Wollte ich mein Leben ändern? Ich war mir nicht sicher, aber irgendetwas passte mir heute nicht, das wusste ich genau. Nur was? Die Tatsache, dass Tom immer noch schnarchte? Dass wir uns immer bei mir trafen und folglich immer ich alles bezahlen und danach die Unordnung beseitigen durfte? Egal, es würde mir schon noch klarer werden.
Um elf hatte ich den Aufsatz und einen weiteren schon durchgearbeitet und ein Konzept entwickelt, das mir durchaus tragfähig erschien. Die Küche war aufgeräumt, und Toms Kram hatte ich auf einen Haufen vor dem Bad geworfen, damit das Zimmer nicht so unordentlich aussah. Allmählich ging es mir ernsthaft auf die Nerven, dass er stundenlang hier herumschnarchte, während ich so fleißig war – eigentlich ungewöhnlich fleißig...
Ich riss also Fenster und Balkontür weit auf und zerrte Tom dann die Bettdecke weg. Es dauerte aber immerhin noch zehn Minuten, bis die Eiseskälte in sein schlafumnebeltes Gehirn gekrochen war und er protestierend aufwachte.
„Äh, was soll denn das?“, nuschelte er und rieb sich die Augen. „Los, komm wieder ins Bett...“
Ich sah mir den verschlafenen und verschwitzten Tom desinteressiert an und schloss dann die Fenster wieder. „Keine Lust. Schau du lieber mal, dass du in die Gänge kommst, es ist fast Mittag!“
„Na und? Ist doch Sonntag...“ Er ließ sich faul in die Kissen zurückfallen, sobald er sich die Decke wieder geschnappt hatte.
„Ich hab Durst.... Gibt´s keinen Orangensaft?“
„Doch, im Kühlschrank ist noch ein Rest“, erklärte ich mäßig freundlich und blätterte weiter in der Aufsatzsammlung. Am liebsten wäre es mir gewesen, er hätte seinen ganzen Kram genommen und wäre nach Hause gegangen. Hatte ich ihn nach fast zwei Jahren satt? Ach, ich wusste gar nicht, was ich heute eigentlich wollte.
„Holst du mir den nicht?“
„Nein, du siehst doch, ich arbeite.“
Er lachte verächtlich. „Wieder mal ein Meisterwerk ohne praktischen Nutzen?“
Ich überlegte kurz, ob ich ihm mit diesem Sammelband – er wog mindestens zwei Kilo – eins überbraten sollte, nahm mich dann aber zusammen. Mein Germanistikstudium war immer schon Gegenstand seines Amüsements gewesen. Arroganter BWLer! Statt dessen grunzte ich nur betont geistesabwesend.
„Und das muss heute sein?“
Ich sah auf. „Hast du einen besseren Vorschlag?“
„Sicher... Komm wieder ins Bett!“ Er lächelte verheißungsvoll. Aha, Einsatz der Grübchen! Heute klappt das nicht, mein Süßer, dachte ich mir.
„Keine weiteren Vorschläge?“
„Wieso – reicht dir das nicht?“
„Nein. Warum sind wir eigentlich immer bei mir? Immer hab ich den Saustall am Hals, und immer muss ich alles zahlen!“
Schlecht, schlecht – man sollte doch nicht „immer“ oder „nie“ sagen, hatte ich mal in einem dieser dämlichen Beziehungsratgeber gelesen. Seine hübschen Züge verfinsterten sich auch prompt. Weibergenörgel , dachte er jetzt sicher. Dann lächelte er wieder. „Ach, bei dir ist es einfach gemütlicher...“
„Du meinst, hier ist der Zimmerservice inbegriffen?“
Jetzt hatte ich ihm sein gewinnendes Lächeln aber vom Gesicht gewischt!
„Hast du wieder mit Susanne gesprochen? Diese blöde Emanze...“
„Was hat denn das damit zu tun, dass wir auch mal bei dir zusammen sein könnten? Das wäre doch nur gerecht.“
Er lenkte ab. „Wie war ich heute Nacht?“ So ein eingebildeter Affe!
Ich sah ihn voll blankem Erstaunen an – hoffte ich wenigstens. „Wie war was?“
„Na, heute Nacht im Bett?“
„Ach, das... du bist mittendrin eingeschlafen.“ Das stimmte gar nicht, aber jetzt hatte ich ihm die Stimmung endgültig versaut.
