„Sie könnten das Ganze auch als Zukunftsroman verpacken. Auf eine Distanz von zweihundert Jahren kann sich doch kein Herrscher mehr bedroht fühlen.“
„Wer weiß… Aber diese Idee gefällt mir schon besser. Gibt heute auch noch ein deutsches Reich?“
„Jein, es heißt anders, Bundesrepublik Deutschland. Kaiser und Könige gibt es nicht mehr, nur noch in wenigen Staaten Europas, und da haben sie nicht viel zu sagen.“
„Kaum vorstellbar. Kirsten... sind Sie für heute schon fertig mit ihrer Arbeit?“
„Ja. Wenigstens habe ich keine Lust mehr. Ich möchte Ihnen noch etwas zeigen, auch weil ich mich selbst schon darauf gefreut habe. Gehen Sie gerne ins Theater?“
„Leidenschaftlich gerne! Aber das Stadttheater spielt nur so selten etwas wirklich Sehenswertes. Diesen Kotzebue kann ich wirklich nicht mehr aushalten. Wollen wir ins Theater gehen?“
„Nein, nicht so kurzfristig. Sehen Sie diesen Kasten da? Darin kann man Filme sehen, das ist so ähnlich wie Theater, oft sehr spannend, oft auch furchtbarer Blödsinn, aber es gibt immer verschiedene Angebote. Warten Sie, ich sehe nach, was es heute gibt. Ui, James Bond – den hatte ich ja schon erwähnt, nicht? Möchten Sie mal reinschauen?“
Er nickte vorsichtig, und ich lachte. „Wenn es Ihnen nicht gefällt, sagen Sie es einfach, dann suchen wir uns etwas anderes. Zur Not hab ich irgendwo auch noch Kabale und Liebe.“
„Von Herrn Schiller? Als – wie heißt das? Film?“
„Ja, man hat eine Aufführung einfach aufgezeichnet.“ Das stimmte nicht so ganz, aber ich hatte keine Lust, ihm zu erklären, was eine Fernsehfassung war.
Tomorrow Never Dies überforderte ihn nach wenigen Minuten, wie unschwer zu erkennen war, also stoppte ich den Film und setzte ihm tatsächlich nach einigem Herumsuchen Kabale und Liebe vor. Gebannt verfolgte er das Schauspiel, das er offensichtlich schon kannte, und seufzte, als nach Ferdinands und Luises Gifttod Wurm ankündigte, er wolle „Geheimnisse ausplaudern“, gerührt auf. Danach sah er mich erwartungsvoll an. Ja, war ich jetzt für die komplette Regelung des Alltags zuständig? Offensichtlich schon.
„Ich sehe für Ihre Übernachtung nur zwei Möglichkeiten“, begann ich. „Entweder kehren Sie für die Nacht in Ihre eigene Welt zurück -“
„Ich fürchte, das wird nicht möglich sein“, unterbrach er mich sanft, „die Zeituhr ist nicht für so häufigen Gebrauch eingerichtet. Bis morgen hätte ich sie keinesfalls wieder so weit präpariert, dass ich zu Ihnen zurückkehren könnte, und ich bin viel zu wissbegierig, was diese Welt betrifft, um diese Gefahr auf mich zu nehmen.“
Himmel, war das eine schöne Sprache! „- oder Sie übernachten hier auf dem Sofa. Ich hab noch einen Schlafsack, warten Sie, der müsste im Kleiderschrank – oder nein, ich glaube, der ist im Keller. Ich werde ihn gleich holen.“
Ich griff schon nach dem Schlüssel, als seine nächsten Worte mich aufhielten.
„Das ist ebenso unmöglich. Schließlich kann ich doch nicht bei einer unverheirateten jungen Dame von untadeligem Ruf die Nacht verbringen! Bedenken Sie, dass Ihr – hm – Freund es erfahren könnte. Ich werde in eine Herberge gehen, so etwas muss es doch auch in der Zukunft geben?“
Ich setzte mich wieder hin. „Natürlich gibt es Herbergen, besser gesagt Pensionen, Hotels und so weiter. Die nehmen Sie auch sicher gerne auf, gegen gutes Geld und Vorlage eines gültigen Ausweises.“
Das hatte gesessen! Er sah trübsinnig vor sich hin. „Diese Sache mit dem Ausweis stellt mich natürlich vor Schwierigkeiten, in dieser Hinsicht sind Ihre Argumente leider recht überzeugend. Aber ich verfüge über genügend Geld!“
„Zeigen Sie mal her!“
Er kramte aus seinen fast hautengen Pantalons mit Mühe ein kleines Säckchen und schüttete den Inhalt auf den Couchtisch, wo er zwischen Kerzenleuchtern, Fernsehzeitung und einem Teller Mandarinen hin und her rollte.
