Unzufrieden stromerte ich durch die Wohnung – jetzt einen spannenden neuen Krimi! Und Hunger hatte ich allmählich auch, aber ich beschloss, das zu ignorieren, solange die Jeans um den Hintern herum noch so stramm saßen. Wenn Anke kam, war es noch immer Zeit, etwas zu essen!
Kurz nach zwölf... Ich deckte den Tisch und packte schon einmal die Unitasche für Montag – obwohl ich montags gar keine Veranstaltungen hatte, nur eigentlich in die Bibliothek gehen sollte. Warum hatte ich montags eigentlich nichts? Wo war das Vorlesungsverzeichnis? Ich wühlte in meinem Zimmer herum, fand aber nichts. Wahrscheinlich hatte Anke es, aber in ihr Zimmer wollte ich in ihrer Abwesenheit nicht gehen. Wann kam sie denn endlich zurück?
Anke kam um zwanzig vor eins, mit haufenweise Tüten in beiden Händen und einem Bärenhunger. Ich setzte sofort Spaghettiwasser auf und wälzte die Scaloppine in Parmesanpanade. Anke schob die Teller auf dem Küchentisch beiseite und begann auszupacken: für ihren Vater einen richtig schönen Pullover, außerdem Bücher, Knabbereien, Schaumbad, zwei CDs, ein Snackkochbuch, ein neues Wunderputzmittel und die aktuelle Fernsehzeitschrift. Zurzeit war sie in Kaufrauschstimmung. „Du musst wirklich zuviel Geld haben“, tadelte ich sie halbherzig und musterte ihre Beutestücke. „Da! Das ist für dich“, entwaffnete sie mich und überreichte mir das Snackkochbuch. Ich war gerührt. „Ehrlich? Zu Weihnachten? Jetzt schon?“
„Nein, bloß so. Weil ich so froh bin, dass du wieder Schwung gekriegt hast. Auch wenn es bloß die Kneipe ist – ich hatte einfach Angst, dass du total in Lethargie versinkst. Und jetzt bist du so aktiv, Respekt!“
Ich lachte verlegen. „Ich bin erst einen Tag lang so aktiv. Warte ab, ob ich es durchhalte!“
„Ich würde sagen, es sind schon zwei Tage. Als ich heimgekommen bin, warst du nicht auf deinem Bett in einen Schmöker vertieft.“
„Ich hab auch gewaschen und mein Zimmer geputzt und Bücher bestellt!“, protzte ich und fischte die Spaghetti aus dem Wasser. Als ich Anke ihren Teller reichte, vergaß sie ihre Einkäufe und vertiefte sich gierig in ihr Essen. Mir schmeckte es auch, wenn ich auch im Gedanken an meinen Hüftumfang mehr Nudeln und Salat und nur ein ganz kleines Schnitzel nahm. Anke bemerkte das. „Abnehmen willst du jetzt auch noch? Oder was soll dieses Kaloriensparmenü bedeuten?“
„Naja, ein bisschen“, gab ich zu. „Ich hab so einen Rossarsch, finde ich.“
„Genau, worauf die Männer stehen“, grinste Anke mit vollem Mund. „sei doch froh! Ein echter Hingucker.“
„Toll, was hab ich davon, wenn mir die Kerle auf den Arsch glotzen oder womöglich noch darauf herumtatschen! Ich würde lieber in kleinere Jeans passen“, murrte ich und nahm mir den Rest Salat.
„Dann können wir ja nicht mehr tauschen“, protestierte Anke.
„Ach komm, wegen einer Größe, das geht schon noch. Bist du fertig? Ich wäre gerne um zwei wieder in der Kneipe.“
„Das scheint ja süchtig zu machen! Na, hau ab, ich mach die Küche.“
Ich stand auf und umarmte sie kurz. „Du bist wirklich die Beste. Vielen Dank! Wir sehen uns morgen beim Frühstück. Danach muss ich mal in Familie machen, mir graut schon. Schönen Nachmittag wünsche ich!“
Ich sammelte die Zettel ein, die ich für Rudi bekritzelt hatte, stopfte alles in die Tasche, puderte mich noch ein bisschen – die Pickel waren schon deutlich kleiner geworden, eigenartig! – und eilte davon. Erst kurz vor der Kneipe merkte ich, dass ich die falschen Schuhe anhatte. Egal, das würde schon gehen, man gewöhnte sich ja bestimmt schnell daran, so lange auf den Beinen zu sein. Und was das an Kalorien verbrauchte! Herrliche Bilder von gertenschlanken Hüften und einem winzigen, eleganten Hintern tauchten vor mir auf.
