Maggie nickte und tippte weiter.
„I Can Get No Satisfaction“, murmelte Wiesinger, was Maggie blinzeln ließ. „ Wie bitte?“
„Stones?“
„Ach so, ja.“
Wieder dieses väterliche Lächeln. „Sie sind eben doch eine ganz andere Generation…“
„Die Stones sind Klassiker“, murmelte Maggie und speicherte sicherheitshalber. „Wir kennen ja auch die Beatles noch.“
„Stones oder Beatles…“ Wiesinger wollte schon wieder auf den Nostalgiepfad zurück.
„Geha oder Pelikan“, murmelte Felix.
Maggie blinzelte wieder und konterte: „Apple oder Samsung.“
Sie grinsten sich zu dritt kurz an, dann seufzte Felix und erhob sich. „Ich denke, die Erinnerungen an unser verschiedenes Kinderspielzeug heben wir uns für den nächsten Besuch auf. Vorläufig schon einmal schönen Dank.“
Wiesinger sprang nach einem Blick auf die Uhr ebenfalls auf. „Du lieber Himmel, ja – Dr. Richter wartet schon seit bestimmt zehn Minuten auf mich!“
Er verließ mit seinen Besuchern den Raum, schloss ab und eilte fast schon in Panik in Richtung Sitzungssaal.
„Hat der so viel Schiss vor dem Bürgermeister?“, wunderte sich Maggie nach einem letzten Blick auf die zerknitterte Rückansicht des Trachtenanzugs.
„Sieht ganz so aus. Da können wir notfalls den Hebel ansetzen. Du hast sämtliche Fakten?“
„Klar. Die dürftigen Fakten. Dem ist die WG doch total peinlich!“
*
„Was habt ihr?“, fragte Felix schon beim Eintritt ins Büro.
„Geht so“, antwortete Liz zuerst. „Die Nachbarn in dem Haus, das schon abgerissen ist, hießen Hemmerle, sagt Frau Möbius. Die waren schon ziemlich alt, erst ist der Hund gestorben – Gottseidank, hatten die Eltern gesagt, der muss pausenlos gekläfft haben – und dann starb erst er und ein Jahr später sie. Offenbar gab es eine Erbengemeinschaft, keiner wollte da wohnen, aber über einen Verkauf wurde man sich so schnell auch nicht einig, erst, als die Eltern Möbius auch tot waren. Dann gingen beide Häuser an die Firma MayBau, die für die Grundstücke einen recht anständigen Preis zahlte – der Möbius zufolge – und auch die scheußlichen Hütten nicht allzu sehr nutzte, um den Preis zu drücken. Offenbar kommen dort zwei Dreispänner hin, jedes mit einem handtuchgroßen Gärtlein.“
Leicht atemlos hielt sie inne. „Ach ja, und die MayBau firmiert in der MiniCity, Otto-Hahn-Weg 14. Der Inhaber heißt Lars Maybach.“
Felix lobte sie und bat sie, die Fakten an der Tafel festzuhalten. Liz grinste: „Längst passiert!“
Max hatte die Nachbarn auf der anderen Seite befragt, die natürlich schon lange nicht mehr Pichler hießen, sondern Santini/Mayerhofer. Sie betrieben gemeinsam ein Eiscafé und hatten das Häuschen nur für ein Jahr gemietet. „Sobald der Laden richtig läuft, wollen sie sich „was Gescheites“ zulegen. Über das Möbius-Haus wissen sie gar nichts, sie kennen es nur als leerstehende Bruchbude und haben auch ihre Vormieter nicht kennengelernt; sie haben das Ding über einen Makler gemietet, es ist ja auch etwas besser in Schuss als die anderen. Trotzdem würde ich mich schämen, so etwas auf dem Wohnungsmarkt anzubieten.“
Nachdem auch noch Maggie vom Besuch bei Wiesinger berichtet hatte und alles festgehalten war, lehnte sich Felix zurück. „Plan für morgen: Gisa Zänker suchen, Wolfgang Brunnhauser suchen, Lars Maybach befragen, auf den Obduktionsbericht warten. Wenn wir ungefähr wissen, wann das Skelett in die Erde gekommen ist, gehen wir die offenen Vermisstenfälle durch. Da muss doch einer abgängig sein.“
„Oder eine. Das Skelett könnte ja auch eine Frau sein!“, erklang eine Stimme von der Tür. Felix sah auf. „Anne! Hallo – willst du ein bisschen mitarbeiten?“
Anne Malzahn wehrte ab. „Wir haben genug zu tun, herzlichen Dank auch. Wisst ihr schon etwas über eure Fundsache? Die Sache ist schon überall herum, so etwas Spannendes hat man ja nicht so oft.“
„Bis jetzt haben wir fast gar nichts“, seufzte Felix. Anne lachte. „So fängt es doch immer an! Na, frohes Schaffen!“ Damit verschwand sie wieder.
