Ich holte mir erst einmal die Zeitung, vielleicht fand ich ja den perfekten Job im Stellenmarkt. Ich studierte die Seiten sorgfältig, aber gesucht wurden vor allem Empfangsdamen, Sekretärinnen mit sicheren Kenntnissen in Word, Excel und PowerPoint (ich konnte zur Not mit Word umgehen, aber das war´s dann auch schon), Sous-Chefs für diverse Restaurants (und egal wie gerne und gut ich kochte, eine Ausbildung hatte ich eben nicht) und die üblichen Versager für Drückerkolonnen ( Unterkunft kann gestellt werden ). Ach ja, und Putzfrauen wurden gesucht, ohne Ende. Nein, Putzen machte mir keinen Spaß. Vielleicht sollte ich morgen früh mal zur Uni-Jobbörse gucken, um halb acht wurden dort die Kurzjobs verteilt. Bis jetzt hatte ich dort allerdings auch nie etwas Besseres als Putzen oder Tippen ergattert. Die lustigen Jobs, zum Beispiel Kellerentrümpelungen, waren nur für Männer mit eigenem Auto, vorzugsweise mit einem Pickup. Ich hatte kein Auto, bei meiner Finanzlage kein Wunder. Und der Führerschein war schon fast nicht mehr wahr, so wenig Fahrpraxis hatte ich aufzuweisen! Vielleicht war ich schon reif dafür, von Haustür zu Haustür zu wandern und zu winseln, dass ich nicht fertig studieren konnte, wenn die Leute nicht sofort eine überflüssige Zeitschrift abonnierten? Nein, so tief war ich nun doch noch nicht gesunken!
Eigentlich doch, aber ich weigerte mich, einen solchen Idiotenjob anzunehmen. Außerdem hatte ich mal gelesen – oder war das ein Fernsehfilm gewesen? – dass in solchen Drückerkolonnen ein rauer Ton herrschte und man Prügel bezog, wenn man nicht genügend Abos umsetzte. Dann doch noch lieber bei Aldi an der Kasse!
Auf jeden Fall musste ich morgen ganz brav in die Uni gehen, geschwänzt wurde nicht schon wieder! Und fleißig üben musste ich auch. Voller guter Vorsätze schlug ich den Menge und die Synonymik auf. Nach zwei, drei Sätzen erlahmte mein Eifer zusehends. Himmel, war das schwierig – und ich hatte derartige Lücken... Regale auffüllen – das wäre ein Job, der mich bestimmt nicht überforderte, und Erfahrung hatte ich auch, noch aus der Schulzeit. Leider erstreckte sich die Erfahrung auch darauf, wie schlecht solche Jobs bezahlt wurden. Nein, danke!
Die Römer mussten krank gewesen sein – hatten die außer Kämpfen denn gar nichts im Kopf? Warum diese Fülle an Synonymen? Ich könnte natürlich auch bei MacDonald´s – nein, dann stank ich bis an mein Lebensende nach dem Fett, in dem die Pommes frittiert wurden - schon bei dem Gedanken wurde mir schlecht. Los, den nächsten Satz! Ich schlug fast zehn Minuten lang den benötigten Wortschatz nach, dann gab ich es auf – die Konstruktion war mir schleierhaft. Ich hatte doch von dieser Autorin auch noch den nächsten Krimi gekauft; wie ging es wohl mit dem Kommissar und seiner kessen Assistentin weiter? Nur ein paar Seiten, bestimmt, dann könnte ich wieder eine Viertelstunde übersetzen... Ja, das war eine gute Idee!
Als ich von dem Krimi aufblickte, war es fast elf Uhr nachts – zu spät, um jetzt noch mit Übersetzen anzufangen. Morgen war auch noch ein Tag! Ich putzte mir schnell die Zähne, wusch mir sorgfältig das Gesicht (diese Pickel mussten endlich verschwinden!) und schlüpfte ins Bett, wo ich den Krimi gierig weiterlas, bis ich um zwanzig nach eins endlich wusste, dass es doch nicht der Ehemann gewesen war, den ich entschieden verdächtig gefunden hatte. Mist, und morgen fing die Alexander-Vorlesung schon um acht Uhr an: Ob ich das schaffen würde?
Ich schaffte es natürlich nicht. Trotz Ankes Gezeter vor der Tür war es fast acht, bis ich wenigstens auf meinen Füßen stand und die Dusche anvisieren konnte. Als ich endlich geduscht und angezogen war, hatte Anke bereits wutschnaubend die Wohnung verlassen: „Wenn du dich so hängen lässt – ich gehe jetzt jedenfalls in die Vorlesung. Dass du deinen Arsch gar nicht mehr hochkriegst, finde ich wirklich erbärmlich.“
Wenigstens schaffte ich es in den Lektürekurs und in das Hauptseminar, aber in beiden Veranstaltungen musste ich mir einen Platz mit guter Deckung suchen, damit ich nicht genötigt wurde, mich an der Diskussion zu beteiligen – in Griechisch hatte ich das falsche Kapitel übersetzt und von der Terenzkomödie, die gerade auf dem Programm stand, hatte ich überhaupt keinen Schimmer – ich hatte den Eunuchus gelesen (faulerweise in der deutschen Übersetzung), Die Brüder waren heute aber an gesagt - Mist.
