»Beeindruckend. Wirklich beeindruckend! Ich habe mit der Hauptzeugin gesprochen, uns benachrichtigt hat, und war überrascht, wie stilvoll die Frau war. In Hamburg … also da sind die Mädchen frecher. Es war Gewalt, eindeutig, bestätigt die Pathologin. Ich habe den Namen nicht behalten. Egal. Jemand hat diese Frau geschlagen. Sie ist hingefallen und mit dem Kopf unglücklich auf eine Kante gefallen und hat sich ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen. Soweit so gut. Verdacht auf ein Verbrechen entsteht dadurch, dass der Täter – es war wohl ein Mann – sie auf das Bett gelegt und keinen Arzt gerufen hat. Verdächtig kommt mir ebenfalls vor, dass der Täter nach ersten Vermutungen Handschuhe trug. Er hatte also einen Grund, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Außerdem gehe ich davon aus, dass er heute Morgen noch einmal den Tatort besucht hat. Er wollte sicherlich nachschauen, wie es seinem Opfer geht, fand es tot und ist davongerannt. Dabei hat er die Wagentür zugeworfen und offensichtlich nicht bemerkt, dass die Fransen eines Läufers das Einrasten der Klinke verhindert haben. Er ging davon aus, dass er heute Morgen allein auf dem Platz war. Er wusste nicht, dass ausgerechnet an diesem Donnerstag jemand vor Ort war, der das Vergehen hätte verfolgen können, was durch Zufall nicht geschah, weil die Zeugin einen Freier hatte. Jetzt frage ich mich, was der Mann von der Frau wollte. Es war wohl ein Streit zwischen den beiden entstanden. Die Ohrfeige deutet darauf hin.« Er bot ihr Gummibärchen an. »Aber jetzt hast du mir immer noch nicht verraten, wie du auf mich gekommen bist.«
»Ganz einfach. Ich habe von der Verhaftung des Kara Mal-Habib erfahren. Mit ihm und seiner Bande hast du einen richtigen Fang gemacht. Das hat sich herumgesprochen. Außerdem habe ich dich kurz im Fernsehen erkannt. Ich hatte mir schon lange Gedanken über die Nachfolge von May gemacht, denn es war abzusehen, dass er es nicht schafft oder zumindest nicht mehr seinem Beruf nachgehen kann. Dann kam das Schreiben vom Innenministerium, dass die leitenden Stellen möglichst komplett zu bestellen sind. Ich bin verantwortlich für diese Region. Daraufhin habe ich dich angerufen und diese Stelle so ausgeschrieben, wie wir es besprochen hatten. Und nun bist du hier in deiner alten Heimat. Herzlich willkommen. Wie lange warst du weg?«
»22 Jahre. Die Zeit rennt wirklich. Ist noch jemand hier von der alten Truppe?«
»Noch einige. Dabbelju ist noch da«, sie lachte über das fragende Gesicht ihres Freundes, »Willi Weber«, klärte sie auf.
»Dabbelju? Den Namen hat er neu. Von wem?«
»Eines Tages war er da. Den Ursprung kenne ich nicht, aber passt er nicht wunderbar?«
Dann ist noch Mike van Haalen da, der wohnt auch in Polsum, gleich hier um die Ecke. Manfred, Manni Niehus und Wolfgang Heinze. Die kennst du noch?«
»Die kenne ich noch, aber sie waren nicht bei dem Empfang.«
»Mike ist in Urlaub, in Hook van Holland. Warst du mal da? Ein wunderbarer Strand und nicht so viele Buden und Kneipen. Deshalb nicht so überlaufen wie Scheveningen, aber nichts schlechter. Eben viel ruhiger. Für Leute, die in ihrem Job viel zu tun haben, genau das Richtige. Ein wunderschön gelegenes Restaurant haben sie da. Man isst zu Mittag und legt sich anschließend in die Dünen. Wunderbar. Mike hat noch schulpflichtige Kinder, deshalb muss er in den Schulferien fahren. Manni war im Einsatz, bewaffneter Raubüberfall an einem Kiosk, und Wolfgang feierte die Überstunden ab. Er war später noch hier, um dich zu begrüßen, aber das warst du schon an deinem Tatort. Nochmal zu dem Fall. Wie willst du vorgehen?«
Ich bin um zehn Uhr mit der Pathologin verabredet. Wie heißt die noch?«
»Rother mit th, Michaela Rother, frisch im Beruf und ehrgeizig. Manchmal höre ich, sie arbeitet verbissen. Ich habe nichts mit ihr zu tun. Überhaupt ist die ganze Untersuchungsarbeit nicht meine Aufgabe. Manchmal vermisse ich es, aber oft bin ich froh, wenn zuweilen grausige Bilder im Umlauf sind. Das kann ich gar nicht haben. Da ist mir die Verwaltung lieber.«
Berendtsen sah auf seine Uhr. Es ist zehn vor zehn. Wie komme ich denn von hier aus schnell in die Pathologie?«
Sie befindet sich auf der anderen Straßenseite. Du kannst in den Keller fahren, dann rechts bis zum nächsten Fahrstuhl und dann in das Erdgeschoss. Ein Pfeil zeigt nach links. Nicht zu verfehlen.«
Fünf Minuten später schellte er an. Das Etikett auf ihrem blütenweißen Kittel wies sie aus als Dr. M. Rother, Pathologin nebst Äskulap-Stab.
