Sollte ich für den Lektürekurs noch etwas tun? Oder nein, erst musste ich nach diesem uralten Take-That -Starschnitt suchen – und Tesafilm einpacken! Ich fand außerdem noch zwei ziemlich angejahrte Ausstellungsplakate, Picasso im Stadtmuseum (Juli bis Oktober 1997) und Ansel Adams in der Modernen Galerie, aus dem vorletzten Jahr. Als ich bis zur Taille in dem Schrank unter meinem wackligen unbehandelten Bücherregal steckte und gerade die Hand nach dem Plakat von den Filmkunstwochen (Thema: Expressionismus, ich erinnerte mich noch lebhaft an Das Kabinett des Dr. Caligari ) ausstreckte, erschrak ich furchtbar, als ich Anke hinter mir hörte. „Suchst du nach Inspirationen?“
Polternd fiel ich aus dem Schrank und schlug mir den Ellbogen am Scharnier an. „Mensch Anke, warum schleichst du dich so an?“ Ich rieb mir heftig den Musikantenknochen. „Wie geht es deiner Vision?“
„Och, ganz gut“, antwortete ich betont lässig und krabbelte eher ungraziös wieder auf die Füße. „Ich hab einen Job.“
„Echt? Nicht übel! Wo denn?“
Anke fegte den Krempel von meinem ungemachten Bett und setzte sich, dann sah sie sich um. „Und dazu brauchst du den vergammelten Starschnitt?“
„Genau. Ich arbeite nämlich in einer Kneipe, und da brauchen wir noch ein bisschen Deko, es sieht alles noch nicht so perfekt aus.“
„Und was wirst du dort machen? Kochen? Du kochst ja wirklich genial, das muss dir der Neid lassen.“
„Ja, auch. Und servieren. Und den Wirt beraten. Ich bin praktisch das Mädchen für alles. Fünfzehn Mark plus Trinkgelder.“
„Für den Anfang ganz nett“, lobte Anke. „Aber nicht, dass du dich dort als Magd und Oma fürs Grobe ausbeuten lässt und dann nie dein Studium fertig kriegst! Ich sehe schon, ich muss dich weiterhin streng beaufsichtigen!“
„Keine Sorge“, verteidigte ich mich und meine glänzende Zukunft, „ich will auch in zwei Jahren fertig sein. Du kannst ja meine Vision lesen, wenn du willst!“
„Nein, die sollte nur für dich sein. Ich lasse dich meine ja auch nicht lesen. Heb sie dir gut auf und gucke täglich drauf. Ach ja – und vergiss nicht, dir Wege zu überlegen, wie du diesen Zielen näher kommst.“
„Wenn der Job okay ist, hab ich die meisten Punkte schon anvisiert, du wirst schon sehen. Wann willst du jetzt genau deine Party machen?“
„Ich dachte, nächsten Donnerstag, weil wir freitags alle erst später in die Uni müssen. Klappt das oder musst du da in deine Kneipe? Wie heißt die überhaupt?“
„ Rudis Rastplatz “, nuschelte ich beschämt, „nein, ich arbeite da von Freitag bis Montag, immer erst ab Mittag.“
„Ist das nicht ein bisschen viel? Wann willst du denn dann in die Uni gehen? Hast du nicht was von Magisterprüfung gesagt? Du musst dafür doch schließlich auch mal eine Arbeit verbrechen, und da sitzt du lange in der Bibliothek, das kann ich dir flüstern!“
„Weiß ich auch. Ich habe die Vormittage Zeit und Dienstag bis Donnerstag den ganzen Tag. Wo ist da das Problem?“
„Na, wie du meinst. Was gibt es heute eigentlich zu essen?“
„Minestrone und Käsetoast“, schlug ich vor – das ging schnell und ich wollte noch über meinen Plänen grübeln und vielleicht, wenn ich ganz tugendhaft war, ein bisschen Caesar übersetzen und die Übung für den Übersetzungskurs wenigstens flüchtig machen. „Gut, klingt lecker. Um sieben?“
„Ja, gut“, murmelte ich, schon wieder auf dem Weg in den Schrank. „Hast du noch ein paar alte Kunst- oder Filmplakate?“
„Hm, ja. Hast du vorhin wirklich gesagt Rudis Rastplatz ? Wer hat sich denn den albernen Namen ausgedacht? Klingt wie ein Autogrill in Italien.“
„Hab ich ihm auch schon gesagt, den muss er ändern, das ist ihm auch klar.“
„Dem entnehme ich, dass der Wirt Rudi heißt? Erzähl doch mal! Wie alt? Noch zu haben?“
„Wie alt? So wie wir, oder ein bisschen mehr, weiß ich doch nicht. Ganz nett. Wenig Erfahrung mit einer Kneipe, glaube ich. Du kannst ja mal auf ein Bier vorbeischauen und ihn anmachen, wenn du Lust hast.“
„Ich doch nicht! Ich dachte, vielleicht ist er etwas für dich?“
„Sehe ich aus, als suche ich einen Kerl?“
„Sieht nicht jede Frau so aus, auch wenn sie es nicht zugibt?“
„Aus deinem Munde klingt das besonders überzeugend. Du bist doch die, die immer von der fetten, männerlosen Karriere redet? Also sehnst du dich im Innersten deines Herzens nach Mann und Kinderchen? Ist ja hochinteressant...“ Ich feixte, und Anke wurde tatsächlich ein bisschen rot.
