1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 Schließlich erklomm Preuß die Bühne und räusperte sich ins Mikrofon. „Eins – zwei – drei – hrrmm...“ Die Gespräche verstummten; in die Stille ertönte ein schrilles Kichern, das plötzlich abbrach. Die Rede war so uninteressant wie erwartet; Preuß lobte die Verhandlungsführer, die Vertragspartner, die gesamte Firma und schließlich sich selbst, garnierte das Ganze mit lahmen Witzchen und versprach mehrfach, zum Schluss zu kommen. Sissi überlegte im Stillen, ob es als Respektlosigkeit angesehen werden konnte, wenn man dem Chef einen Rhetorikkurs schenkte, und kam mit Bedauern von diesem Plan ab.
Sie holte sich ein neues Glas und ging auf die Suche nach den Leuten aus ihrer Abteilung, aber außer Vera, die immer noch strahlend zu dem Typen mit dem dummen Spruch aufsah, war niemand zu sehen. Doch, dahinten standen Wolfgang und Max, aber die hatten sich gerade zwei Mädchen aus dem Schreibpool aufgetan und würden sich über Sissis Auftauchen bestimmt nicht freuen.
Sie ließ ihren Blick weiter schweifen. Ein Augenpaar zwinkerte ihr freundlich zu, ihr Blick blieb irritiert hängen und glitt dann weiter. Keine Ahnung, wer das sein konnte. In der Ecke, in der das Buffet stand, drängten sich bereits die Leute und scharrten mit den Hufen. Endlich schien Preuß wirklich zum Ende zu kommen, jedenfalls beschrieb er gerade seine Hoffnungen für die – glänzende – Zukunft der Firma. Dann konnte es ja wohl nicht mehr allzu lange dauern, folgerte Sissi und sah sich wieder um.
Zu dem zwinkernden Augenpaar gehörte ein lächelndes Gesicht. Der Mann verneigte sich leicht. Sissi quittierte das mit einem kühlen Kopfnicken, hatte aber immer noch keinen Schimmer, wer der Mann sein konnte.
Vielleicht jemand von free.systems. Sie schlenderte weiter herum, traf ihren Vorgesetzten (dessen Job sie haben wollte) und besprach mit ihm einige technische Details einer Vorruhestandsregelung und die Frage, ob es in diesem Jahr wohl weiße Weihnachten geben würde, nachdem es in den letzten Tagen wieder so eigenartig warm geworden war – ein Thema, das ihr genau genommen völlig egal war. Immerhin verriet er, dass er nun doch ernsthaft an den Ruhestand dachte, und nahm ihren verlogenen Widerspruch befriedigt zur Kenntnis. Verflixt, wer grinste sie da die ganze Zeit an? Hässlich war der Mensch nicht, registrierte sie aus den Augenwinkeln, groß, braunhaarig (Gott sei Dank nicht blond, von blonden Männern hatte sie seit Hubert wirklich die Nase voll) und gut gekleidet. War der Smoking blau – mitternachtsblau?
Ach herrje – der Typ auf der Treppe! Den hatte sie sich gar nicht näher angesehen, sie hatte ja bloß die Jungs vom Parkservice ärgern wollen.
Als er beim nächsten Mal guckte, lächelte sie leicht zurück und wandte sich dann schleunigst ab. Aufreißen wollte sie hier wirklich keinen! Bevor sie sich aber durch die Menge, die in Zehnerreihen am Buffet anzustehen schien, hindurchschlängeln konnte, legte sich eine Hand leicht auf ihren Arm.
„Warten Sie doch! Ich wollte mich nur für Ihren Tipp bedanken.“
„Wirklich?“ Sehr intelligente Antwort, ärgerte sie sich sofort.
„Ja, ich hänge auch an meinem Lack.“
Sissi musste lachen. „Mir haben sie ihn wirklich mal verkratzt – aber ob die alle so schlecht fahren, weiß ich gar nicht, ich hatte nur plötzlich das dringende Bedürfnis, diese eitlen Bürschlein etwas zu dämpfen.“ Er lachte ebenfalls. Hübsche Zähne, fand sie. „Das hat denen bestimmt nicht geschadet. Arbeiten Sie für Coen & Preuß? Verzeihung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Seidenaber, Bernd Seidenaber.“
„Elisabeth Hassfurter. Sie arbeiten dann wohl für free.systems ?“
Er nickte nachdrücklicher, als die Frage es verdient hatte. War er so stolz auf seinen Job? „Ja. Ich mache die Öffentlichkeitsarbeit. Einen großen Teil wenigstens. Bei Free.systems ist das gar kein Problem, wir verkaufen ja keine umstrittenen Produkte, und wir stehen auch nicht auf so peinliche Art im Licht der Öffentlichkeit wie -“ Er brach ab. „Wie wer?“, erkundigte Sissi sich.