»Guten Morgen Herr Berendtsen. Treten sie ein.«
»Moin, Moin«
Sie öffnete die Tür zum Kühlregal mit den Schubladen und zog eine heraus. Die Tote vom Parkplatz. Mit jeglicher Präzision erklärte sie Haar für Strähne den Vorgang des Ablebens des Opfers.
»Hätte er 112 angerufen, wäre die Dame jetzt nicht hier. Vielleicht nicht einmal mehr im Krankenhaus. Das ist der erste Eindruck. Allerdings habe ich sie noch nicht aufgeschnitten. Ich habe noch einen aktuellen Fall, heute Nacht frisch eingetroffen, den ich bis heute Nachmittag wohl abgeschlossen habe. Ich will mich bemühen, den Bericht für Sie bis morgen fertigzustellen. Reicht das?«
»Wie alt schätzen Sie die Frau?«
»Mitte zwanzig.«
Behrendsen blickte auf seine Uhr. Über eine halbe Stunde hatte sie gebraucht. Sie war sehr akkurat. Auf dem Weg ins Büro zerbrach sich Berendtsen die ganze Zeit den Kopf darüber, warum der Täter nicht den Notarzt angerufen hatte. Wenn es ein Streit war, hätte er den Arzt gerufen, wenn er das Mädchen umbringen wollte … warum hätte er riskieren sollen, dass sie von selbst stirbt?
Auf dem Flur begegnete ihm der Leiter der Spurensicherung, Herr Schmidt, schon auf dem Gang. Er war auf dem Weg zu ihm. Nach kurzer Begrüßung legten sie den Weg zu seinem Büro schweigend zurück. Berendtsen hielt die Tür auf und bemerkte voller Stolz den Blick seines Kollegen auf das Schild neben der Tür, Erster Kriminalhauptkommissar (EKHK), Albert Berendtsen. Er bedeutete seinem Besuch, in der Sitzecke Platz zu nehmen. Dieser rückte seinen Sessel selbstverständlich an den Tisch und breitete seinen Bericht aus. Berendtsen öffnete eine Tür des Wandschranks, hinter der sich ein Kaffeeautomat mit allem Zubehör verbarg, drückte den entsprechenden Knopf und schon hatte er zwei Tassen mit duftendem Kaffee auf dem Tisch. Eine kleine Schale mit einem Gemisch aus Lakritzen und den obligatorischen Gummibärchen stand bereits da. Berendtsen bot sie an, warf gleich eins davon in seinen Mund und forderte Schmidt auf, zuzugreifen. Der zögerte nicht lange, nahm eine Lakritzschnecke, rollte ein Stückchen davon ab und freute sich. »So etwas habe ich lange nicht genascht«, strahlte er. Dann setzte er seine professionelle Mine auf und begann seinen Vortrag:
»Ad eins«, begann Schmidt während er kaute. »Die Todesursache war nach erster Einschätzung von Rother ein Schädel-Hirn-Trauma, ausgelöst durch den Sturz auf dieses vorstehende Brettchen, diese Kante neben dem Bad. Der wiederum war Folge des kräftigen Faustschlags auf die linke Wange des Opfers. Ich schließe aus der Heftigkeit des Schlages auf einen kräftigen Mann, Rechtshänder. Dem Abdruck des Daumens nach war der Täter mindestens einen Meter achtzig groß. Genaueres muss die Pathologin herausfinden, wenn sie die Leiche auf dem Tisch hat. Winzige Lederpartikel auf der Wange bestätigen den ersten Verdacht, dass der Mann Handschuhe getragen hat. Mitten im Sommer?«
»Folglich hat er vorgehabt, dem Mädchen etwas anzutun, denke ich. Ob er sie töten wollte, bleibt zunächst dahingestellt.«
»Sehe ich auch genauso«, stimmte Schmidt Berendtsen zu.
»Ad zwei. Körperflüssigkeiten, die auf Geschlechtsverkehr hinweisen, lagen nicht vor. Die Untersuchungen waren in dieser Richtung sehr intensiv. Ebenso wurde keine fremde DNA im Bett gefunden. Das Bett war also frisch bezogen und unbenutzt. Frau Barami hat dem Anschein nach vorgehabt, die Nacht im Wagen zu verbringen.
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