„Man kann sicher etwas daraus machen“, beschönigte ich also das Problem und erntete ein ungläubiges Lachen.
„Meinen Sie? Es sollte mich freuen, ich habe die Kneipe erst vor zwei Monaten übernommen und mich noch nicht recht entschieden, was es werden soll.“ „Welche Möglichkeiten schweben Ihnen denn so vor?“, fragte ich und ließ meinen Blick über die trüb bräunlichen Wände schweifen. „Was schlagen Sie vor?“, fragte er prompt zurück.
„Hm... So was wie eine etwas altmodische Künstlerkneipe vielleicht. Ein paar Poster an die Wand, vom Filmfest oder vom Theatersommer, vielleicht ein bisschen streichen, ein bisschen Kitsch dazu – ich weiß auch nicht. Hintergrundmusik auf alle Fälle. Kocht die Frau in der Küche?“
„Nein, die putzt bloß. Ich koche selbst. Können Sie kochen?“
Ich nickte. „Ich hab kein Zeugnis oder so was, aber bis jetzt hat es allen geschmeckt.“
„Ausgezeichnet. Wir sollten vielleicht auch mal über die Karte nachdenken, sie ist ein bisschen einfallslos, finde ich. Ja, und streichen, das scheint mir auch nötig.“
„Die Klos sind eine Katastrophe“, bemerkte ich beiläufig, nun schon weniger zurückhaltend, „aber ich glaube, den Laden könnte man in Schwung bringen.“
„Hätten Sie denn vier Nachmittage in der Woche Zeit? Vielleicht Freitag bis Montag? Dann suche ich für Mittwoch und Donnerstag noch jemand anderen.“
„Ganz schön viel. Moment mal!“
Ich kramte in meiner Tasche herum und fand tatsächlich in meinem winzigen Notizbuch einen Stundenplan. Die Pflichtseminare waren Mittwoch, Donnerstag und Freitagmorgen. Den Rest konnte ich notfalls auch streichen, denn ich wollte einfach hier arbeiten, die Herausforderung reizte mich.
„Ich glaube, das kriege ich hin, ich lasse einfach alles Nutzlose aus meinem Stundenplan weg. Freitag bis Montag von vier bis eins – das müsste gehen... Wie schaut es denn mit der Bezahlung aus?“
Er schaute verlegen drein.
„Naja, doll ist es nicht, fürchte ich. Fünfzehn Mark die Stunde plus Trinkgelder – brutto, leider.“
Ich überschlug das im Kopf. Sechsunddreißig Stunden à fünfzehn Mark, das waren 540 Mark in der Woche. Ohne Trinkgelder, aber ob die hier so reichlich flossen? „Sagen wir acht Euro ab Neujahr? Dann bin ich einverstanden.“
Er strahlte. „Sehr gut! Die letzte Bedienung ist vor zwei Wochen gegangen, und seitdem schufte ich hier fast ganz alleine, bis auf die Putzfrau. Sie können nicht zufällig heute schon anfangen? Ich öffne in einer Stunde.“ Ich schüttelte bedauernd den Kopf. „Ab morgen gerne, aber heute muss ich doch noch einiges organisieren. Ich hab ja nicht einmal eine Lohnsteuerkarte dabei!“
In den Ecken lag ziemlich viel Staub, so eifrig war die Putzfrau offenbar auch nicht. Der Wirt sah enttäuscht drein, aber dann fiel ihm etwas anderes ein. „Wie heißen Sie eigentlich? Das sollte ich vielleicht doch wissen, wenn ich Sie beschäftige.“
„Ach so, ja. Birgit Limmer, Maria-del-Pilar-Straße 26. Wie heißen Sie eigentlich?“
Er lachte und zeigte ziemliche Pausbäckchen dabei. Aß er immer alles auf, was er nicht hatte servieren können? Einen kleinen Bierbauch sah man auch unter der langen Schürze... „Rudi heiße ich, Rudi Seybert. Deshalb auch der Name, Rudis Rastplatz . Gefällt er Ihnen?“
Die Antwort konnte er meinem Gesicht offenbar ablesen. „Nicht? Ich fand ihn ganz witzig.“
Ich wand mich. Ich konnte meinem Chef doch nicht schon vor Arbeitsantritt erklären, dass sein Betrieb einen bescheuerten Namen hatte! „Naja, der Name ist schon okay, aber...“
„Aber?“ Er grinste noch mehr.
„Es klingt ein bisschen wie ein Kiosk am Autobahnrand.“
„Schlagen Sie was Besseres vor!“
Das konnte ich so spontan natürlich auch nicht, deshalb versprach ich, bei Gelegenheit darüber nachzudenken.
