Dr. Engelhorn grinste den zartbesaiteten Kommissar an. „Übergewicht sorgt für stärkere Abnutzung der Gelenke. Die Knorpelreste zeigen nichts dergleichen.“
„Ein normalgewichtiger Mann um die dreißig also“, rekapitulierte Felix, um Coolness bemüht. „Wie lange schätzungsweise ist er schon tot?“
„Wann wurde denn das Haus gebaut?“, fragte Dr. Engelhorn zurück und lachte über Felix´ entsetztes Gesicht. „Ein Scherz! So genau kann ich das noch nicht sagen. Der Zahnstatus entspricht nicht heutigen beziehungsweise hiesigen Verhältnissen. Siebziger Jahre – oder neuer, dann Osteuropa, ganz grob gesprochen. Etwas haben wir gefunden, es war kaum sichtbar, hier!“ Sie hielt ihm ein Tütchen hin, indem sich winzige Metallteile befanden.
„Was ist das?“
„Vermutlich die Reste eines Halskettchens, die zwischen den Halswirbeln klemmten. Vielleicht finden sich die übrigen Teile noch am Fundort der Leiche – naja, der Leichen reste .“
Felix schickte sofort jemanden von der Spurensicherung dorthin. „Gibt es sonst noch etwas? Idealerweise ein Stückchen Jeansstoff am Hüftknochen, das man einer bestimmten Mode und damit einem bestimmten Jahr zuordnen kann?“
„Nicht ganz. Dieser Knopf wurde von der Spurensicherung mit den Knochen eingesammelt.“
Der Knopf, ebenfalls korrekt eingetütet und beschriftet, schien wenig aufschlussreich; er war braun, offensichtlich aus Kunststoff und möglicherweise von einer Jacke übriggeblieben, deren Stoff schon längst zerfallen war. Ein Stückchen Faden hing allerdings noch in den Löchern. Felix gab Dr. Engelhorn das Tütchen zurück. „Könnt ihr das Material genau analysieren?“
„Klar. Du meinst, wenn es Bakelit ist, stammt die Leiche doch schon aus den Dreißigern?“
„Na, so ähnlich. Kannst du den Zeitraum irgend wie eingrenzen?“
„Nur sehr grob. Zwischen den späten Fünfzigern und den frühen Siebzigern. Nicht nach 1975, behaupte ich jetzt mal. Kettchen und Knopf helfen uns vielleicht noch weiter. Der Faden dürfte Kunstfaser sein, sonst wäre er nicht mehr da.“
Damit musste Felix sich zufriedengeben.
Liz fluchte halblaut vor ihrem Rechner. Wenn man nur den Namen Gisela Zänker hatte, kein Geburtsdatum, kein gar nichts…
Schließlich rief sie im Einwohnermeldeamt an und erkundigte sich nach den Meldedaten aus den Siebzigern.
Gelächter am anderen Ende und die freundliche Einladung, sich doch bitte selbst in den Keller mit den Akten zu begeben. Liz knurrte etwas mäßig Begeistertes in den Hörer und kündigte ihren umgehenden Besuch an. Dann zog sie ihre Tasche und ihre Jacke von der Lehne und verließ den Raum.
Max folgte ihr auf dem Fuße, denn er hatte die Zentrale von MayBau angerufen und einen Termin mit Lars Maybach vereinbart.
Maggie war als erste gegangen, denn Brunnhauser war vergleichsweise prominent und damit leicht zu finden gewesen – der erste Eintrag bei Google hatte schon den passenden Radiosender samt Sendeterminen geliefert.
Wenn sie sich auch nur ein bisschen beeilte, musste sie Brunnhauser vor seiner Sendung erwischen!
Tatsächlich gelang es ihr, eine halbe Stunde vor Beginn von Beschwingt durch den Vormittag (mit kleinen Wortbeiträgen, die vor allem an Hausfrauen gerichtet waren) vor dem entsprechenden Studio zu stehen und ihren Kripoausweis gegen die Scheibe zu drücken, bis Wolfgang Brunnhauser aufsah und herauskam.