„Du bist heute so zickig – kriegst du deine Tage?“
Meine Kastrationsgelüste steigerten sich exponential. Das war ja wohl das Allerblödeste! „Nein, du nervst mich nur!“
„Ich mach doch gar nichts...“
„Eben, du liegst nur faul hier herum und hältst mich von der Arbeit ab. Ich finde das ungerecht. Du hast viel mehr von dieser Beziehung als ich, ich hab nur die Stress und die Kosten.“
„Was soll das alles denn plötzlich, wir haben es doch schön miteinander...“ Er gähnte ausgiebig.
„Gähn gefälligst nicht, wenn wir über unsere Beziehung sprechen!“, fauchte ich ihn an.
„ Du redest darüber, ich bin nicht scharf drauf“, schnappte er zurück und trottete ins Bad, wo er garantiert wieder eine Überschwemmung verursachen würde, ohne nachher aufzuwischen. Ich arbeitete unkonzentriert noch ein bisschen weiter, dachte aber nebenbei weiter darüber nach, wie ich mir meine Beziehung zu Tom vorstellte. Mehr auf gleichberechtigter Basis, vielleicht eine gemeinsame Wohnung – um Gottes Willen, nein, dann hatte ich nur mehr Zimmer sauber zu halten! Aber mal sehen, wie er auf diesen Vorschlag reagierte! Was wollte er eigentlich von mir?
Im Bad rauschte es heftig, er duschte also. Wenigstens etwas!
Ich schrieb die interessanten Aspekte aus dem nächsten Aufsatz heraus, während es weiter munter plätscherte; zwischendurch machte ich das Bett und holte den Staubsauger aus dem Flur.
Tom blieb verblüfft stehen, als er aus dem Bad getreten war, hinter sich eine große Pfütze.
„Warum bist du heute so ein Putzteufel?“
„Wisch bitte die Pfütze auf, du weißt doch, dass das Bad kein Fenster hat“, antwortete ich über das Staubsaugerjaulen hinweg. Knurrend warf er ein Wischtuch in die Pfütze und schob es mit dem nackten Fuß ein paar Mal hin und her.
Ich schaltete den Staubsauger aus und räumte meine Unterlagen etwas beiseite. Dann setzte ich mich an den Esstisch, stützte das Kinn auf die Hand und sah ihm zu, während er sich anzog.
„Was versprichst du dir von unserer Beziehung?“
Immerhin tat er so, als würde er überlegen.
„Spaß... guten Sex, gemütliche Abende – du kochst gut... man kann mit dir gut reden...“, sein Gesicht verfinsterte sich wieder, „...wenn du nicht gerade auf dem Emanzentrip bist. Du hast ja schon wieder dieses blöde Sweatshirt an!“
Das überhörte ich erst einmal. „Mehr nicht?“
„Was soll da noch sein?“
„Naja, ich dachte – längerfristig?“
„Großer Gott, sag bloß, du willst heiraten!“ Nackte Panik in seinem Gesicht!
„Quatsch, wozu denn! Aber vielleicht zusammenziehen?“
„Fände ich übertrieben. Ist doch alles gut so, wie es ist!“
„Für dich vielleicht“, murmelte ich. Sex und Essen – hatte er keine anderen Interessen? Außerdem kochte ich nicht gut. Verwöhnt war Tom nicht, das musste man ihm lassen. „Wir wohnen doch ohnehin praktisch zusammen, aber nur zu meinen Lasten – und die Wohnung ist für die Unordnung von zwei Leuten einfach zu klein.“
„Deshalb räumst du heute so manisch auf?“
„Wie wär´s mit einer größeren Wohnung?“
„Wenn du meinst“, lenkte er friedlich ein. „Dann such dir halt eine größere Wohnung!“
Er verstand wirklich gar nichts. „Doch nicht für mich alleine! Ich kann was Größeres doch gar nicht bezahlen. Ich dachte, wir beide zusammen!“
„Mir genügt meine Wohnung“, wehrte Tom ab und sah sich vergeblich nach Frühstück um.
„Ja toll, du bist ja auch immer hier!“
„Soll ich gehen? Gibt´s hier eigentlich nichts zu essen?“
„Du sollst über das Problem nachdenken! Nein, ich habe vor Stunden gefrühstückt. Und für Mittag ist nichts da, ich hab vergessen, gestern einzukaufen.“
„Schön blöd. Was essen wir dann? Welches Problem? Ich sehe gar keins!“ Er ging in die Küche und schaute in den deprimierend leeren Kühlschrank.
„Verstehst du eigentlich gar nicht? Ich habe dir die ganze Zeit erklärt, dass wir so nicht weitermachen können, das ist mir zu einseitig – und zu teuer! Was suchst du da?“
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