„Könnten Sie morgen vielleicht schon um zwei kommen? Dann könnten wir noch ein bisschen über Verbesserungen reden. Ich glaube, Sie könnten eine echte Bereicherung für die Kneipe sein.“
„Ja, gut“, stimmte ich zu, „das müsste gehen. Auf die Uni hab ich im Moment ohnehin keine rechte Lust.“
Ich konnte eine echte Bereicherung für die Kneipe sein? Toll, vor einer Stunde war ich mich noch wie jemand gefühlt, der wirklich zu gar nichts zu gebrauchen war. Das Lob freute mich ungemein, obwohl dieser Rudi doch noch gar nicht wissen konnte, ob ich nicht den Gästen das Bier über den Kopf kippen würde. „Haben Sie zufällig ein paar alte Poster zu Hause?“, fragte er mitten in meine wohligen Gedanken hinein.
„Poster?“, echote ich verblüfft. „Einen alten Starschnitt hab ich noch irgendwo, von Take That . Soll ich den mitbringen?“
„Warum nicht, als Witz kann man ihn sicher noch brauchen. Oder hängen Sie sehr daran?“
„Ach wo, ich bin doch nicht mehr in der Unterstufe.“ Ich sah mich prüfend um. „Vielleicht an die Wand dahinten?“
„Gute Idee. Dann kommen Sie morgen um zwei? Ich kann Ihnen erklären, wie die Kasse funktioniert und auch, wie man mit der Bar und der Küche umgeht. Ach ja, und bei Gelegenheit bräuchten Sie ein Gesundheitszeugnis, wenn Sie auch mal in der Küche arbeiten wollen.“
„Das hab ich, noch von einem anderen Job, vor einem Vierteljahr. Wenn Sie Küchentücher und eine Sprühflasche Glasklar haben, kann ich morgen auch mal die Fenster putzen, dann wird es hier sicher ein bisschen heller.“
Er lachte kurz. „Steht morgen alles bereit! Also, dann...“ Er reichte mir die Hand. Einen festen Händedruck hatte er, das kam wohl vom Biertragerlschleppen?
Vor der Tür schüttelte ich den Kopf. Wie schnell die Stimmung umschlagen konnte! Eben noch war ich unfähig, mir vorzustellen, wie mein Leben in zwei Jahren aussehen sollte – und jetzt blinkten Sätze vor meinem inneren Auge, RUDIS RASTPLATZ IST DIE INKNEIPE DER UNIGEGEND, ICH KASSIERE DIE FETTESTEN TRINKGELDER ALLER ZEITEN und vielleicht sogar DER MANN MEINES LEBENS KOMMT ALS GAST IN DIE KNEIPE. Noch besser wäre freilich ICH BIN SO GUT, DASS RUDI MIR EINE BETEILIGUNG ANBIETET, UND WIR MACHEN ÜBERALL FILIALEN AUF. Ich musste unbedingt nach Hause und das alles aufschreiben!
Anke war noch nicht zurück, wahrscheinlich fahndete sie noch nach den ultimativen Weihnachtsgeschenken. Umso besser, ich wollte alles zu Papier bringen, bevor sie es mir wieder ausredete! Ich verzog mich sofort an meinen Schreibtisch, wo mich die frustrierende Liste von vorhin angrinste. Nun, jetzt hatte ich doch etwas, was ich darauf schreiben konnte: ICH BIN DIE SEELE VON RUDIS RASTPLATZ UND VERDIENE GENUG ZUM LEBEN. Darunter setzte ich: RUDIS RASTPLATZ BRUMMT TOTAL. Leider war mir klar, dass Anke die Nase rümpfen würde, wenn sonst nichts auf dem eselsohrigen Zettel stand. Ich wollte mal nicht so sein: ICH HABE MEINE MAGISTERPRÜFUNG BESTANDEN. Die Note schrieb ich lieber nicht dazu , irgendwie bestanden reichte mir schon. Was noch? MEIN KONTO IST IM PLUS. Das wäre allein schon um meiner Nerven willen wünschenswert. Ich kaute ein wenig auf meinem Stift herum und schrieb dann fieberhaft weiter. RUDI DENKT ÜBER EINE BETEILIGUNG NACH. ICH HABE UNTER DEN SCHÖNSTEN GÄSTEN DIE FREIE AUSWAHL. Nein, Schwachsinn, das musste sofort wieder weg. ICH HABE EINE KOCHPRÜFUNG ABGELEGT, DAMIT ICH AUCH OFFIZIELL EINE KNEIPE FÜHREN KANN. Wenn das nicht zielstrebig klang!
Ich suchte ein neues Blatt und schrieb mir diese Visionen in einer sinnvolleren Reihenfolge noch einmal sauber auf, dann warf ich den Zettel mit der peinlichen FREIEN AUSWAHL zerknüllt in den Papierkorb und packte sorgfältig meine Unitasche für morgen. Wenn ich den ganzen Nachmittag putzen und servieren durfte, sollte ich doch wenigstens am Morgen meine wissenschaftlichen Ambitionen mit Anstand hinter mich bringen. Viel war es ohnehin nicht, ein Lektürekurs, Caesar, Bellum civile , eine Vorlesung über Tacitus, Annalen (nur einstündig) und eine Übersetzungsübung, glücklicherweise lateinisch-deutsch. Um eins wäre ich fertig, dann eine rasche Breze und ab in die Kneipe! Ich freute mich schon richtig!
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