„Herzloses Weib“, schimpfte Felix hinter ihr her und stand auf. „Für heute reicht´s, finde ich. Morgen um acht verteilen wir die neuen Jobs und hoffen das Beste.“
„Ist nicht dein Ernst!“ Belli konnte es absolut nicht fassen, als sie mit Henni bei einem Bier in der Sonderbar saß. „Ein richtiges Skelett? Das gibt´s doch nur im Film, sowas.“
„Es war ganz schön real“, antwortete Henni etwas abwesend, weil sie überlegte, ob sie einen Blick in die Speisekarte werfen sollte. „Nicht wirklich gruselig, eher wie das alte Skelett damals im Bio-Unterricht, weißt du noch? Sauber vom Fleisch befreit, nur nicht so weiß, eher bräunlich.“
„Iih!“ Belli schüttelte sich. „Hörst du mit den unappetitlichen Einzelheiten auf!“
„Ich sag doch, es war nicht unappetitlich! Ich möchte bloß wissen, wer das gewesen sein kann… ich meine, wie kommt denn eine Leiche in den Keller unserer Eltern? Es muss ja mal eine richtige Leiche gewesen sein, oder?“
„Du bist sowas von kaltschnäuzig“, zeterte Belli nur halb im Scherz. „Und du willst doch jetzt nicht wirklich was essen?“
„Ich hab Hunger“, entgegnete Henni verständnislos. „Am frühen Nachmittag habe ich mit Willi beim Abbruch zugeschaut, dann gab es endlose Verhöre, erst auf dem alten Grundstück, dann bei mir in der Wohnung. Ich konnte weder einkaufen noch mir etwas kochen.“
„In deiner Astronautenküche kann man doch sowieso nicht kochen“, ließ sich Belli sofort ablenken. „Viel zu klein. Ich verstehe sowieso nicht, warum du dir nicht mal eine richtige Wohnung zulegst.“
„Was wäre denn eine richtige Wohnung?“ Henni war halb gereizt, halb amüsiert, denn diese Debatte führten sie immer wieder.
„Das weißt du genau! Mit Platz! Balkon, vielleicht ein Garten. Eine richtige Küche, ein separates Schlafzimmer, richtige Schränke und Regale.“
„Und was sollte ich da reintun?“
„Dein Zeug natürlich!“
„Ich hab aber nicht so viel Zeug, glücklicherweise. Belli, nun lass das doch. Ich mag meine Astronautenwohnung genauso, wie sie ist. Sonst würde ich doch nicht so wohnen!“
„Na, wie du meinst! Isst du jetzt wirklich was? Nach diesem Schock?“
„Nach welchem Schock? Hab ich nicht eben gesagt, es war nicht so gruselig? Diese Hackfleisch-Pastete hört sich gut an…“ Sie winkte der Bedienung.
Als die Bestellung aufgegeben war, schüttelte Belli immer noch den Kopf. „Henni, manchmal verstehe ich dich wirklich nicht!“
„Wieso, ich bin doch wie immer?“
„Ja, eben! Müsstest du nicht langsam mal etwas weiblicher werden?“
„Was verstehst du unter weiblich?“, erkundigte Henni sich mit mäßigem Interesse, denn diese Diskussion war auch nicht gerade neu für sie.
Belli verdrehte die Augen. „Alleine schon, dass du das fragen musst! Mitgefühl meine ich, Gefühle zulassen! Empathie! Soziale Intelligenz!“
„Du bist unverschämt, Belli! Nur weil ich nicht bei jeder Spinne loskreische und wegen einer bestimmt vierzig Jahre alten unbekannten Leiche nicht aufs Essen verzichte, fehlt es mir nicht an sozialer Intelligenz. Himmel, ich hab eine Führungsposition und ich bin gut in Mitarbeiterführung, das könnte ich doch sonst gar nicht!“
„Mitarbeiterführung! Das ist auch schon so ein Begriff… ich finde das irgendwie – ich weiß nicht.“ Sie lächelte besorgt.
„Jaja. Unweiblich, ich weiß. Echte Frauen haben nur schlecht bezahlte, untergeordnete Posten, ja? Am besten bloß Teilzeit?“
„Mein Gott, tu doch nicht so! Möchtest du nicht auch lieber mal einen Freund, vielleicht heiraten, Kinder? Du bist eh schon ganz schön spät dran, ist dir das nicht klar?“
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