1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Ich aalte mich eine halbe Stunde im Schaumbad, dann warf ich mich in die bereitgelegte Kluft und grub sogar noch eine schwarze Krawatte aus. Mit Sonnenbrille fand ich mich recht gelungen. Make-up brauchte ich nicht, nur etwas hellen Puder.
Immer noch reichlich Zeit... Ich verzog mich an meinen Schreibtisch, schlug eine To-do-Liste in meinem Terminplaner auf und dachte nach. Was wollte ich im Leben noch erreichen? Ein Ziel pro Jahr wäre nicht schlecht... Ich wollte irgendwann einmal befördert werden. Gut, aber das würde noch mindestens zehn Jahre dauern, half mir jetzt also eher wenig.
Ich wollte nach New Orleans reisen, aber nicht in diesem Jahr – und nicht alleine.
Kam ich der Sache damit näher? Wollte ich doch einen Mann? Ich kaute am Bleistift und starrte ins Leere. Nein, wollte ich nicht. Die machten nur Arbeit und waren lästig, und man fühlte sich immer so ausgenutzt – wenn ich bloß an Neil dachte! Alles war gut so, wie es war.
War es nicht. Niemand liebte mich – und ich liebte auch niemanden. Ich mochte meine Schwestern und meine Freunde, naja, meine Eltern manchmal auch, aber ich liebte niemanden. Machte mich das stärker oder nur einsamer? Ich wusste es nicht... War Liebe eine Notwendigkeit oder nur emotionale Erpressung?
Halb sieben. Ich beschloss, langsam zur Schule zu wandern und den Aufbau ein bisschen zu überwachen. Holger war sicher auch schon da und half mit. Bis ich meine Taschen mit Schlüsseln und Kleingeld gefüllt, einen Mantel angezogen und die richtigen, vor allem bequemen Schuhe gefunden hatte, war es ohnehin schon fast sieben.
Ich bummelte gemütlich durch das Waldburgviertel Richtung Uni und dann die Floriansgasse entlang. Als ich vor der Schule stand, hörte ich schon ein lang gezogenes Heulen und grinste leicht vor mich hin. Wohl das übliche Problem?
Ich verzog mich erst einmal ungesehen ins Lehrerzimmer, um meinen Mantel loszuwerden, dann betrat ich die große Halle. Sie war hinreißend dekoriert, in der Ecke stand eine – natürlich alkoholfreie – Bar und an der Decke drehte sich bereits die unvermeidliche Discokugel. Ich erspähte zu meinem Missvergnügen auch schon die ebenso unvermeidliche Nebelmaschine. Das Zeug stank immer zum Gotterbarmen, aber es gehörte wohl einfach dazu.
Musik hörte ich freilich keine, das hatte ich auch nicht erwartet. Dafür entdeckte ich im Halbdunkel mehrere Gestalten, die halb unter der Anlage kauerten und fleißig schraubten und verkabelten. Einer rappelte sich auf und trabte an mir vorbei.
„Wenn wir das nicht bald hinkriegen, müssen wir das Fest absagen“, unkte er.
„Ach, Tim – das sagst du doch jedes Mal, und es hat immer Musik gegeben. Kopf hoch!“
Er grinste schief und eilte davon. An der Bar fand ich auch Holger, der den Spezi probierte, als sei das ein besonderes Rezept. Zusammen sahen wir wirklich schräg aus. Holger musterte mich ein wenig ratlos, aber er kam nicht darauf, was anders war. Von der Wallemähne zum Tituskopf – aber Männer sahen so etwas eben nicht, sie spürten nur ein dumpfes Unbehagen, weil etwas sich verändert hatte. Ich lächelte vor mich hin und schlenderte ein bisschen herum, half hier und da bei den letzten Dekorationen, schloss den Putzraum auf und wieder zu, fragte nach dem Erfolg des Vorverkaufs und instruierte die kräftigen Kerle von der Security-Gruppe, worauf beim Filzen zu achten war und welche uns allen bekannten Gestalten heute Abend Hausverbot hatten. Sie nickten etwas gelangweilt. Als ich allerdings verlangte, beschlagnahmter Alkohol müsse sofort vernichtet werden, trat ein Funkeln in ihre Augen.
„Der wird ins Klo gekippt, nicht in eure Leber entsorgt, klar?“
„Klar doch...“
Nicht sehr glaubhaft. „Wehe, von euch ist nachher einer besoffen!“
„Aber nein, was denken Sie denn von uns!“ Treuherzige Blicke.
„Genau das ist ja das Problem!“, feixte ich, bevor ich weiterging.