Ich nahm eine der Münzen in die Hand. „Wahnsinn! Ist das echtes Gold?“
„Selbstverständlich. Sie dürfen gerne hineinbeißen, wenn Sie es nicht glauben.“
„Nein, danke.“ Wer wusste schon, welche urzeitlichen Viren daran klebten! Ich glaubte es auch so. „Wunderschön, aber kein gültiges Zahlungsmittel. Sehen Sie her, so sieht unser Geld heute aus, wenigstens bis Ende des Jahres noch.“
Ich kippte den Inhalt meiner Geldbörse auch auf den Tisch und zeigte ihm Münzen und Scheine. „Nur damit können Sie überall zahlen, oder mit Kreditkarten. Ich könnte Ihnen natürlich meine Kreditkarte geben, aber dann wollen die auch Ihren Ausweis sehen, weil die Karte nicht auf Ihren Namen lautet. Wir können am Montag zur Bank gehen und einige Ihrer Goldmünzen verkaufen, dann haben Sie das richtige Geld. Heute Nacht können Sie damit jedenfalls kein Hotel bezahlen. Sie werden wohl hier bleiben müssen.“
Er seufzte. „Das ist mir wirklich äußerst unangenehm. Was soll Ihr Freund denken?“
„Das geht ihn gar nichts an, und er würde ohnehin nicht glauben, dass ich ihn betrüge. Das habe ich im Übrigen auch gar nicht vor!“ Ich sah Christoph streng an. Ein solcher Blick war mir Sebastian oder gar Willi gegenüber sicher noch nie gelungen.
„Selbstverständlich nicht!“, entgegnete er entrüstet. Ich warf ihm einen prüfenden Blick zu, aber es schien ihm mit seinem moralischen Edelmut ernst zu sein. Umso besser! Ich holte den Schlafsack aus dem Keller und hängte ihn im Bad über die Heizung, damit er nicht mehr so klamm war. Christoph saß weiterhin auf dem Sofa und verfolgte mein Herumwuseln mit Anteilnahme und Erstaunen.
„Hat heutzutage niemand mehr Bediente?“
Ich lachte. „Nur wirklich steinreiche Leute. Das ist einfach zu teuer, und das meiste erleichtern unsere technischen Geräte ja doch, Sie werden es noch erleben. Möchten Sie ein Bad nehmen? Ich nehme nicht an, dass Sie frische Kleidung mitgebracht haben, aber im Schrank liegen noch einige Sachen von Sebastian. Er hätte wohl nichts dagegen, wenn Sie sie ausleihen. Die Größe müsste stimmen, denke ich.“
„Ich soll Kleidung Ihres Freundes tragen? Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass er damit einverstanden wäre.“
„Na, was schlagen Sie dann vor? Frische Wäsche brauchen Sie auf jeden Fall, und sonntags können wir nichts kaufen. Hier!“ Ich reichte ihm Boxershorts, ein etwas schäbiges Sweatshirt und ein paar Socken, obendrauf ein Paar Jeans. „Für morgen! Ein Nachthemd oder einen Schlafanzug besitze ich leider nicht für Sie, Sebastian trägt so etwas nicht.“
Er warf mir einen schrägen Blick zu und verzichtete offenbar nur mit Mühe auf die Frage, was Sebastian denn dann im Bett trüge. Für mich fand ich gerade noch ein altes Sleepshirt, denn ich war eigentlich auch nicht an Nachthemden gewöhnt, wollte den armen Christoph aber nicht noch mehr schockieren, er hatte heute wirklich schon genug durchgemacht. „Kann ich auch morgen früh ein Bad nehmen?“
„Natürlich. Eine Reservezahnbürste habe ich auch für Sie, und sogar Rasierzeug.“
Er sah mich verzagt an. „Zahnbürste? Und ich habe mich noch nie selbst rasiert.“
Was für ein Baby! „Macht das Ihr Diener?“
Das musste er zugeben. „Auch während des Studiums?“
Er nickte.
„Ganz schön unselbständig, was?“
„So ändert sich eben der Zeitgeist“, wich er aus. Ich schleppte ihn ins Bad und zeigte ihm, wie man eine Zahnbürste benutzte, dann zerrte ich das Sofa auseinander und richtete ein einigermaßen erträgliches Nachtlager darauf her. Sobald er sich - „im Hemd“ - ausgestreckt und sich mit dem mittlerweile angewärmten Schlafsack zugedeckt hatte, schlüpfte ich ins Bad, wusch mich und zog das alberne Sleepshirt an. Als ich meine Tagesdecke von dem ungemachten Bett zerrte, schlief Christoph offensichtlich schon. Er hatte es sicher nötig! Ich auch, dachte ich noch kurz und schlief dann ebenfalls ein.
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