wirklich? Warum war ich in den letzten Tagen eigentlich so unzufrieden? Eigentlich lief doch alles bestens, ich war gesund, nicht arm und hatte meinen Traumberuf. Was wollte ich noch?
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