„Diese uralten Geschichten, die kennt nur die Henni. Die ist bei uns für solchen Familienkram zuständig, deshalb muss sie ja auch das Fotoalbum aufbewahren, gell? Und das Grab pflegen, da sind aber bloß die Eltern drin, die Großeltern sind in München begraben, hat die Henni mal erzählt.“
Felix schnitt diese unnützen Erinnerungen ungeduldig ab. „Ja, das ist ein guter Hinweis. Wir werden Ihre Schwester noch einmal befragen. Und Ihren Onkel natürlich auch. Er zumindest müsste sich doch noch erinnern können…“
Auf der Straße fiel Liz ihre Überlegung wieder ein. „Findest du nicht, von Ex-WGlern könnte man ein bisschen mehr Liberalismus erwarten?“
„Inwiefern?“ Felix ließ die Zentralverriegelung aufjaulen.
„Na, dieses verklemmte Schweigen! Dann die spießige Namenwahl für die Kinder – voll das Kaiserreich, oder? Fehlt bloß noch ein Fritz… Ist es denen peinlich, dass sie mal eine WG hatten? Was kann da abgelaufen sein?“
„Vielleicht“, antwortete Felix vage und öffnete die Fahrertür. „Aber vielleicht waren sie auch damals spießig und die WG sollte wirklich nur Geld sparen und keine neuen Lebensweisen ausprobieren?“
„Auch möglich. Wenn die niemandem etwas über diese Zeit erzählt haben, können wir uns ehemalige Arbeitskollegen und sowas wohl auch schenken…“
„Stimmt. Dieser Thomas weiß bestimmt noch die Namen, dann fragen wir da weiter.“
„Ja, und was ist mit den Nachbarn? Vielleicht gibt´s da welche, die in den Siebzigern auch schon dort wohnten?“
„Gute Idee. Schreib das gleich auf, damit wir es nachher nicht vergessen!“
*
Max und Maggie fuhren leicht frustriert ins Präsidium zurück – Ulrich Möbius hatte zwar eine elegante und ziemlich neue Doppelhaushälfte in Mönchberg vorzuweisen (und es war immer nett, fremde Häuser von innen zu sehen), aber über die wilden Jahre seiner Eltern wusste er überhaupt nichts. „Da müssen Sie die Henni fragen, die sammelt solche Fakten. Ist wohl eher Mädelskram.“
Wie alle Sozialkompetenzen , maulte Maggie stumm.
Zumindest schienen Musikjournalist und Inhaberin eines Ladens für Wohnschnickschnack – Interior Decorating - zusammen sehr gut zu verdienen. Und drei Kinder hatten sie auch. Familien wie aus der Margarine-Werbung. Wahlweise aus diesem Spot für billige Schokotoffees…
„Wahnsinnig innovative Konzepte haben die Kinder auch nicht gerade entwickelt“, fand Maggie.
„Jedenfalls die Söhne nicht“, stimmte Max zu. „Mal sehen, was Felix und Liz über die Tochter sagen.“
„Und haben wohl alle diese großzügigen, halbleeren Häuser?“, überlegte Maggie. „Ist das jetzt schick oder haben die sich die Hütten einfach ein paar Nummern zu groß gekauft? Die schlottern ja richtig um sie herum wie zu große Klamotten!“
„Vielleicht wollen sie die Hütten noch vollstopfen? Ein paar Shoppingtouren, ein eigenes Zimmer für die Schuhe?“
„Wie bist du denn drauf?“, wunderte sich Maggie. „Ist ja voll das Klischee! Vielleicht müssen die alle kompensieren, dass sie in dieser Enge aufgewachsen sind?“
„Meinetwegen, kann auch sein“, gab Max sich großzügig. „Ich kenne solche Zwergenhäuser, da kannst du dich echt kaum drin umdrehen.“
„Sag bloß, du bist auch in sowas aufgewachsen: Waren deine Großeltern so braun?“
„Wenn schon, dann mindestens die Urgroßeltern – keine Ahnung, die habe ich gar nicht mehr gekannt. Nein, mein bester Freund in der Grundschule hat in sowas gewohnt. Aber immerhin ohne Geschwister. Aber dieses Wohnzimmer – Möbel aus den frühen Siebzigern, so Muster, wo einem beim Hinschauen schlecht wird.“
„Op-art“, nickte Maggie. „Kommt alles jetzt wieder. Wann hast du gleich wieder Geburtstag?“
Max grinste. „Das sage ich wohl besser nicht!“
Er parkte fluchend zwischen zwei Streifenwagen und schlängelte sich dann mühsam aus dem Wagen. Maggie tat es ihm auf der anderen Seite gleich und klopfte ärgerlich ihre Kleidung ab. „Verdammt eng hier. Hier muss man ja schon abspecken, um überhaupt in die Autos rein und wieder raus zu kommen.“
„Lass das bloß. So blöd zugeparkt ist der Platz doch nicht immer. So, und was haben wir jetzt für die Tafel?“
„Nix Gescheites“, murrte Maggie und folgte ihm ins Gebäude.
