Wir folgten einer Straße in der Ebene unterhalb der Hänge des Berges Zeuth und machten deshalb einen weiten Bogen in die Landschaft hinein. Ich kannte diese Gegend und wusste, dass die Dörfer Prankhorst, Grebbingen und Krenndorf auf unserem Weg lagen. Der erste Rastplatz befand sich am Rand von Grebbingen, wo eine Taverne den Kutschern eine bequeme Übernachtung ermöglichte, während wir drei Bewaffneten gemeinsam Wache bei den Fuhrwerken halten sollten.
Doch wir kamen nicht so weit.
Ein Trupp Soldaten in königlichen Uniformen blockierte kurz hinter Prankhorst die Straße, wir mussten anhalten. Ein Offizier kam zu uns und forderte uns schroff auf, die Abdeckungen von der Ladung zu nehmen. Einer von Rozzarys Leuten lehnte das ebenso schroff ab und ein lautstarker Streit entbrannte.
Ich hielt mich im Hintergrund und bekam deshalb nicht alles mit, aber es ging wohl um den Verdacht, wir würden gestohlenes Gut transportieren. Die Kutscher zeigten Papiere vor, die belegten, dass sie im Auftrag des mächtigen Handelsherren unterwegs waren. Rozzary würde erbost sein, wenn er von so einer grundlosen Verdächtigung erfuhr.
Als Nächstes fiel dem Offizier auf, dass ein einzelnes Packpferd zu unserem Wagenzug gehörte, was ungewöhnlich war. Diesmal ließ er sich nicht davon abbringen, alles zu durchsuchen, was das Pferd trug. Er fand jedoch nur unverfängliche Gegenstände, wie sie auf einer längeren Reise benötigt wurden: Trockenfleisch, Hartgebäck, Wassersäcke, robuste Kleidungsstücke und die üblichen Dinge, die jeder Reisende bei sich hatte, wie Blechgeschirr, eine Sturmlaterne und Zunder.
„Wem gehört das?“, wollte er wissen.
Einer der beiden Wachmänner von Rozzary meldete sich und behauptete, er werde bald den Wagenzug verlassen, um als Kurier mit einer Nachricht des Handelsherren vorauszureiten, damit sie schneller Eronstedt erreichte.
Es hörte sich für die Soldaten glaubwürdig an, weil sie offenbar nicht wussten, dass man in Arbaran gerne Brieftauben einsetzte, um eilige Nachrichten weiterzuleiten. Nach einem erneuten lauten Wortwechsel mit den Kutschern gab der Offizier den Weg frei, nicht ohne noch einige Drohungen auszustoßen.
Die ganze Aktion kostete uns eine Stunde, weshalb es bereits dunkel war, als wir unser Etappenziel erreichten. Ich bedankte mich bei meinen Begleitern, nahm die Zügel des Packpferdes und verließ die Straße, der wir bisher gefolgt waren. Die beiden Bewaffneten würden bei der Taverne zunächst die Fracht bewachen, bis alles ruhig war, mir dann aber in großem Abstand folgen, um sicherzustellen, dass mir niemand anders auf den Fersen war.
Mein Plan sah vor, nach Südosten zu reiten, bis ich den Murran erreichte. Dieser schmalere Fluss mündete dort in den großen Strom Azondan. Kurz vor der Einmündung gab es eine Furt, von der man mir berichtet hatte. Noch hatten die heftigen Herbstregen nicht eingesetzt, weshalb sie passierbar sein sollte. Der Weg führte anschließend in die südlichen Ausläufer der Einöde der Provinz Arbaran, und von dort aus weiter bis nach Pregge, das am Südufer des Azondan lag. Fähren ermöglichten es, das breite Gewässer zu überqueren, hatte man mir versichert.
Doch nachdem ich die ganze Nacht hindurch auf einem schmalen Pfad zwischen Wäldern und Wiesen gut vorangekommen war, durchkreuzten bei Sonnenaufgang erneut königliche Soldaten meine Pläne.
Ich hielt bereits Ausschau nach einem Rastplatz, um den Tag versteckt zu verbringen und abends meinen Weg fortzusetzen, als der Pfad, dem ich folgte, in eine Straße mündete. Ich hörte Hufschlag und das Knarren von Rädern, die typischen Geräusche eines Fuhrwerks. Da ich nicht gesehen werden wollte, zog ich mich in ein dichtes Gebüsch zurück, das auch meinen beiden Pferden Deckung bot. Dort wartete ich ab. Ich hoffte, der Wagen würde die Stelle passieren, ohne dass ich bemerkt wurde.
