Gerhard Nattler - Ein tödlicher Plan

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Die Prostituierte Maria Weiß meldet den Tod einer ihrer drei Kolleginnen, die in ihren Wohnwagen an der B225 ihrem Gewerbe nachgehen. Kommissar Berendtsen ermittelt. Der Verdacht fällt zunächst auf seinen Kollegen Oliver Hallstein, doch bald stellt sich heraus, dass Maria und ihre drei Kolleginnen aus der Szene aussteigen wollten, sehr zum Missfallen ihres Managers Andreas Wallbaum. Im Zuge der Untersuchungen stößt Berendtsen auf organisiertes Verbrechen großen Ausmaßes.

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»TATORT – ZUTRITT POLIZEILICH VERBOTEN. POLIZEIDIREKTION RECKLINGHAUSEN«.

Berendtsen ließ das Fenster herunter und winkte Frank zu sich.

»Bitte sorgen Sie dafür, dass alle Kennzeichen der Wagen notiert werden, die hier auf dem Parkplatz stehen. Vielleicht erfahren Sie heute Abend oder morgen mehr von den Leuten, die jetzt unterwegs sind. Soweit wie möglich alle Ausweise anschauen und die Namen notieren. Haben Sie ein Smartphone? … Fein Dann fotografieren Sie alle Ausweise oder, wenn möglich, scannen Sie ein.«

Frank blickte verwundert auf Hallstein in Unterhose, fand es auf Grund der Mine seines Kollegen allerdings nicht angebracht, sich dazu zu äußern.

»Wird gemacht, Hauptkommissar Berendtsen.«

Der Kommissar war erstaunt, dass Frank sich seinen Namen in so kurzer Zeit gemerkt hatte. Allerdings konnte er feststellen, dass der Beamte von dieser Anweisung nicht gerade begeistert war.

»Ich denke, bis morgen können sie mir die Namen und Adressen der Fahrer besorgen. Geben Sie sie Frau Bremer. Sie möchte sie auf meinen Schreibtisch legen.«

»Selbstverständlich. Geht in Ordnung.«

Donnerstag 02. August

Berendtsen saß schon früh in seinem neuen Büro. Er beschäftigte sich mit seinem neuen Arbeitsplatz. Zufrieden strich er mit der Hand über das glatte Holz. Der Schreibtisch war größer als sein alter in Hamburg, die Schubladen waren anders angeordnet, aber nicht schlechter. Zuerst machte er sich ans Werk, eine Lade auszusuchen, die er für sein Laster brauchen würde. Die oberste, flache Lade war nicht geeignet. Die brauchte er für seine Kugelschreiber, Bleistifte, Anspitzer und alles, was man so braucht, um Skizzen und Notizen zu machen. Früher! Jetzt hatte er einen neuen Touchpen, mit dem er auf seinem Smartphone oder dem kleinen Minipad, das er bei Ermittlungen immer bei sich trug, zeichnen konnte. Für ihn eine wunderbare Erfindung. Die Entscheidung fiel zugunsten der untersten Schublade. Er verstaute eine alte mit Gummibärchen oder ähnlichem Kleinzeug aus kaubaren Gummidrops und Lakritzen gefüllte Zigarilloschachtel, die er von seinen früheren Rauchgewohnheiten in sein jetziges Leben herübergerettet hatte. Erst danach packte er seine Aktentasche und einen Plastikbeutel aus. Er stellte das Bild seiner Frau zu allererst direkt in sein Blickfeld neben das Telefon. Dazu musste der Bildschirm ein wenig verrückt werden. Die Bilder seiner beiden Kinder kamen links und rechts daneben, ein Familienfoto aus dem letzten Wanderurlaub stellte er auf die andere Seite. Die alte Schreibtischunterlage aus grünem Leder passte perfekt. Er hatte sie in Hamburg entsorgen wollen, weil sie an manchen Stellen reichlich mit Schreibspuren bekritzelt war. Jetzt freute er sich, dass er sie hatte. Sie war immer nützlich, wenn kurzfristig eine Notiz zu verbergen war. Eine kleine Wetterstation mit Zeitfunktionen und Vorhersage, ein Ladegerät fürs Handy und eines für den Laptop wurden auf die rechte Seite positioniert. Er drehte sich einige Male auf seinem neuen Sessel, probierte die Neige- und Ruheposition und war stolz, jetzt einen Sessel zu besitzen, der eines Leitenden Hauptkommissars würdig war. Er erschrak leicht, als das Telefon schellte, gerade in dem Moment, in dem er es anfasste, um es zu verrücken. Er musste darüber lächeln. Dann nahm er ab.

»Berendtsen.«

»Hallo Albert. Hier ist Vera. Hast du Lust auf einen Kaffee? Ich habe genug davon. Milch und Zucker auch.«

Wenige Minuten später saß er im Büro seiner Chefin am Couchtisch bei Kaffee und Gebäck.

»Wie gefällt dir dein neues Büro?«

»Alles bestens. Vielen Dank für die Sitzecke und die Yukka Palme. Sie gefällt mir gut, habe sie allerdings noch nicht gegossen. Unwillkürlich griff er in seine Tasche.

