„Stimmt. Glaubst du ernsthaft, das brauche ich so bald wieder?“
„Es sind doch nicht alle Kerle gleich!“
Ich warf ihr einen misstrauischen Blick zu und strich mir Brombeermarmelade auf eine Scheibe Toast. „Hatten wir das Thema nicht erst kürzlich? Warum willst du mich eigentlich unbedingt unter die Haube bringen? Glaubst du, alleine schaffe ich es nicht im Leben? Oder willst du davon ablenken, dass du selber einen im Auge hast?“
Anke wurde rot und ärgerlich. „Unsinn. Ich doch nicht! Ich kann mir das zeitlich doch schon gar nicht leisten!“
Naja, wenn sie meinte... Aber ich brauchte wirklich auch keinen Kerl! Sie sah mich schon wieder prüfend an. „Wolltest du nicht in die Stadt?“, schlug ich pampiger vor als ich wollte. Gott sei Dank, sie stand auf und suchte ihre Siebensachen zusammen. Bei Anke ging das immer schnell, sie wusste stets, wo Geldbeutel und Schlüssel waren, und sie schrieb sich auch Einkaufslisten, die sie dann tatsächlich mitnahm. So weit hatte ich es noch nie gebracht! Ich beobachtete, wie sie aufbrach, zog mich an und putzte dann gemütlich die Küche. Neun Uhr... Noch viel Zeit!
Im Kleiderschrank hatten nicht nur das rosa Sweatshirt und die grauen Jeans gelegen, sondern auch eine entzückende rosa Wäschegarnitur, die ich schon fast vergessen hatte, mehrere Socken, deren Verschwinden ich bereits der Waschmaschine angekreidet hatte, und zwei graumelierte T-Shirts, die man immer brauchen konnte. Von dem Baumwollpulli leider keine Spur! Ich stopfte alles in die Maschine, räumte den Schreibtisch ein bisschen auf, bezog mein Bett frisch und stocherte mit dem umgedrehten Besen unter dem Bett herum. Erstklassige Ausbeute! Zwei Fernsehzeitschriften, eine vom Juli, eine vom September, eine Mahnung der Bank, zwei Krimis, flauschig von Staubmäusen umrahmt, noch ein Socken, ein einzelner Handschuh, ein uralter Playboy...
Ich schob die Krimis ins Regal, nachdem ich heftig mit ihnen gewedelt hatte, warf die Wäsche auf einen neu anzulegenden Haufen, schmiss die Zeitschriften ins Altpapier und suchte weiter. Vielleicht im Schrank unter dem Regal, wo ich das tote Strickzeug entdeckt hatte? Zwei Spielesammlungen, ein Stapel unsortierter Papiere, noch mehrere Bücher, ein Schein, sogar gestempelt (sofort in die Scheinmappe damit! Vielleicht brauchte ich den noch einmal dringend!).
Hinter dem Vorhang stand eine leere Kiste für Kopierpapier; ich stellte sie auf den Schreibtisch und warf alles herumliegende Papier hinein. Bei Gelegenheit musste ich dringend richtig abheften – oder wegschmeißen, das meiste war wahrscheinlich längst überholt. Aber wo konnte der Pullover sein? Mein bestes Stück! Auf dem Kleiderschrank? Ich schleifte den Stuhl vor den Schrank und stieg darauf. Nein – eine beeindruckende Staubschicht, zwei noch viel ältere Zeitschriften, das war´s. Ich fuhr mit der Hand über die Schrankoberfläche und wischte mir die graue Hand dann an den Jeans ab. Klasse, vielleicht sollte ich doch mal zu Staubtuch und Staubsauger greifen? Und wo konnte der Pullover sein? Frustriert kehrte ich in die Küche zurück, rauchte eine Zigarette und schrieb mir auf, welche Tagesgerichte leicht vorzubereiten und warmzuhalten waren. Auf jeden Fall Chili, das wurde vom Warten nur noch besser. Spaghetti Bolognese auch, aber das war leider fast das gleiche... Freitags war Fisch mit Kartoffelsalat das Optimum, und ich konnte einen exzellenten Kartoffelsalat mit roten Zwiebeln machen.
Schinkennudeln, wie gestern besprochen, waren einfach das klassische Kneipenessen, Erbeneintopf mit ordentlich Rauchfleisch und Semmeln – wie im legendären Aschinger in Berlin. Was noch? Wir hatten sechs Tage in der Woche geöffnet. Zunächst fiel mir weiter nichts ein, also räumte ich die Maschine wieder aus und hängte die Wäsche auf. Ich konnte mal den Boden des Kleiderschranks auswischen. Erstaunlich, was für ein Staub sich dort angesammelt hatte! Und warum sah das Fach daneben so unordentlich aus? Was war da eigentlich drin – außer einigen extrem ungebügelten T-Shirts? Hochinteressant: zwei Paar Ballerinas, leicht verknautscht, noch eine Wäschegarnitur – und der vermisste Pullover! Dann konnte ich ja gleich noch eine Ladung waschen! Während das Wasser erneut zischend einlief, wischte ich den Schrank feucht aus und schichtete die vorhandenen Klamotten ordentlich auf – bis auf den senfgelben Chenillepullover, der war derartig ausgeleiert und abscheulich, der konnte in die Altkleidersammlung.
