Erst das Heft lesen, beschloss ich. Es dämmerte schon wieder, als ich alles konzentriert durchhatte, und der Aschenbecher draußen quoll fast über von zu vielen Denkpausen.
Aktienfonds, die schienen das Richtige zu sein. Freundlicherweise war eine Liste der besten Fonds hinten beigeheftet. Ich begann sie erneut zu studieren und schrieb mir die Spitzenreiter schon einmal heraus. Es sollte ja Leute geben, die an der Börse ein Vermögen machten – und die Wirtschaftslage war doch gerade gut, mit all diesen neuen Firmen und dem Internet... Etwas überfordert war ich damit aber doch.
Ich rief Susanne an, die wusste über so etwas besser Bescheid. Außerdem musste ich ihr über Tom vorjammern. Wir verabredeten uns gleich für heute Abend, denn an diesem Wochenende war das San Carlo , unser Lieblingseiscafé, wieder eröffnet worden, endlich war der Lebkuchenfritze weg! Das war immer das erste Frühlingszeichen, wenn auch das Wetter eher nach November aussah... Ich freute mich kurz an dem Gedanken, wie Tom hier vergeblich klingeln würde – gut, dass er keinen Schlüssel hatte!
Dann konnte ich ja noch ein bisschen an den Gralskonzeptionen weiterarbeiten? Ich hatte immer noch keine rechte Lust und ermahnte mich streng, aber es half nichts. Okay, es war Sonntag, später Nachmittag, ich konnte am Montag mit ernsthafter Arbeit beginnen. Vielleicht sollte ich mir alle meine Aufgaben in meinen Terminplaner schreiben? Gute Idee!
Montag, 29.03.99
Bäcker (vier Stunden = 60 Mark)
Bank wg. Geldanlage BUDGETPLAN richtig!!
bestellen in der Bibliothek (online)
Gralsreferat weiter aufsetzen
Wäsche waschen, ausmisten, Haare richtig schneiden.... Einkaufen!!
War´s das? Mir schien es genug – obwohl, an den Haaren konnte ich gleich noch etwas machen. Überhaupt hatte Tom die neue Frisur gar nicht bemerkt - wieder ein Punkt mehr auf seinem Sündenkonto. Egal, ich gefiel mir so ganz gut. Die Haare reichten noch bis auf die Schulter und drehten sich, als ich mit der Bürste etwas nachhalf, brav nach innen. Noch ein bisschen Make-up, und ich sah gar nicht so schlecht aus. Nur der Speck um die Taille... Wassereis, mehr war heute nicht erlaubt!
Als ich im San Carlo ankam, sah ich zwar eine Menge flüchtiger Bekannter von der Uni – die war schließlich nur zwei Ecken entfernt -, aber noch keine Susanne. Ich schnappte mir schnell einen der letzten freien Tische und studierte schon einmal die Eiskarte, als ich ihre Stimme hörte:
„Hallo! Na, was liegt so an?“
Sie setzte sich und verstaute ihre Tasche.
„Allgemeiner Frust“, murrte ich und entschied mich für den Früchtebecher.
„Uni? Geld? Aussehen? Tom, der Schmarotzer?“ Wie schnell sie meine wunden Punkte erkannt hatte!
Sie bestellte sich einen Coup Danmark – Kunststück, mit der Figur! – und befestigte die Spange in ihrem krausen blonden Pferdeschwanz wieder richtig.
„Alles“, seufzte ich, „heute bin ich irgendwie unzufrieden mit meinem Leben, ich weiß auch nicht, warum.“
„Dann solltest du was ändern - schmeiß Tom raus und miste auch sonst aus.“
„Woher weißt du, wie es bei mir aussieht?“, witzelte ich.
„Männer!“ Sie winkte ab. „Ich bin ja schon froh, dass mein Rico so selten da ist. Täglich würde ich ihn nicht aushalten, glaube ich.“
„Wo steckt er denn gerade?“ Rico, eigentlich Richard, war Bauingenieur und immer in der großen weiten Welt unterwegs.
„Saudiarabien, bis Ende Juni. Dann fahren wir in Urlaub...“ Sie lächelte.
„Aber zurück zu dir. Dein Tom nutzt dich aus, ist dir das klar?“
„Irgendwie schon. Ich wollte ihn heute auch festnageln, vielleicht auf eine gemeinsame Wohnung – obwohl das eigentlich gar nicht mein Ziel ist, glaube ich, aber um ihn zu testen.“
Sie nickte. „Hat er den Test bestanden?“
„Nicht wirklich, er fand an unserer Beziehung nichts auszusetzen und dann musste er plötzlich zu einem Termin – am Sonntag, stell dir vor!“
„Sehr glaubhaft. Flucht vor dem Beziehungsgespräch?“
„Das denke ich auch. Heute hat er mich jedenfalls furchtbar genervt. Aber ich wollte dich eigentlich wegen Geld was fragen. Schau mal!“
Ich zog meine Notizen und das Finanzheft heraus.