»Magst du Gummibärchen?«

»Gerne, danke.« Sie nahm eines. »Wie geht es dir und Irmgard? Habt ihr euch in Dorsten schon eingelebt? Wie war noch die Adresse? Irgendein Musiker?«

»Ein Komponist. Puccinistraße 11, Stadtsfeld nennt sich dieser Stadtteil. Alle Straßen sind nach Komponisten benannt. Sehr ruhig, sehr freundliche Leute. Gut. Es gefällt uns gut dort. Alles da. Supermarkt, Autowaschanlage, Friseur, Apotheke, Arzt, Massage. Das einzige, was fehlt, ist eine Eisdiele. Irmgard und ich gehen gerne Eis essen. Andererseits kann man wunderbar spazieren gehen. Direkt vor der Haustür fangen Rad- und Spazierwege an. Erste Kontakte zu den nächsten Nachbarn haben wir auch schon geknüpft. Wir sind schon drei Wochen Dorstener. Die Zeit rennt.«

Sie unterhielten sich über ihre Ehegatten, den Nachwuchs und viele Dinge, die man von Leuten wissen möchte, die man früher gut gekannt und dann aus den Augen verloren hat. Albert erzählte von seinen beiden Kindern, Maximilian war inzwischen zweiundzwanzig, studierte in Aachen Maschinenbau. »Im Moment hat er Semesterferien, hat allerdings viel zu tun, weil er sich auf zwei Klausuren vorbereiten muss, die Ende August anfallen. Diese Woche verbringt er zuhause. Er lernt fleißig. Muss ich sagen. Früher war das anders.« Sophie war gerade neunzehn geworden. Sie hatte im Mai ihr Abitur bestanden und wollte Jura studieren. Sie wollte nach Münster. Ursprünglich wollte sie in Hamburg bleiben, aber jetzt war Münster am nächsten, wenn man nicht in Bochum bleiben wollte. Sie hatte auf einer Klassenfahrt von Hamburg aus dem Rathaus in Münster einen Besuch abgestattet, um den Ort zu besuchen, an dem der Westfälische Frieden geschlossen worden war. Die Stadt hatte es ihr angetan. Der Prinzipalmarkt mit den alten Fassaden und den Lauben hatte es ihr angetan. Vera hatte keine Kinder. Zuerst wollten sie keine, wegen der Karriere, dann wurde ihr Wunsch nicht erfüllt. Sie bedauerte heute, es nicht anders entschieden zu haben.

»Warum hast du dich damals für Hamburg entschieden?«

»Es wurde dort ein Kriminal-Kommissar gesucht. Hier in Recklinghausen hätte ich noch lange warten müssen. Es war keine Planstelle frei. Jetzt ist es anders. Jetzt ist hier in Recklinghausen die Stelle frei geworden und ich hätte in Hamburg noch warten müssen. Außerdem hat mich das Angebot aus meiner Heimat gereizt. Du hast mir am Telefon erzählt, dass mein Vorgänger erschossen worden ist? Was war da los?«

»Es war ein Einsatz gegen diese Clans, Großfamilien, wie wir sie hier nennen. Wir in NRW arbeiten jetzt nach dem Motto ›keine straffreien Räume und keine Rücksicht auf Bandenkriminalität‹. Wir haben in Zusammenarbeit mit Hamm eine Bande festgenommen, die von Oberhausen über Gelsenkirchen bis nach Hamm eine Mafia aufgebaut hat, die ihresgleichen sucht. Es handelte sich um Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, sprich Drogen, Apothekeneinbrüche und dergleichen, und Autodiebstähle. Dabei ist Kollege May angeschossen worden, lag drei Monate im Koma und ist dann leider den Verletzungen erlegen. Es tut mir leid. Das Unangenehme in der Angelegenheit war, dass ich selbst seiner Frau die Nachricht von der Verletzung überbringen musste. Die Ärzte im Knappschafts­krankenhaus haben alles versucht. Es ist grausig, wenn man einen Kollegen verliert, mit dem man lange und intensiv zusammengearbeitet hat. Das kann ich dir sagen.«

»Wie bist du ausgerechnet auf mich gekommen? Ich meine, du hast dich davor über Jahre nicht gemeldet.«

»Das stimmt nicht. Du selbst hast dich nicht gemeldet. Ich habe dir damals auf den Anrufbeantworter gesprochen, dass du mich noch einmal anrufen solltest. Wir hatten uns lange nicht gesehen. Erst hatte ich die Hausarbeiten zu schreiben, dann warst du auf Trip in … wo?«

»Neuseeland. Rucksacktourismus. Ein halbes Jahr. Wie soll ich da den AB abhören? Als ich dann endlich zurück war, hattest du deinen Klaus. Du hast ihn geheiratet, stimmt’s? Du heißt Zimmermann.«

»Nein, stimmt nicht. Der Schurke hat mich betrogen. Ich habe dann seinen Bruder Paul geheiratet. Das hat er mir Klaus nie verziehen. Wir wohnen in Marl, also genauer in Marl-Polsum. Von dort ist es ein Katzensprung bis ins Stadtsfeld. Wir sollten uns vielleicht einmal besuchen. So kann ich auch deine Frau kennenlernen. Von zuhause aus ist es auch nicht weit hierher. Oft fahre ich morgens über die Landstraße, aber ich habe auch einen Autobahnanschluss direkt vor der Tür, eben da, wo du deinen Tatort hast. Wie ist der erste Arbeitstag verlaufen? «

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