„Ach, nichts. Wofür sind Sie zuständig?“
„Personalmanagement“, antwortete sie knapp.
Er nickte wieder, als hake er im Geiste Informationen ab. Dann sah er sich um.
„Entschuldigen Sie vielmals – Sie hatten sich hier schon angestellt, nicht wahr? Und ich habe Sie aufgehalten? Was darf ich Ihnen bringen?“
„Gar nichts“, wehrte Sissi ab, „ich hasse es, wenn sich die Leute am Buffet prügeln, als könnten sie sich zu Hause kein Essen leisten. Ich warte lieber noch etwas.“
„Aber dann ist vielleicht der Hummer weg“, gab er zu bedenken.
„Na und? Hummer gibt´s doch auf jedem Buffet, und so toll ist das Zeug auch wieder nicht.“
„Dann sind Sie nur das Beste gewöhnt?“ Sie sah ihn verblüfft an. Hatte das eben neidisch geklungen? Nein, er sah sie nur voll ehrlichen Interesses an. Ein bisschen größer als sie war er, was sie automatisch erfreut zur Kenntnis nahm.
„Unsinn! Nur weil ich um das alberne Schickimickifood kein solches Theater anfange? Gucken Sie die Leute doch an, als hätten sie seit Wochen gehungert!“ Das hörten welche in der Schlange und auch ein, zwei, die sich gerade mit überquellenden Tellern daraus hervorgekämpft hatten, und Sissi erntete einige böse Blicke. Sie revanchierte sich, indem sie die überfüllten Teller anzüglich betrachtete und ein leises spöttisches Grinsen um ihre Mundwinkel spielen ließ. Als sie schließlich einige Schritte beiseitetrat, um das Gemansche nicht länger sehen zu müssen, folgte ihr ihr neuer Bekannter.
„Ich will Sie aber nicht davon abhalten, sich zu bedienen“, versicherte sie ihm sofort. Er lächelte. „Ach, mir knurrt noch nicht direkt der Magen. Wenn sich die Massen verlaufen haben, stellen wir uns etwas Hübsches aus den Resten zusammen.“
Guter Mann. Das klang doch mal vernünftig! Überhaupt gefiel er ihr nicht schlecht; er sah nicht nur recht angenehm aus und baggerte sie nicht auf blöde Weise an, nein, er plauderte auch nett und locker über die Unsitte solcher Firmenfeiern, über die Lokalpolitik (würde Schmieder für Katzeders Nachfolge kandidieren?), über die größten Bausünden in Leisenberg (was Sissi beinahe dazu brachte, ihm ihre Jagdhütte zu beschreiben, aber so gut kannten sie sich eben doch noch nicht), über Traumautos, das momentane Kino- und Theaterprogramm und die Frage, wo man zur Zeit am besten essen konnte. Dabei wartete er mit einigen interessanten Kneipentipps auf, die Sissi sich einzuprägen versuchte, obwohl sie genau wusste, dass sie sie umgehend wieder vergessen würde. Schließlich verlief sich die hungrige Menge vor dem Buffet und Sissi folgte Seidenaber, als er sich den ziemlich verwüsteten Resten näherte und sich einen Teller nahm.
Ein etwas obskur aussehender Reissalat war noch übrig; daneben gab es noch eine Platte mit Blätterteigtörtchen, gefüllt mit Kräutercreme und Krabben. Drei Stück waren noch da, ein weiteres lag umgekippt auf dem Tischtuch und war schon halb ausgelaufen.
Melonenstückchen gab es noch reichlich, Schinken kaum mehr, dafür aber große Schüsseln Rote Grütze. Der Rest war mehr oder weniger kahl gefressen, wenn man von den Relikten der Garnierung mal absah.
Sissi seufzte, nahm sich einen Teller, schnappte sich ein Krabbentörtchen, einige vereinsamte geschnitzte Radieschen, ein halbes hartes Ei, einen kleinen Löffel Reissalat und eine Scheibe Baguette. Seidenaber hatte nahezu das gleiche auf seinem Teller, stellten sie, am Ende angekommen, fest und lachten. „So sieht es doch richtig appetitlich aus, oder? Kommen Sie, da vorne ist ein Tischchen frei!“
Frei nur in dem Sinne, dass niemand auf den unbequemen zierlichen Stühlchen saß – die Tischplatte war flächendeckend zugemüllt: leere und halbleere Gläser, ein benutzter Aschenbecher, abgegessene Teller, zerknüllte Servietten: Gedankenlose Gäste und ein nachlässiger Service schienen sich hier sehr harmonisch zu ergänzen. Sissi gelang es, den Blick eines Lakaien einzufangen, er errötete und eilte herbei, um Ordnung zu schaffen. Aufatmend setzte sie sich und bewachte die Teller, bis Seidenaber zwei neue Gläser Prosecco organisiert hatte. „Jetzt haben wir es doch ganz gemütlich, oder?“
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