Aber gerade, als er in Sichtweite kam, näherten sich Reiter. Es war wieder der Trupp königlicher Soldaten. Der Offizier forderte den Wagenlenker barsch auf, anzuhalten, damit man die Ladung kontrollieren konnte.
Der Mann auf dem Kutschbock gehorchte. Er war alleine unterwegs und dem Aussehen nach ein einfacher Knecht. Sein Auftrag war es, Kisten mit Früchten von einem Bauernhof zum nächsten Markt zu bringen. Eingeschüchtert fragte er, was daran verboten sei.
Nichts, wurde ihm beschieden, er solle weiterfahren. Das tat der dann auch eiligst.
Die Soldaten stiegen von den Pferden und versammelten sich um ihren Offizier. Der zog ein zusammengefaltetes Schriftstück und einen Stift aus der Innentasche seiner Uniformjacke und notierte etwas.
„Das war der sechste. Noch vier, und wir haben das uns versprochene Geld verdient. Jetzt reiten wir zurück Richtung Dongarth, dabei können wir Wagen abfangen, die am frühen Morgen losgefahren sind.“ Er steckte Zettel und Stift wieder ein und wollte auf sein Pferd steigen, als ihm etwas an einem seiner Leute auffiel.
„Kerl, stopf dir das Hemd in die Hose und zieh deine Uniformjacke gerade. So, wie du herumläufst, nimmt dir keiner den königlichen Soldaten ab. Und ihr anderen auch! Achtet auf die Verkleidung, sonst fliegen wir auf und es ist nichts mit dem Sold. Und jetzt aufsitzen!“
Sie zupften an ihren Uniformen herum, und ich sah nun, dass die nicht genau passten und ein wenig schäbig wirkten. Dann stiegen sie auf ihre Pferde und ritten davon.
Ich hatte viel Zeit, über diese Begegnung nachzudenken, denn weitere neun Tage war ich alleine in der dünn besiedelten Landschaft unterwegs. Das war ungewohnt, weil ich längere Reisen fast immer in Begleitung meiner drei Freunde gemacht hatte. Da die Gefahr, entdeckt und erkannt zu werden, nun gering war, konnte ich nachts schlafen und tagsüber reiten. Das war angenehmer und brachte mich deutlich schneller voran.
Dass bezahlte Männer, vermutlich Söldner, mit Uniformen königlicher Soldaten bekleidet Fuhrwerke anhielten, war unglaublich. Die Bedeutung des Königshauses war im Weltbild aller Ringländer so herausragend, dass niemand auf diesen Einfall kommen konnte. Weshalb ich sicher war, dass Kurrether die angeblichen Soldaten beauftragt hatten. Falls ich auf ein Kloster oder einen Konvent stieß, würde ich von dort aus eine Brieftaube mit einer entsprechenden Nachricht nach Eronstedt zum Fürsten von Arbaran schicken lassen.
Doch ich sah nicht einmal mehr Dörfer in meiner Umgebung. Die Landschaft in dem Dreieck zwischen Azondan und Murran war sumpfig. Es gab zwar befestigte Wege, aber nutzbar für Bauern war dieses Land nicht. Nur einen Torfstecher sah ich einmal in der Ferne. Von meinem Standort aus führte kein Pfad in seine Richtung und er reagierte nicht auf meine Rufe, sondern arbeitete unbeirrt vor sich hin.
Die Furt des Murran konnte ich problemlos passieren. Am anderen Ufer begann das Ödland von Arbaran, das mir nur zu bekannt war. Eine flache Landschaft, steinig und von schmalen Schluchten durchzogen, die sich wie Narben dahinzogen und manchmal eine Quelle und etwas Grün bargen.
Die Zeit schien sich endlos auszudehnen, und ich bemerkte, wie meine Gedanken von Tag zu Tag dunkler wurden. Ich dachte an Jinna und die Trennung von ihr. Aber auch an den Exodus in Richtung Ostraia, der ja ebenfalls eine Art von Trennung war, nämlich von unserer Heimat. Dass es jenseits des Meeres besser sein würde, war eine Hoffnung. Wissen konnte es niemand, denn bisher war kein einziger Ringländer jemals dort gewesen. Es war durchaus möglich, dass man uns nicht die Wahrheit gesagt hatte. Vielleicht war das Land, in dem wir eine neue Zukunft aufbauen wollten, so wenig fruchtbar wie der sumpfige Boden, den ich gerade hinter mir gelassen hatte.
Am zwölften Tag meiner Reise erreichte ich den Azondan. Nun war ich nicht mehr alleine. Dutzende Menschen und einige Fuhrwerke standen am Ufer und starrten auf die weite Wasserfläche hinaus. Von dort kam ein breites Etwas heran, das die Fähre nach Pregge sein musste.
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