„Ich weiß nicht, ob ich das eigentlich will. Allmählich verstehe ich die Leute, die mich immerzu fragen: „Was willst du denn später mal damit machen?“ Ach, ich weiß gar nicht, was ich eigentlich will. Und pleite bin ich auch, aber so was von pleite, das glaubst du gar nicht.“
„Du hast ja den totalen Blues“, kommentierte Anke und drückte mir tröstend die Schulter. „Pass auf, jetzt kochst du uns erst mal was, dann geht es dir gleich wieder besser. Ich kenn dich doch! Du vor einem Kochtopf, und die Laune steigt sofort. Und nach dem Essen reden wir weiter!“
„Vielleicht hast du Recht“, murmelte ich und trottete zur Küchenzeile. Mir schwebte eine Sauce mit sonnengetrockneten Tomaten und Basilikum vor, dazu ein Hauch Knoblauch. Frische Ravioli hatte ich gestern gekauft, die mussten ohnehin rasch verbraucht werden. Dazu einen Dill-Gurken-Salat... Beim Waschen, Schneiden, Einweichen und Kochen hob sich meine Laune tatsächlich wieder, und als ich in der Sauce herumrührte, während die Ravioli in reichlich sprudelndem Salzwasser kochten, pfiff ich schon wieder die Songs aus dem Radio mit – wie immer knapp daneben, wie Anke gerne behauptete. Ich deckte den Tisch, stellte den frisch geriebenen Parmesan dazu, mischte den Salat noch einmal durch, goss die Ravioli ab, schwenkte sie in einem Hauch Olivenöl und gab sie auf zwei Teller. Die Sauce kam als großer Klecks darauf. Anke stand schon genießerisch schnuppernd im Weg und nahm mir die Teller nur zu gerne ab.
Dann folgte erst einmal gefräßiges Schweigen. Erst als der Teller schon fast leer war, stöhnte Anke kurz auf. „Mensch, Birgit, du kochst göttlich! Alles genau auf den Punkt und so fein gewürzt. Du, sag mal, ich hätte da einen Minijob für dich!“
„Nämlich?“ Job klang auf jeden Fall gut, aber das Mini davor störte mich etwas.
„Na, ich muss doch nächste Woche die Leute aus meiner Examensgruppe einladen, hab ich vor Ewigkeiten schon versprochen. Könntest du einige richtig feine Salate machen, Knoblauchbrot dazu und diverse kleine Schweinereien? Du weißt schon, du kannst so was so toll, und wenn es das mache, schmeckt es immer irgendwie seltsam oder fad. Und mir werden auch immer die Nudeln zu weich und der Reis klumpig. Ich zahle die Zutaten und für die Arbeit - sagen wir einen Hunderter?“
„Du spinnst ja, Anke! Ich find´s nett, dass du mich aufbauen willst, aber du musst mich doch nicht für die Salate bezahlen, das mach ich so. Allerdings müsstest du mir im Notfall die Dezembermiete ein bisschen stunden.“
„Kein Problem. Aber ich finde schon, dass man ein so tolles Catering auch bezahlen sollte. Komm, sei kein Frosch, du kannst den Hunni brauchen und mir tut´s nicht weh, ich hab doch mit dieser Assistentenstelle ganz nett verdient. Wenn ich selber Salate mache und keiner dann was essen will, das wäre doch wirklich endpeinlich. Bitte, Birgit!“
„Na gut, ehe ich mich schlagen lasse, darfst du mich bezahlen. Was schwebt dir denn so vor? Und für wie viel Leute genau?“
Anke überlegte und schlug mir dann einige Salate vor. Ich notierte mir ihre Wünsche und überschlug, was ich an Zutaten brauchen würde. „Für den Hunderter kriegen wir zumindest alles“, stellte ich dann befriedigt fest.
„Nein, so war das nicht gemeint“, schnappte Anke, „der Hunderter ist fürs Machen, nicht fürs Einkaufen. Pass auf, ich geb dir zweihundert und du behältst, was übrig bleibt, einverstanden?“ Sie reichte mir zwei Scheine über den Tisch.
Ich steckte sie sorgfältig ein. „Lieb von dir. Aber einen Job brauche ich trotzdem, du kannst mich ja nicht durchfüttern, bloß weil ich besser koche als du.“
„Klar, aber ich fände es doch wichtiger, wenn du dich mal um dein Studium kümmern würdest. Birgit, du hast zwölf Semester auf dem Buckel und noch nicht mal mit dem Magister angefangen. Weißt du wenigstens schon, bei wem du sie schreiben willst? Beim Dornmeyer?“
„Bestimmt nicht! Gut, ich werde drüber nachdenken. Aber zurzeit bin ich so schlecht, ich kann eigentlich gar kein Latein mehr.“
„Soll ich mit dir üben? Das schadet mir sicher auch nichts.“
Ich lachte bitter. „Was willst du machen? Mich unregelmäßige Verben abfragen, während ich abspüle?“
„Wenn es sein muss?“
Sie stand tatsächlich mit der Grammatik hinter mir und nervte beim Abspülen, bis ich sie aus der Küche warf. Die Verben da drin konnte ich gerade noch, aber für die Übungsklausur hatte das natürlich nicht gereicht. Verbissen schrubbte ich und trocknete hinterher sogar ab, bis die Küche nur so blitzte und ich mich ein bisschen besser fühlte. Schließlich war hier wirklich überhaupt nichts mehr zu tun und ich musste mich in mein Zimmer und an meinen Schreibtisch zurückziehen. Als ich an Ankes Tür vorbeikam, sah ich sie konzentriert an ihrem Computer sitzen, wahrscheinlich gab sie gerade ihrer Zulassungsarbeit den allerletzten Schliff. Und ich? War ich heute nicht schon mehrmals an diesen Punkt gekommen? Was konnte Anke dafür, dass ich mit meinem Studium nicht vorankam!