Als ich die zweite Ladung noch mit Mühe und Not auf dem sich biegenden Wäschegestell unterbrachte (nasse Jeans und Pullover überforderten die dünnen Drähte eindeutig), fiel mir auch noch ein weiteres Tagesgericht ein: Gemüselasagne (auch dafür hatte ich ein wunderbares Rezept) und fetagefüllte Hackfleischbällchen mit Tsatsiki. Damit hatten wir doch eine nette Auswahl!
Während ich mein Zimmer endlich einmal gründlich staubsaugte und eine gewaltige Menge Müll hinuntertrug (eigenartig, meine Füße taten mir gar nicht mehr weh), dachte ich weiter über die Speisekarte nach. Vielleicht eine kleine Sandwichauswahl? Mir schwebte etwas Pubartiges vor, richtige Sandwichs aus Weißbrot, mit Gurkenmayonnaise, Schinken, Käse und hartem Ei, selbstverständlich auch mit dem unvermeidlichen Salatblatt. Und vielleicht sogar täglich einen leckeren Partysalat – mit Geflügel, Thunfisch oder Tortellini? Nudeln, Käse, Mais und Erdnüsse? Hering mit roten Beeten und Kartoffeln? Dazu richtig gute Vollkornsemmelchen? Ich sollte mal das Angebot der umliegenden Bäcker studieren... Ach was, das konnte Rudi eigentlich ruhig selbst machen! Aber ich setzte mich doch hin und schrieb alle meine Ideen sauber auf, um Rudi später den Zettel geben zu können. Mal sehen, was ihm davon gefiel! Und ob er wohl die Tafel und Kreide gekauft hatte?
Ich hatte eine tolle Idee – in der Florianstraße gab es doch diesen Sci-fi-Laden, der gerade Räumungsverkauf hatte (war wohl nix mit den Star Wars- und Startrek -Fans), dort gab es sicher krasse Poster für ein Spottgeld! Vielleicht sollte Rudi noch ein, zwei Poster mitnehmen? Und vielleicht kamen ja auch Leute vorbei und fragten, ob sie etwas aufhängen konnten?
Wie war es mit Veranstaltungen? Schafkopfrennen, Auftritte von Chansonnieres? Ein Weihnachtsbazar? Oder brauchte man dafür wieder eine extra Genehmigung? Das musste Rudi ja wohl wissen, nicht ich! Und über Weihnachten konnten wir vielleicht wirklich mal die Toiletten anständig renovieren. Was zahlte Rudi wohl an Pacht? Wahrscheinlich eine ganze Menge, die Lage war schließlich so übel nicht. Andererseits war das Haus in nicht gerade glänzendem Zustand...
Ich wischte kräftig Staub und putzte sogar das Fenster, durch das eine kraftlose Novembersonne schien, dann bügelte ich den Teil der Klamotten, der schon einigermaßen trocken war. Mein Zimmer sah nun direkt so aus, als hätte ich mein Leben im Griff, und ich war tief von mir selbst beeindruckt. Um eins wollte Anke zum Essen wieder da sein, und jetzt war es erst Viertel nach elf... Die Küche glänzte, soweit das bei der vergammelten Sechziger-Jahres-Einrichtung möglich war; ich trug noch das gesammelte Altpapier zum Container, dann blieb mir wirklich nichts mehr zu tun, als meine Mitschriften abzuheften und einen schönen Ordner für das laufende Semester anzulegen. Ich quälte mich sogar durch eine Übung zu den Feinheiten der Kasuslehre und bestellte mir telefonisch einige Bücher für die Terenz-Seminararbeit, spitzte Bleistifte, warf allerlei Papier aus der Kiste weg, die ich vorhin gefüllt hatte, und trieb mich schließlich ruhelos in der Wohnung herum. Am liebsten wäre ich schon wieder in die Kneipe gegangen, aber das war lächerlich; Rudi erwartete mich erst um zwei und ich hatte auch gar keinen Schlüssel. Außerdem hatte ich Anke schließlich ein Mittagessen versprochen. Lustlos übersetzte ich ein Stückchen Xenophon und schrieb mir auf, welche Stunden von welchen Vorlesungen mir noch fehlten, dann rief ich meine Eltern an und sagte mich für morgen bei ihnen zum Mittagessen an. Wie üblich klang meine Mutter, als täte sie mir einen Gefallen, wenn sie mich durchfütterte, dabei wusste ich, wie säuerlich die beiden wurden, wenn ich nicht regelmäßig bei ihnen auftauchte. Wirklich typisch! War ich nicht da, war ich undankbar und pflichtvergessen, war ich da, stand ich nur im Weg und war eigentlich eher lästig. Ich beschloss, nach dem Essen mit dem Hinweis auf berufliche Verpflichtungen schnell wieder zu verschwinden. Leicht verärgert legte ich auf. Und ob Sandra oder Daniel da sein würden, hatte ich zu fragen vergessen! Und dafür musste ich mich morgen mit dem Bus nach Mönchberg hinausquälen, wirklich eine geniale Idee! Geld gab es dort garantiert auch nicht.
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