Rudi stand wieder hinter der Theke und polierte Gläser. Das schien seine Lieblingsbeschäftigung zu sein. Er lächelte mir freundlich zu. Nette Pausbäckchen hatte er! Und tatsächlich hing eine Tafel neben der Bar. Rudi bemerkte meinen anerkennenden Blick. „Und, was sollen wir draufschreiben?“
„Was hast du denn schon fertig?“
„Wurstsalat und Chili. Kalter Braten ist noch da. Was schlägst du vor?“
„Vielleicht ein Sandwich? Kann ich mal schauen, was du da hast?“
„Geh nur. Übrigens, Knabberzeug hab ich gekauft. Was kann man dafür verlangen, was glaubst du?“
Ich warf einen Blick auf die kleinen Tütchen. „Was hast du bezahlt?“
Er überlegte kurz. „Im Schnitt siebzig Pfennig, glaube ich.“
„Nimm einsfünfzig. Und ab Januar fünfundsiebzig Cent, das sieht dann noch nach Preissenkung aus.“
Ich verschwand in der Küche. Die Riesenkühlschränke waren gut gefüllt. Ich warf Rudi, der in der Tür lehnte, einen anerkennenden Blick zu.
„Ich war doch gerade im Großmarkt!“
Mayonnaise, Schinken, Eier, Salat, Grahambrot – für Sandwichs war gesorgt. Ich packte die Zutaten zusammen in ein Fach und erklärte Rudi kurz, wie ich mir das Sandwich vorstellte. Er feixte.
„Entschuldige“, sagte ich verlegen, „du hast ja sicher schon mal ein Brot geschmiert, nicht? Aber das könnte gut gehen. Vier Mark? Das Grahambrot kann man auch ziemlich gut toasten...“ Ich wühlte weiter im Kühlschrank herum und entschied mich schließlich noch für Toast Hawaii. Nicht originell, wurde aber bestimmt gerne gegessen.
„Okay. Die meisten Kunden kommen ja ohnehin wegen des Biers und essen bloß eine Kleinigkeit dazu.“
Er schrieb die „neuen“ Gerichte auf die Tafel, die nun nicht mehr ganz so kläglich aussah, und da er auch noch eine Riesenkiste tiefgefrorene Apfelküchlein gebunkert hatte, gab es auch ein Dessert.
Wir verteilten Kerzen auf den Tischen, hängten die beiden Poster auf, die Rudi noch aufgetrieben hatte, ich wies ihn auf den Sci-fi-Laden hin, und dann brüteten wir über der Liste mit den Tagesgerichten. Rudi billigte alles.
Mittlerweile war es erst halb drei und wir hatten schon gar nichts mehr zu tun. Rudi legte die Liste auf seinen Schreibtisch und ich strich unruhig durch die Kneipe. Im Moment war wirklich nichts zu tun, und vor vier kamen keine Gäste. Die Gestalten, die an einem Samstagnachmittag um vier ein Bier brauchten, konnte ich mir außerdem schon vorstellen!
„Kann ich einen Kuchen backen? Darauf hätte ich jetzt Lust“, bekannte ich.
„Auf Kuchenessen?“
„Nein“, wehrte ich mich, „auf das Backen. Vielleicht verkaufen wir was davon, und wenn nicht, können wir ihn immer noch essen, oder du nimmst ihn mit nach Hause.“
„Nach oben, meinst du?“
„Was?“
„Ich wohne direkt über der Kneipe, die Wohnung gehört dazu“, erklärte er.
„Praktisch.“ Was sollte ich sonst schon sagen? Wohnte er wohl alleine dort? Ich schielte unauffällig auf seine Hände: Keine Ringe, aber ein Koch konnte ja auch schlecht welche tragen, oder?
Ich suchte nach Schüssel, Mixer und Zutaten und begann den Teig anzurühren. Rudi butterte ebenso wortlos eine geeignete Form aus. „Wohnst du schon lange hier?“, fragte ich dann schließlich und merkte sofort, dass diese Frage dumm war. Er konnte ja kaum länger hier wohnen, als er die Kneipe hatte, und das hatte er schließlich schon erzählt. Taktvoll war er aber, das musste man ihm lassen – er wies mich nicht auf meine Blödheit hin, sondern antwortete ganz unbefangen: „Seit zwei Monaten. Alles steht noch voller Kisten.“
„Was hast du vorher gemacht?“
„Mit einem Kumpel ein Bistro in der Altstadt geleitet, aber das lief nicht so besonders. Und davor war ich in einem Hotel tätig, in der Küche.“
„Wolltest du immer schon Koch und Wirt werden?“, fragte ich und schob die Form in den mittlerweile aufgeheizten Ofen.
„Eigentlich schon. Meine Mutter hatte mich zuerst zu BWL genötigt, aber nach ein paar Semestern hab ich das aufgesteckt. Völlig sinnlos. Die Buchführung kriege ich zwar hin, ich hab ein gutes Programm dafür, aber sonst finde ich Wirtschaft so furchtbar spannend nicht – Wirtschaften schon eher.“
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