Also schrieb ich mir erst einmal sorgfältig auf, was ich für Ankes Geld einkaufen wollte, von der Mayonnaise bis zu Zwiebeln in Balsamico. Dann packte ich meine Unitasche für morgen fertig, stellte fest, dass mir von der Alexander-Vorlesung schon die letzte Stunde fehlte, übersetzte mehr als lustlos ein Kapitel Xenophon und hoffte, dass ich morgen nicht drankam, und blätterte schließlich mehr aus Pflichtgefühl denn aus Interesse die beiden Bibliotheksbücher durch. Naja, in einem war ein Artikel, den ich vielleicht für meine Seminararbeit brauchen konnte. Vierundzwanzig Seiten, also zwölf Kopien, also eine Mark acht. Das konnte ich mir schon noch leisten, also musste ich den Artikel nicht jetzt lesen, wenn ich ihn morgen kopierte.
Im Flur läutete das Telefon, aber das Läuten brach schnell ab, also war es wohl für Anke. Mehr Freunde hatte sie auch. Ich kannte an der Uni kaum Leute, weil ich so selten da war. Vielleicht auch, weil ich immer so ein vergrämtes Gesicht zog?
Anke schaute herein. „Birgit? Ich geh noch mal weg, mit Nicki und Viola, okay? Was machst du noch? Willst du mitkommen?“
„Nö, lass mal, ich räume hier noch ein bisschen auf, für morgen. Viel Vergnügen!“
„Danke, bis morgen dann!“ Sie winkte kurz und ich hörte die Wohnungstür wieder zufallen. Eigentlich hatte ich schon alles aufgeräumt, mehr war ja im Moment nicht zu tun. Gut, ich konnte mal Wäsche in die Maschine werfen, sonst musste ich ohnehin bald im Bett bleiben.
Beim Einsortieren merkte ich, dass meine Lieblingsjeans an den Innennähten schon verdächtig dünn wurden, dass bei meinem Lieblings-BH eines der Plastikdinger zum Verstellen der Träger abgebrochen war – deshalb hatte er beim letzten Tragen auf dem Rücken so übel gekratzt! - und dass das Schwarze Loch in unserer Wohnung schon wieder zwei einzelne Socken eingesaugt hatte. Konnte es nicht wenigstens mal ein Paar nehmen? Also hatte ich auch kaum mehr etwas anzuziehen, fügte ich meiner Jammerbilanz hinzu, als ich die Waschmaschinentür zudrückte und Buntwäsche 40° einstellte. Vielleicht sollte ich mal wieder meine Eltern besuchen?
Hm. War das wirklich eine so kluge Idee? Die fanden doch ohnehin, dass mein Studium wenig sinnvoll war und außerdem schon reichlich lange dauerte. Sandra war schon mit fünfundzwanzig fertig gewesen, und Daniel hatte mit einundzwanzig schon sein Vordiplom geschafft. Außerdem waren Maschinenbau und BWL Fächer, unter denen meine Eltern sich etwas vorstellen konnten. Klassische Philologie nicht unbedingt.
War es unter diesen Umständen opportun, einen kleinen Schnorrversuch zu unternehmen? Eigentlich galt bei uns ja die Regel, dass man ab dem fünfundzwanzigsten Geburtstag keine Zuschüsse mehr bekam. Sandra konnte ich auf keinen Fall anpumpen, die war, gelinde gesagt, geizig wie Ebenezer Scrooge persönlich, jeden Pfennig, den sie nicht für ihre Chefetagen-Kleidung brauchte, steckte sie in teils sichere, teils hochriskante Geldanlagen. Von ihr war höchstens ein Vortrag zur momentanen Wirtschaftslage zu erwarten. Daniel war garantiert nicht zu Hause, der machte geradezu manisch Praktika, vorzugsweise weit weg von zu Hause. Dass ich überhaupt die einzige war, die nicht mehr bei den Eltern lebte, war auch eigenartig. Gut, Sandra hatte sicher kalkuliert, dass es zu Hause billiger war – aber mit siebenundzwanzig? Und Daniel, der mit den Alten dauernd wegen irgendetwas Krach hatte, warum zog der eigentlich nicht aus? Auch, um Geld zu sparen? Verdiente er bei seinen Praktika so wenig? Na gut, aber versuchen sollte ich es mal, wenigstens eine kostenlose Mahlzeit konnte ich so ergattern. Am Sonntagmittag vielleicht?
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