Ad drei. Was wir gefunden haben, konnten wir beinahe komplett zuordnen. Allerdings bringt uns das nicht weiter. Diese Spuren gehören samt und sonders ihrem Kollegen Hallstein. Wir hätten deutlich weniger Arbeit gehabt, wenn wir nicht seine Spuren mit den übrigen hätten abgleichen müssen. Vielleicht können Sie einmal mit ihm reden. Frau Ritter scheint sich auch häufiger in dem Wagen aufgehalten zu haben. Auch in den letzten Tagen.
Ad vier. Auf dem Sideboard stand eine Tüte einer Apotheke. Da müssen wir noch den Botenfahrer ermitteln und die Abdrücke nehmen. Es sind insgesamt vier verschiedene Fingerabdrücke gefunden worden.
Ad fünf. Die Schuhabdrücke von ihrem Kollegen haben wir mit den älteren verglichen. Verschiedene Absätze, aber die gleiche Größe, vierundvierzig.
Und last not least, die Fasern von ihrem Kollegen haben uns vor Probleme gestellt. Es scheint so, dass der Täter seine Fasern bis auf wenige Spuren beseitigt hat. Ihr Mitarbeiter, dieser Hallstein, scheint sich in dem Raum breit gemacht zu haben. Zugegeben, es wurde gerangelt. Da verteilt sich die Spuren in alle Richtungen. Sie müssen ihm noch einmal klar machen, dass er den Anweisungen strikt Folge leisten muss. Das war’s. Alles andere steht hier drin.« Er klappte die Mappe zu und schob sie dem Hauptkommissar hinüber. Nebenbei griff er zu einer neuen Lakritzrolle. »Telefon und dergleichen wurden nicht gefunden. Sie hat aber eines gehabt, denn auf einer selbstgedruckten Visitenkarte haben wir eine Nummer gefunden. Sie liegt in der Mappe. Sie benötigte es auch, um Termine zu machen. Wie ich erfahren habe, hatten die Damen auf dem Parkplatz nicht nur Laufkundschaft.«
Berendtsen hatte aufmerksam zugehört. »Habe schon davon erfahren. Diese Zeugin Ritter hat mir den Tagesablauf und die Arbeitsweise bereits im Groben erklärt. Sie vergeben auch Termine und haben Stammkunden. Ist der Provider schon ausgemacht? Die Handynummer stand auf einer Visitenkarte?«
»Ja. Wir sind dabei. Der Anbieter verlangt eine richterliche Anordnung. Das neue Datenschutz-Gesetz lässt grüßen. Früher konnten wir diese schon mal nachreichen. Heutzutage geht da gar nichts.
Und zum Schluss die Überraschung! Wir haben DNA gefunden von einem direkten Verwandten.«
»Sie hat zwei Brüder. Die wohnen nach Angaben der Zeugin Ritter in Marl bei ihrer Schwester. Sie scheinen nach Breslau unterwegs zu sein. Wir können sie allerdings nicht orten. Wir werden diese Spur verfolgen.«
Sie tranken noch eine Tasse Kaffee und unterhielten sich über private Dinge, um sich ein wenig besser kennenzulernen. Schließlich gingen sie mit »Bis die Tage, Albert« und »Tschüss Willi« auseinander. Die restlichen Lakritze nahm Willi dankbar mit. Sie verstanden sich gut, stellte Berendtsen fest.
Berendtsen trat ans Fenster, steckte sich eine Handvoll Bärchen in den Mund und blickte nachdenklich abwechselnd über die Dächer von Recklinghausen, dann wieder auf die Straße und dachte über den Unterschied zwischen Recklinghausen und Hamburg nach.
»Wenn er sie nicht töten wollte, warum hat er dann nicht den Notarzt gerufen? Was wäre gewesen, wenn sie überlebt hätte? Hatte der Täter sie in der Hand, so dass er sicher sein konnte, dass sie nicht redet? War sie vom Täter abhängig? War’s der Zuhälter? Maria hatte bestätigt, dass sie allein arbeitete. Wusste Maria genau Bescheid?«
Zurück am Schreibtisch räumte er weiter ein. Hinter einer Klappe fand er den Rechner. Der Drücker zum Einschalten war so versteckt, dass er ihn zuerst nach längerem Abtasten gefunden hatte. Kurz darauf erschien die Eingabemaske für sein Passwort. Er hatte keines. Er probierte noch einmal den Sessel. Wunderbar. Er nahm den Telefonhörer und stellte fest, dass er auch noch kein Verzeichnis der Abteilungen hatte. Auf seinem iPad erstellte er eine ToDo-Liste.
Aussagen der anderen Zeugen einholen.
Ritter fragen
Internetseite – Telefonnummer
Tel. der Kolleginnen? Adressen?
Telefonkorrespondenz erfahren
Todesursache sicher?