„Glaubst du, ich sollte einen Teil meines Geldes in Fonds anlegen?“
„Unbedingt! Die beste Geldanlage, die es gibt... Wo hast du dein Geld jetzt?“
„Sparbuch“, nuschelte ich beschämt.
„Marianne, du bist ein Dummchen! Dann kannst du es doch gleich unter der Matratze bunkern... Komm, wir stellen dir ein richtig gutes Depot zusammen, ja? Hast du ein Online-Konto?“
„Natürlich!“ Alle neuen Technologien faszinierten mich, Computer, Internet, Handy...
„Gut, damit kannst du ein Depot prima verwalten. Wie viel willst du anlegen?“
Ich zögerte etwas. „Hunderttausend, denke ich...“
„Vernünftig, dann bleiben dir auch noch ordentlich Reserven. Lass mal sehen...“
Sie blätterte in dem Heft, dachte nach, schrieb etwas auf, strich es wieder durch, blätterte noch ein bisschen, schrieb wieder etwas auf. Schließlich schob sie mir den Zettel zu.
„Hier - das erscheint mir ausgewogen. Da kannst du im Schnitt gut zehn Prozent pro Jahr netto herausholen.“
„Super, das wären ja… naja, richtig Mäuse! Dann kann ich vielleicht endlich im Backshop aufhören...!“
„Nicht so hastig, ein bisschen Zeit musst du den Werten schon lassen. Im Schnitt zehn Prozent, hab ich gesagt! Wieso schuftest du überhaupt immer noch im Backshop? Kannst du nichts Besseres finden?“
Susanne hatte vor einem halben Jahr ihren Magister gemacht und arbeitete nun bei Winkler&Partner, einer Werbeagentur in Uninähe. „Sag mal, du kannst doch gut mit dem Computer umgehen?“
Ich nickte, den Mund voller Eis.
„Ich könnte mal fragen, ob wir dich nicht brauchen könnten, so für zwei Nachmittage in der Woche, Schreibarbeiten, Ablage und allgemeine Hilfsdienste. Besser als der Bäcker zahlen wir auf jeden Fall – und die Füße täten dir auch nicht mehr so weh. Interessiert?“
„Natürlich! Mensch, Susanne, das wäre ja toll – das Semmelnverkaufen ist schon der höhere Stumpfsinn, obwohl da alle sehr nett sind und sie mir immerhin 15 Mark brutto zahlen...“
Susanne lachte. „Ich glaube, da können wir dir etwas mehr bieten. Aber, wie gesagt, ich muss erst mal fragen!“
„Da wäre ich dir sehr dankbar... Sag mal, was machst du am Mittwoch?“
„Da hast du Geburtstag, nicht? Bis jetzt noch nichts.“
„Dann hast du jetzt was vor. Um sieben bei mir, auf ein Gläschen und ein kleines Buffet? Carola kommt auch – und Tom, wenn er dran denkt.... Da bin ich mir ja nicht so sicher...“ Ich ärgerte mich schon wieder über ihn. Nie hätte ich seinen Geburtstag – den 13. September – vergessen!
Als ich nach Hause kam – Susanne musste ja morgens früh raus -, war ich durch meinen Zorn auf Tom noch so aufgekratzt, dass ich eifrig weiter herumwerkelte und aufräumte. Erst alles blitzblank war und mein Schreibtisch perfekt gestylt dastand – ohne alte Schmierzettel darauf, außer dem Terminplaner – war ich zufrieden und ging ins Bett, sogar abgeschminkt, was sonst nicht immer der Fall war. Ab jetzt wird alles anders, wenn Tom nicht spurt, dachte ich mir, dann schlief ich ein.
Am Montag hatte ich glücklicherweise im Backshop erst die Schicht von zwei bis sechs, also konnte ich vorher auf die Bank gehen und mir ein Depot einrichten, genau in der Zusammensetzung, die Susanne mir ausgesucht hatte, allerdings legte ich fast doppelt so viel Geld an wie angekündigt. Dabei glich ich auch gleich das Girokonto ein bisschen aus. Nun hatte ich nicht mehr besonders viel auf dem Sparbuch, aber das war mir egal – im Lauf der Zeit würde ich für den Rest sicher auch noch eine bessere Anlage finden!
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