„Schauen wir mal“, tröstete Max vor der Bürotür. „Meistens sieht es ja doch besser aus als man denkt.“
Drinnen saß Liz bereits am Rechner und ließ virtuelle Notizen an der Tafel erscheinen. „Lauter Mist“, verkündete sie, als die beiden anderen in der Tür erschienen.
„Wir haben ja auch die falschen Leute gefragt. Die waren doch alle noch nicht mal in Planung, als dieses Skelett im Boden gelandet ist!“
„Ja“, stimmte Felix zu und stellte eine große Tüte Kaffeepads neben die Maschine. „Hier, Denkdoping. Aber wenn wir die Naheliegendsten nicht zuerst befragen, schaut es auch blöd aus. Also, Kandidat Nummer eins ist der Stadtrat. Thomas Wiesinger, der Bruder der mittlerweile verstorbenen Mutter. Der lebte zeitweise in dieser WG und muss etwas wissen.“
„Vielleicht gibt es auch Nachbarn, die schon lange in der Gegend leben“, überlegte Max.
„Ja, auf der einen Seite“, gab Liz ihm Recht. „Auf der anderen Seite ist das Haus schon weg, so ist das Grundstück ja von einer einigermaßen interessanten Größe. Ich meine, wer baut denn heute auf diesen Heimstätten-Handtüchern schon Häuser? Lohnt sich ja kaum.“
„Hausbau…“ wiederholte Felix nachdenklich. „Wie heißt gleich wieder die Firma, die dort bauen will? Die müssten doch wissen, wer ihnen das andere Grundstück verkauft hat?“
Liz hielt das fest. „Da kann uns die Möbius bestimmt weiterhelfen.“
Felix grinste. „Die gefällt dir, oder? Weil sie so eine schicke Wohnung hat?“
Liz lachte. „Stimmt. Müsst ihr euch mal geben, da sieht´s aus wie in einer Kabine auf der Enterprise, alles durchtechnisiert. Und ganz, ganz wenig Zeugs.“
„Wovon wir alle träumen“, murmelte Maggie. „Mal so richtig ausmisten… Kennt ihr diesen Song, Mit leichtem Gepäck ? Gefällt mir total gut.“
Felix und Max wechselten irritierte Blicke, was Liz wieder zum Lachen brachte. „Männer können ja bekanntlich nichts wegwerfen…“
Felix bat sie, nicht vom Thema abzukommen, und erhob sich. „Ich nehme mir mit Maggie den Stadtrat vor, Max fragt mal die Nachbarn zur Linken, und Liz darf Frau Möbius nach den Nachbarn zur Rechten beziehungsweise nach der Baufirma fragen. Um sieben wieder hier, dann vergleichen wir, planen, was wir morgen machen, und verschwinden in den Feierabend. Also los!“
Stadtrat Wiesinger wirkte zunächst leicht irritiert, als Felix und Maggie vor der Tür seines Dienstzimmers standen und ihre Ausweise hochhielten: „Ich wüsste jetzt nicht… na, kommen Sie lieber mal rein.“ Dies wurde von einem nervösen Blick links und rechts den menschenleeren Gang entlang begleitet.
Das Arbeitszimmer des Herrn Stadtrat wirkte recht altväterisch, aber ob das an der generellen Atmosphäre des Rathauses oder am Geschmack des Bewohners lag, war so schnell nicht zu entscheiden.
„Solche Arbeitszimmer bekommen nur die hauptamtlichen Stadträte, nicht wahr?“, begann Felix im Plauderton. Wiesinger, der etwas unruhig verfolgte, wie Maggie ihr Tablet startklar machte und dann die Eckdaten eingab, antwortete: „Ja… vor allem die Dezernenten. Die Räumlichkeiten hier reichen nicht einmal für alle Hauptamtlichen aus. Ich bin ja für die Leisenberger Verkehrsplanung zuständig… aber dafür wird sich die Kriminalpolizei doch wohl kaum interessieren?“
„Nein, da haben Sie natürlich Recht“, beeilte Felix sich zu versichern. „Einer Ihrer Neffen oder Ihre Nichte hat Sie noch nicht informiert?“
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