»Mein Ex-Freund Peter rief an. Meine Handynummer hatte er noch, wo ich wohnte wusste er nicht.«
»Und was wollte er?«
»Er wollte mich warnen. Sein Vater hat wegen der Geburt seines Enkels recherchiert. Er hat herausbekommen, in welcher Klinik ich war. Nun hatte Peter Angst um mich und um seinen Sohn.«
»Und da sind Sie nicht zur Polizei gegangen?!«
»Die kann und wird mich nicht schützen. Ich habe vielmehr meine Koffer gepackt und bin hier untergetaucht. In meiner Wohnung fühlte ich mich nicht mehr sicher.«
Als Profi muss ich Geschichten beurteilen können. Diese ist sowohl wahr, als vermutlich auch von Interesse für Polizei und Öffentlichkeit. Ein politisch ultra-rechter Großvater sucht sein jüdisches Enkelkind. Wozu wohl? Die Tochter flieht und versteckt sich in einem kleinen Dorf. Warum wohl? Es riecht nach Bedrohung für Leib und Leben.
Miriam und Jeschu.
Plötzlich kribbelt es. Jenes Kribbeln, wenn mich eine Story findet, durchzieht meinen Körper. Ja, genauso passiert es gelegentlich. Nicht ich finde die Story, sondern umgekehrt. Die Geschichte findet mich. So gesehen hat mein Beruf auch etwas mit Berufung zu tun. Ich will nicht nur, ich muss recherchieren und aufdecken, was geschehen ist.
Trotzdem merke ich jetzt, dass Miriam nicht noch mehr erzählen will. Auch Maren Bender scheint es zu spüren. Sie wechselt das Thema.
»Jens, werden Sie nun öfter nach Himmelstal kommen, ich meine wegen der Weihnachts-Story?«
»Vermutlich schon. Ich will noch Interviews machen, einen Gesprächsabend mit der Hausgemeinde erleben, vielleicht auch diese legendäre Samstag-Andacht mitmachen und mal sehen, was sich so ergibt.«
Maren freut sich. Das Gespräch ebbt jedoch ab. Vermutlich sind die Frauen auch von einem langen Arbeitstag müde. Dann der Wein ...
Als wir uns verabschieden meint Miriam:
»Bitte behalten sie das von mir und Jeschu für sich. Niemand darf wissen, wer wir sind und wo wir sind.«
Ich verspreche es ihr.
»Aber bitte sagen Sie mir noch den Namen des Großvaters. Vielleicht sagt er mir etwas.«
Miriam zögert. Wieder ist es Maren, die mir ihr Vertrauen schenkt.
»Er heißt Heinrich Schlüter. Ich bin sicher, dass er in der Gegend bekannt ist. Ich sage nur: Rechts außen.«
*
Ich habe den Namen noch nie gehört. Die Geschichte von Miriam und Jeschu bewegt mich. Auf dem Heimweg muss ich mich wegen schlechter Sicht und feuchter Straße zwar extrem konzentrieren, aber auch immer wieder an Maria und Jesus denken. Die Personen unterscheiden sich, die Namen und ein Teil der Geschichte nicht.
Ich trete voll in die Bremse und schleudere quer über die Straße. Ein Aufprall bleibt aus. War das da eben ein Wolf?
Ich muss vorsichtig sein.
Der Artikel für Samstag macht mir mehr Mühe als gedacht. Nicht, dass mir nichts einfällt. Ich habe genug Stoff über das »Tagungshaus mit Herz« in Himmelstal. Es wird eine anrührende, informative und neugierig machende Geschichte um junge Menschen, die vom Kind in der Krippe inspiriert und motiviert werden. Mangelnder Stoff oder fehlende Ideen sind es also nicht, die mich blockieren.
Es sind vielmehr ablenkende Gedanken. Wenn man nicht bei der Sache ist, wird es schwierig. Und ich bin nicht bei der Sache mit dem Artikel. Ich werde vielmehr die Gedanken um Miriam und ihren Sohn nicht los. Die Geschichte dahinter zu entdecken, erscheint mir spannender als das, was ich vordergründig in Himmelstal gesehen und gehört habe.
Ich schließe das Fenster meines Weihnachtsartikels und gehe ins Internet. »Heinrich Schlüter« gebe ich in die Suchmaschine ein.
Es gibt wie erwartet mehrere Einträge mit diesem gängigen Namen. Einen Viehhändler, einen CD-Shop, einen Lufthansa-Manager und ein paar andere Schlüters mit Vornamen Heinrich. Erst auf der zweiten Seite werde ich fündig. »Erneuerte Heimat, H. Schlüter.«
Klingt das nach rechter Gesinnung? Vermutlich. Allerdings ist weder Heimat noch die Erneuerung derselben aus meiner Sicht verwerflich. Ich lande zunächst auf einer reinen Adressseite, die nichts weiter hergibt.