Anke warf mir, während sie eifrig einige Aspekte der Komödie diskutierte, ab und zu vorwurfsvolle Blicke zu, wie ich in meiner schummerigen Ecke klebte und so tat, als würde ich fieberhaft mitschreiben. Hoffentlich fiel ich dem Professor nicht auch noch als totale Loserin auf, bei irgendjemandem musste ich doch schließlich meine Magisterarbeit schreiben! Noch frustrierter verließ ich schließlich mit allen anderen das Seminar und kam mir wieder einmal klein, hässlich und unfähig vor. „Komm, wir gehen nach Hause“, sagte Anke, nachdem sie mir einen kritischen Blick zugeworfen hatte. Unterwegs sprach sie kein Wort, und ich versuchte mich vergeblich dadurch abzulenken, dass ich die Sonderangebote in allen Läden studierte, an denen wir vorbeikamen.
Erst als sich die Wohnungstür hinter uns geschlossen hatte und Anke mir in mein Zimmer gefolgt war, holte sie tief Luft: „Wie soll das mit dir weitergehen? Das war ja heute eine mehr als schwache Vorstellung!“
„Ich hab alles mitgeschrieben!“, verteidigte ich mich kläglich.
„Nicht aus Interesse! Du wolltest bloß tarnen, dass du keinen Schimmer hattest! Birgit, du hast doch mit diesem Studium gar nichts mehr am Hut, oder?“
„Meinst du? Vielleicht hab ich bloß einen Durchhänger?“
„Den hast du aber schon verdammt lange! Mädel, du bist im zwölften Semester, und der Abschluss ist noch nicht mal als fernes Licht am Horizont zu erkennen! Du hängst doch seit dem ersten – na gut, seit dem zweiten oder dritten Semester durch. Kann es sein, dass du dich gegen das Examen wehrst?“
„Unsinn! Warum sollte ich?“
„Weil nach dem Examen das Nichts kommt. Schau, bei mir kommt danach die Referendarzeit, und sicher wird das grauenhaft, aber ich weiß doch wenigstens, wie es weitergeht, aber du? Siehst du dich als Ordinaria für lateinische Literaturgeschichte? Ich weiß ja nicht so recht...“
„Ich auch nicht“, gab ich mit einem schiefen Grinsen zu. „Na, und sonst? Ein Magister führt ja nirgendwo im Besonderen hin, da musst du schon gut sein, um etwas in einem Verlag oder einer PR-Agentur oder so was zu ergattern.“
„Auf eine mit Latein und Griechisch werden die gerade gewartet haben“, murrte ich vor mich hin.
„Eben! Und weil dir das auch klar ist, scheust du dich vor dem Moment, in dem die Uni dich ins Leben entlässt“, folgerte Anke befriedigt. „Du bist hochtrabend“, antwortete ich ärgerlich.
„Aber ich habe Recht, oder?“
„Vielleicht. Nur – was soll ich machen? Jetzt noch abbrechen? Das Fach wechseln? Doch noch fertigmachen?“
„Das weiß ich auch nicht. Birgit, was willst du eigentlich?“
„Keine Ahnung. Nicht das, was ich jetzt habe, aber sonst?“
„Was für eine Art Job würde dir Spaß machen? Oder schwebt dir mehr Familie mit Kinderchen vor? Nur, in der Hinsicht unternimmst du ja auch nichts, oder?“
„Was sollte ich da schon groß unternehmen? Du kennst doch die Kerle, die an der Uni so rumlaufen! Brechmittel, allesamt! Muss ich wirklich nicht haben.“
„Irgendwo gibt es sicher auch andere“, antwortete Anke versonnen, und ich lachte freudlos auf. „Das sagt genau die Richtige! Wer hat denn groß verkündet, Karriere ist wichtiger, und Kerle taugen sowieso alle nichts?“
„Warum machst du mir das nach? Wo ist denn deine Karriere? Worauf konzentrierst du dich, statt deine Zeit mit Männern zu verplempern? Auf die Liebesaffäre des Kommissars mit seiner Assistentin?“ Sie hielt den zerfledderten Krimi anklagend hoch. „Wie viele solcher Schmöker hast du schon gelesen? Du lebst ja fremde Leben und vergisst dein eigenes! Ist das deine Perspektive?“
Читать дальше