Inhalt der Apothekentüte. Alles komplett? Was fehlt?
Fahrer interviewen. Uhrzeit der Abgabe?
Lakritz, Hustenbonbons, Halstabletten,
Blumen!!
Tisch bestellen.
Es klopfte an seiner Bürotür.
»Herein!«
Eine hübsche junge Frau, um die dreißig, mit Kastanienbraunem Haar in einem geblümten Sommerkleid und passenden roten Sandaletten stand in der Tür. Ein weißer Gürtel mit silberner, mit Strass verzierter Schnalle, betonte die schlanke Taille.
»Guten Morgen, Herr Hauptkommissar. Ich bin Uschi, Ihre Sekretärin. Ich wollte mich gestern bereits vorstellen, aber habe Sie leider nicht angetroffen. Ich habe hier einige Dinge, die Sie benötigen. Darf ich Ihnen alles aushändigen und erklären? Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?«
Berendtsen hätte sie gerne begrüßt, aber er kam nicht dazwischen. Sie ging, ohne sich aufhalten zu lassen ihre Aufgaben an.
»Zu allererst den Schlüssel. Dieser passt zum Haupteingang. Dieser zu ihrem Büro. Was Sie mit der Zeit darüber hinaus benötigen, gibt Ihnen Frau Brüggemann an der Pforte.«
»Bitte, Uschi, den ›Hauptkommissar‹ können Sie weglassen. Einfach ›Berendtsen‹. Nehmen Sie Platz.« Er bot ihr den Stuhl gegenüber dem Schreibtisch an, erhob sich und reichte ihr die Hand.
»Vielen Dank, aber ich möchte Ihnen das Telefon erklären. Ein Passwort benötigen Sie auch noch. Ich zeige Ihnen, wie Sie es ändern können. Sie müssen es personalisieren.« Sie trat neben ihn an den Schreibtisch. Sie zog das Telefon vor. Einige Etiketten für die Kurzwahl hatte sie mitgebracht und fügte sie mit Leichtigkeit in die vorgesehenen zweimal fünf Felder ein. Die Rufnummern kannte sie auswendig und hatte sie schnell hinterlegt.
»Die beiden unteren Felder, beschriftet mit ›privat 1‹ und ›privat 2‹ sind frei belegbar. Wenn Sie wünschen, programmiere ich diese für Sie.«
Berendtsen bat um Eingabe seiner privaten Rufnummer und die des Handys seiner Frau. Er sah genau zu und hatte den Vorgang verstanden. An Kurzwahlen war alles eingegeben, was er brauchte.
»Das nenne ich Service!«, lobte er sie.
»Danke. Hier habe ich das Telefonverzeichnis der anderen Büros in diesem Haus, die für Sie von Belang sind. Alle anderen weiß die Zentrale – dieser Knopf mit dem roten Punkt.«
»Klasse!«, entfuhr es ihm. »Vielen Dank.«
»Sollen wir jetzt das Passwort angehen?«
Sie gab ein Passwort ein, das auf einem Papier ausgedruckt war, und der Rechner gab eine Seite frei, in der das neue Passwort eingegeben werden musste. Sobald Berendtsen seine Eingabe bestätigt hatte, zerriss sie den Zettel und warf ihn in seinen Papierkorb.
»Hier sehen Sie ihren Terminkalender. Einen Termin habe ich Ihnen schon eingetragen. Elf Uhr ist Meeting im Zimmer 612. Gleich den Gang nach rechts auf die andere Seite des Treppenhauses, das Zimmer gegenüber der Chefin.« Sie begab sich flotten Schritts zur Wand und heftete den Fluchtplan neben die Tür. »Der muss hier hängen bleiben. Er wurde nach der Renovierung des Raums noch nicht wieder angebracht. Sie müssen nur nach links den Gang entlang. Die Glastür ist der Notausgang für diesen Teil des Gebäudes. Es sind nur drei Büros, für die der Weg in Frage kommt. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen. Sollte die Tür klemmen, hängt links im Kasten ein kleiner Hammer. Die Vorgehensweise bei Alarm jeder Art steht auf diesem Plan. Eigentlich brauchen Sie sich nur merken, dass Sie an nichts denken müssen, sondern einfach losrennen. Nach links! Alles klar?«
Berendtsen staunte über diese Routine.
»Noch Fragen?«
»Ich möchte ein Backup einrichten. Können Sie mir da helfen?«
»Wird nachts für Sie automatisch erledigt. Sie fahren den Rechner herunter, aber drücken nicht die OFF-Taste. Wichtig! Sie richten ihren privaten Ordner ein unter ›private Dateien‹. Diese werden dann mitgesichert … übrigens können Sie nur die Dateien in diesem Ordner auf ihren privaten Laptop oder dergleichen überspielen. Alle Daten der Polizei sind mit Kopierschutz versehen.«
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