„Drinnen ist es furchtbar heiß, Frau -? Aber natürlich, wenn Sie gerne einmal ein richtiges Studio sehen möchten…“
„Mein Name ist Bohn. Nein, das Studio muss ich jetzt nicht sehen. Es geht um die WG, in der Sie in den frühen Siebzigern einmal gewohnt haben.“
„WG?“ Brunnhauser sank auf einen der unbequemen Stühle auf dem Gang. „Meinen Sie etwa dieses grässliche Häuschen draußen in Zolling? Gott, da bin ich aber ganz schnell wieder raus, damals. Tommy hatte mich da reingequatscht, als ich sozusagen obdachlos war… aber warum wollen Sie das wissen? Das ist doch schon Jahrzehnte her!“
„Über vierzig Jahre“, bestätigte Maggie. „Das Haus ist gestern abgerissen worden.“
„Gut so, es war wirklich eine Beleidigung des guten Geschmacks. Und gezogen hat es darin wie Hechtsuppe. Aber dieser Abriss ist doch auch noch kein Grund, dass sich die Kripo darum kümmert – Sie sind doch von der Kripo, nicht etwa von der Bauaufsicht?“
„Nein, wirklich von der Kripo. Möchten Sie raten, was beim Abriss aufgetaucht ist?“
Brunnhauser sah auf die Uhr, schien beruhigt und grinste. „Ein Koffer voller Mafiageld? Ein Zentner Koks?“
Maggie schüttelte den Kopf. „Eine Leiche.“
„Hui!“ Brunnhauser stellte sein Grinsen pietätvoll ab, dann zog er die Augenbrauen hoch. Ein ausdrucksvolles Mienenspiel musste man ihm zugestehen, dachte Maggie sich – eigentlich war er im Radio verschwendet.
„Ja, aber was habe ich mit einer Leiche zu tun? Ich bin doch schon seit über vierzig Jahren da raus, wie Sie eben ausgerechnet haben.“
„Das ist schon richtig, aber die Leiche ist in einem entsprechenden Zustand. Genaugenommen sind bloß noch ein Schädel und eine Handvoll Knochen übrig. Im Keller vergraben.“
„Gruselig. Da hat jemand eine Leiche zerstückelt?“
„Nein“, entgegnete Maggie leicht gereizt. Hatte der keine Ahnung oder stellte er sich so blöd? War Beschwingt durch den Vormittag etwa Comedy?
„Können Sie sich aus Ihrer Zeit in der WG an etwas erinnern, was uns weiter helfen könnte? An einen Besucher, der verschwunden ist, zum Beispiel?“
Brunnhauser überlegte und schüttelte dann den Kopf. „Leider. Diese Rothaarige und auch Gabi und Helli hatten schon ab und zu Jungs da, aber verschwunden ist nie einer. Leider, die haben unser Bier gesoffen und unsere Kippen geraucht.“
„Und das Gras…“
Brunnhauser winkte ab. „Selten. Haben Sie eine Ahnung, wie harmlos wir damals waren? Fast schon peinlich, wenn man das vor heutigen Kids zugeben müsste… Nein, wir kamen uns ja schon toll vor, wenn wir von einer Zigarette den Filter abgemacht haben.“
„Und erbärmlich gehustet?“ Maggie grinste ihn an und Brunnhauser feixte zurück. „Genau. Mann, waren wir cool… Aber ernsthaften Ärger hat es eigentlich nie gegeben… Moment, hatte die Gisa nicht mal diese Klette? Den haben wir mit vereinten Kräften rausgeworfen. Aber nicht im Keller verbuddelt! Der wollte auch noch ab und zu rein, durfte er aber nicht mehr. Wie hat der bloß geheißen…? Verdammt, vierzig Jahre sind schon arg lang her… es war so ein richtig saublöder Name, wir haben Gisa am Anfang damit aufgezogen, dass doch kein Schwein mehr so heißt…“
„Adolf?“, schlug Maggie vor, die an einen alten Fall dachte.
„Nein, so furchtbar auch wieder nicht. Aber schon irgendwie treudeutsch, und das kam damals ja zügig aus der Mode. Siegfried? Ja, genau. Siegfried. Und er sah auch gar nicht so aus…“ Er gluckste. „“Wie bei den Nazis, die sahen ja alle auch nicht aus wie ihre albernen Ideale… Er war klein und dick und hatte wenige, aber schwarze Haare. Nett war er auch nicht, da konnte die Gisa wirklich etwas Besseres haben, die hat schon toll ausgesehen. Irre Haare, lang, lockig und so ein sattes Dunkelrot…“ Er sah träumerisch vor sich hin.
„Mit Frau Zänker würden wir auch gerne sprechen“, unterbrach Maggie die nostalgische Stimmung, „haben Sie da vielleicht aktuelle Informationen für uns?“
„Aktuell? Hui, nach vierzig Jahren… Sie haben Recht, sie hat Zänker geheißen. Und die Eltern wohnten in München. Na, mittlerweile sind die garantiert schon tot, die waren damals um die sechzig, dann wären sie jetzt – naja.“
„Wo in München, wissen Sie nicht?“
„Irgendwas eher Schickes. Die Gisa hatte eigentlich in München studieren wollen, und dass sie sie hierher in die Provinz geschickt haben, hat sie ziemlich gewurmt. Die Eltern waren was Besseres, der Vater, glaube ich, Professor an der Uni.“
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