„Blödsinn!“ verteidigte sie sich schwächlich, „ich brauch wirklich keinen Mann. Was denkst du denn von mir?“
„Ich weiß nicht, was ich denken soll, wenn ich dein holdes Erröten so sehe.“ Ich lachte noch mehr, und Anke verließ erbost mein Zimmer.
Ich kehrte endgültig in den Schrank zurück und förderte noch eine Sammlung extrem kitschiger Postkarten zutage. In einem Rahmen könnten sie ganz lustig wirken, überlegte ich. Und das halbfertige Strickzeug ganz hinten im Schrank war jetzt wirklich reif für die Mülltonne! Ich zog die Nadeln heraus und entsorgte die verfilzte und angegraute Wolle. Überhaupt konnte ich hier mal so allerlei wegwerfen! Zunächst beschränkte ich mich aber darauf, das Bett kräftig aufzuschütteln und das Gemüse für die Minestrone aufzusetzen, dann übersetzte ich tatsächlich einen Übungstext und eine Seite Caesar und fühlte mich dabei ungemein tugendhaft.
Als ich schließlich sogar noch die Wäsche von gestern – wenn auch eher schlampig – gebügelt hatte, begann ich mir direkt Sorgen um meine geistige Gesundheit zu machen. Also verzog ich mich in die Küche und rührte in der Minestrone herum, die schon verheißungsvoll zu duften begann. Die Käsetoasts waren schnell vorbereitet; ich deckte den Tisch und setzte mich dann wieder mit Zettel und Stift hin. Was könnte man noch tun, um die finstere Kneipe netter aussehen zu lassen? Ich überlegte ein bisschen, dann schob ich den Suppenteller beiseite und begann eifrig zu kritzeln. DIE FENSTER PUTZEN, das war klar. POSTER AUFHÄNGEN, auch schon bekannt. Rudi sollte eine alte Schultafel haben, um die Tagesgerichte darauf zu notieren, überlegte ich mir, so etwas sah immer urig aus und war sicher viel billiger als dauernd neue Speisekarten zu tippen. Wenige, aber leckere Gerichte, Klassiker, wie Spaghetti Bolognese, Schinkennudeln, überbackenen Blumenkohl, Wurstsalat, kalten Braten, ein, zwei Salate, vielleicht auch ein, zwei Toasts... Ich hätte mir die Küche und die Karte noch genauer ansehen sollen!
Na, das konnte ich ja morgen alles gründlich nachholen. Und die Klos mussten schöner werden, die schmierige Ölfarbe musste erst einmal runter, und dann sollte alles frisch und bunt gestrichen werden. Das könnte man mal an einem Dienstag erledigen, dann könnte die Farbe bis Mittwochnachmittag trocknen. Und die stark nikotingelben Bistrogardinen müsste man unbedingt in einen Eimer mit brutaler Bleiche stecken, am besten gleich morgen Mittag! Und natürlich die Fenster putzen, dazu besorgte hoffentlich Rudi alles Notwendige. Dazu die Poster und die Tafel mit der Speisekarte.... Mir schwebte ein Ambiente vor wie im legendären Stockinger gleich neben der Uni – rustikal, leicht verschlampt, aber in . Dort hatte man immer das angenehme Gefühl, einerseits etwas für die kulturelle Bildung zu tun – beim Studium älterer Ausstellungsplakate – und andererseits kein Snob zu sein, sondern unbefangen in einer normalen Wirtschaft zu sitzen. Nur das Essen! Im Stockinger war es weitgehend ungenießbar, das mussten wir besser machen.
Ich rührte weiter in der Minestrone herum und schob schließlich die Käsetoasts in den Ofen. Toasts... da gab es auch die tollsten Möglichkeiten. Ich drehte den Zettel um und notierte mir die Zutaten für Champignontoast, Toast Hawaii, richtig lecker fettigen Ei-und-Speck-Toast. Man könnte auch im englischen Stil Mini-Chipstüten an der Bar verkaufen. Wenn man als Extraservice einen kleinen Teller dazu zur Verfügung stellte, kam das bestimmt gut an. Was noch?
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