Natürlich war die Anlage um drei Minuten vor acht funktionstüchtig und legte in grauenhafter Lautstärke los, grauenhaft deshalb, weil mir die Musik nicht gefiel, die sie spielten. Gute Sachen mussten natürlich so laut sein…
Schnell füllte sich die Halle mit trinkenden, tanzenden und knutschenden Gästen, bis es so voll war, dass man das Fest getrost als Erfolg bezeichnen konnte. Ich jagte einige Mädchen aus dem Klo zum Rauchen ins Freie und ließ mir eine Mineralwasserflasche zeigen. „Nur Wasser – gegen den Durst“, flötete Nadine aus der 10 a, als sie mir die Flasche hinhielt.
„Ach, gib doch mal her...“ Ich schraubte die Flasche auf und schnupperte. Ziemlich lecker - und recht hochprozentig. Dann befeuchtete ich meinen Zeigefinger damit, kostete und nickte anerkennend.
„Guter Stoff. Stolychnaja ?“
Nadine schaute halb entgeistert und halb verlegen und nickte. Sie konnte sich denken, was nun passierte, und es war wirklich schade darum: Ich leerte die Flasche ins Waschbecken und spülte nach. „Welche Verschwendung... Warum versucht ihr das immer wieder? Damit hättet ihr es doch woanders richtig gemütlich haben können.“
Betrübt zogen sie ab und ich sah ihnen kopfschüttelnd nach. Was war so toll daran, in der Schule zu saufen? Das Tabu, mit dem der Ort belegt war? War das eine Mutprobe? Ich wanderte weiter, hörte eine Zeitlang der Musik zu, grölte bei Völlig losgelöst begeistert mit – Fabian hatte meine Ratschläge befolgt! – und traf dann Holger wieder an der Bar.
„Na?“
„Drei Raucherinnen auf dem Klo, eine getarnte Flasche Wodka. Und bei dir?“
„Kleine Schlägerei vor der Tür – ungebetene Gäste – und ein paar dubiose Pillen. Die Betreffenden sind schon auf dem Heimweg, oder sie lungern draußen herum.“
Katja, als Dracula ziemlich überzeugend, gesellte sich zu uns, sie hatte zwei Bier konfisziert und einen Tollpatsch gezwungen, seinen verschütteten Fruchtcocktail selbst wieder aufzuwischen. Ich schaute beim Einlass vorbei, der fest in der Hand meines Deutschgrundkurses war – gestandene Kerle, wirklich. Nur ihre Lektüren hatten sie selten dabei. Die Ausbeute der Securities war bescheiden – zwei Taschenmesser, ein ziemlich dünner Schlagring und eine Flasche Jägermeister.
„Mir scheint, die Gegend wird zahm“, kommentierte ich nach einem Blick in die Kiste.
„Beschreien Sie´s nicht“, grinste Wolfi, und Brandes, der gerade vorbeikam, schaute etwas konsterniert drein. „Geht es hier immer so zu?“
„Nein, sonst ist eindeutig mehr los“, erklärte Wolfi ihm mit todernster Miene und ich musste kichern. Brandes sah mich an. „Waren Sie beim Friseur?“
„Nein, ich habe eine eigene Schere.“ Er schaute zwar etwas dumm drein, aber er war als Zorro nicht schlecht verkleidet. Unter dem Sombrero würde ihm freilich im Laufe des Abends noch schön warm werden. Als ich mich gerade abwenden wollte, um wieder einmal die Toiletten zu inspizieren, gab es Unruhe an der Tür: Die Securities hielten den schönen Ricky fest. Ich ging zur Tür. „Hallo, Richard. Sie wissen doch, dass Sie hier Hausverbot haben? Versuchen Sie´s im Jugendhaus, dort ist heute auch eine Fete, sogar mit Bier... Hier geht leider gar nichts.“
Ricky tobte noch ein bisschen, fand uns korinthenkackerisch und nachtragend – bloß weil er letztes Jahr ein bisschen gedealt hatte und deshalb geflogen war – und verzog sich dann murrend wieder. Kaum war er weg, kam Holger im Laufschritt an und zerrte einen Jungen hinter sich her, den er den Securities in die Arme schubste.
„Werft ihn raus, der wollte hier eine Prügelei anfangen.“
Sie gehorchten nur zu gerne. Der Sicherheitsdienst war heute nender als im Kino! Zwei hielten den Übeltäter fest - ach, einer vom Mariengymnasium! - einer nahm ihm die Garderobenmarke ab, drückte ihm dann seine Jacke in die Hand und drängte ihn energisch zur Tür hinaus.
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