Ich gebe also nur »Erneuerte Heimat« ein.
Bereits auf der ersten Seite erscheinen die »Neue Heimat«, eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft und die »Alte Heimat«, ein Stadtteilquartier in München. Diverse Seiten von Heimatvereinen werden beworben. Ganz vorn, direkt nach »Tracht und Heimat« finde ich einen hoffentlich brauchbaren Eintrag mit vollem Namen. »Erneuerte Heimat – Honig aus eigener Imkerei.«
Wieder komme ich auf eine Adressseite. Eine Homepage gibt es nicht. Was immer dieser Heinrich Schlüter treibt – ans Licht der Öffentlichkeit will er damit nicht.
Die Adresse liegt zwar nicht direkt um die Ecke, aber doch leicht erreichbar in der Südheide. Google Maps zeigt mir eine Straße und viel, sogar sehr viel Wald. Irgendwo zwischen den Sperrgebieten des Truppenübungsplatzes und dem Testgelände der Waffenfabrik Rheinmetall liegt ein Gehöft. In der größtmöglichen Einstellung ist es mit »Eichengrund« beschriftet.
Ob ich richtig liege? Eben noch Fan des Internets als Recherchemittel, kommt es jetzt an seine Grenzen. Es gibt halt Dinge, die kriegt man nur raus, wenn man sich auf den Weg macht. So smart digital auch ist, ohne Fußarbeit läuft am Ende nichts.
Also auf in die Südheide!
Mir fällt ein, dass ich in Unterlüß jemanden kenne.
Manfred wäre ohnehin ein richtiger Ansprechpartner in Sachen »Rechts«. Ich habe ihn bereits mehrmals interviewt. Er ist ein lockerer Typ und wir waren gleich beim Du. Vor allem aber ist er ein überaus engagierter Pastor und Bürger, sowohl für seine Gemeinde als auch gegen Rechts. Die neuen Nazis hassen ihn dermaßen, dass sie sein Pfarrhaus abfackeln wollten. Der Brandsatz landete zum Glück nicht im Fenster des Schlafzimmers, sondern darunter an der Außenwand. Die jüdische Gemeinschaft sieht in Manfred dagegen einen Kämpfer gegen Antisemitismus und hat ihm deshalb einen ehrenhaften Preis verliehen.
Was also liegt näher, als Manfred zu befragen.
Ich habe Glück. Er nimmt sofort ab.
»Jens! Na, wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen. Wie geht es? Immer noch wegen der Sache in Himmelstal unterwegs?«
»Ja und nein. Die alte Sache um Oliver Bender ist medial abgeschlossen. Aber ich bin da an etwas Neuem dran. Deshalb rufe ich dich an. Sag mal, sind dir die Namen ›Heinrich Schlüter‹ oder ›Erneuerte Heimat‹ schon mal begegnet?«
Ich höre mein Gegenüber tief einatmen und spüre auf der anderen Seite der Leitung eine gewisse Spannung. So, als ob es zu Knistern begonnen hat.
»Ja, das kann man wohl sagen. Der Eichenhof Schlüters liegt in meinem Gemeindebezirk.«
Ich habe also einen Treffer gelandet.
»Das ist ja Klasse. Du könntest mir sehr helfen. Könnte ich zu dir kommen und wir fahren gemeinsam dorthin?«
Wieder schweigendes Knistern.
»Jens, wenn es so einfach wäre. Was willst du denn dort?«
»Ich recherchiere in Sachen Rechtsextremisten. Eine Jüdin hat Probleme mit diesem Heinrich Schröder.«
» Eine Jüdin? Alle Juden. Und alle Türken. Und alle Ausländer. Und alle Deutschen, die nur halbwegs bei Verstand sind! Jens, Heinrich Schröder lebt mit seiner Gefolgschaft nicht ohne Grund einsam und abgeschieden mitten im Wald. Alle haben Probleme mit ihm.«
»Und du meinst, wir können ihn nicht besuchen?«
Manfred lacht.
»Du vielleicht, ich auf keinen Fall. Genau diese Gruppe habe ich in Verdacht, den Anschlag auf mich verübt zu haben. Wenn ich dort auftauche, wäre das Mindeste ein sofortiger Rauswurf oder sie hetzen ihre Hunde auf mich. Wenn du dort wegen einer Jüdin recherchierst, ist das, als wenn du in einem Bienenschwarm herumstocherst. Da fliegst auch du sofort raus. Als Journalist lassen sie dich ohnehin gar nicht erst auf das Gelände.«
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