Wir schüttelten alle die Köpfe.
„Es ist nur so ein Raunen“, fuhr er fort. „Ich musste viele Leute fragen und mir selbst zusammenreimen, was hinter den Bemerkungen und Andeutungen steckt. Niemand spricht offen darüber.“
„Worüber?“, fragte ich.
„Über die Widerstandsbewegung. Man sagt, es gebe Leute, die nicht nur etwas gegen die Kurrether, sondern sogar gegen das Königshaus unternehmen wollen.“
„Gegen das Königshaus - unmöglich!“, rief Gendra.
„Man macht da keinen Unterschied mehr. Sogar die Fürsten werden als Gegner betrachtet, und die Priester. Eben alle, die im jetzigen System etwas zu Sagen haben. Jeder gilt als Helfer der Kurrether und damit als Feind.“
„Unter den Fürsten gibt es einige, die eindeutig auf deren Seite stehen“, sagte ich. „Der Fürst von Krayhan, um den wichtigsten zu nennen. Aber die Priester? Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Weil du weißt, was im Hintergrund begonnen wurde. Diese Leute wissen es nicht. Wobei ich niemanden kenne, der zugibt, dazu zu gehören.“
„Und was haben sie vor? Söldner und Wachsoldaten können kämpfen, aber einen Krieg gegen die Kurrether zu führen, ist unmöglich. Das verhindert die Magie des Berges Zeuth.“
„Doch, sie wollen in den Krieg ziehen. In einen heimlichen, in dem der Gegner nicht im offenen Kampf besiegt wird, sondern ermordet. Einer nach dem Anderen, über Jahre hinweg. Von Attentätern, die nicht zusammenarbeiten. Jeder ist ein Einzelgänger. Deshalb können sie kaum etwas verraten, falls sie gefangen werden. Es ist ein erschreckendes Konzept, zumindest finde ich das, weil es so unbestimmt ist.“
„Das kann nicht funktionieren“, sagte ich. „Die Kurrether würden sich mit Spitzeln und eigenen gedungenen Mördern dagegen wehren. Es wäre ein fortwährendes, gegenseitiges Töten. Keiner würde mehr seinem Nachbarn oder gar Fremden vertrauen.“
Gendra nickte und sagte düster: „Kein Land kann unter solchen Bedingungen existieren. Deshalb wird diese Form des Widerstands schnell in sich zusammenfallen.“
„Aber es erinnert mich an die Unbekannten, die mich umbringen wollen“, fügte ich hinzu.
„Das könnten durchaus welche von denen sein“, meinte Martie. „Du arbeitest für Fürst Borran, und ich denke, damit stehst du auf der Liste der möglichen Opfer, falls es so etwas gibt. Allerdings passt die Beschreibung der beiden Männer, denen du begegnet bist, nicht dazu.“
„Soll mich das jetzt beruhigen oder nervös machen?“, frotzelte ich. „Womöglich sind zwei Gruppen von Mördern hinter mir her. Am besten, ich bleibe für den Rest meines Lebens hier im Hinterzimmer, mit euch als Schutztruppe. So kann mir nichts zustoßen und der Wirt ist sicherlich bereit, mich mit Essen und Bier zu versorgen, so lange ich will - oder so lange mein Geld reicht.“
Wir lachten alle, hörten aber gleich wieder auf, weil das Schankmädchen hereinkam. Sie hielt den Zeigefinger an die Lippen.
„Was ist los?“, fragte ich leise.
„Gäste sind gekommen, die dem Wirt nicht gefallen. Sie fragen nach Aron von Reichenstein.“
„Wie sehen sie aus?“
„Große Männer, dunkel gekleidet. Bewaffnet. Sie sind nicht von hier.“
Serron deutete auf die zugezogenen Fensterläden und die Hintertür, die wie immer abgeschlossen war. Ich ging hin, drehte langsam den Schlüssel herum, zog die Tür auf und spähte hinaus in die Dunkelheit des überdachten Hofs. Wobei es nicht völlig dunkel war, denn links spiegelte sich der Mond im Wasser der Reena und von rechts kam der Lichtschein der Laterne über dem Eingang des Gasthauses.
Ich zog den Kopf zurück und meldete leise: „Niemand zu sehen.“
„Wenn die Männer nicht dumm sind, dann wissen sie, dass Gaststätten einen Hinterausgang haben“, sagte Martie. „Bleib hier. Draußen rennst du womöglich in eine Falle.“
Aus der Schankstube klangen laute Stimmen herein, darunter die des Wirts. Ich zog den Degen, postierte mich hinter der Tür und zog das Schankmädchen zu mir, damit sie aus dem Weg war.
Gendra und Martie stellten sich vor den Tisch, die Schwerter in der Hand. Jeder, der hereinkam, würde mit ihnen konfrontiert. Serron blieb im Hintergrund. Er schien unbewaffnet zu sein, aber das täuschte. In seiner Kleidung waren Wurfmesser versteckt, mit denen er perfekt umzugehen verstand.
Unsere Vorsicht zahlte sich aus.
Die Tür zur Schankstube wurde aufgestoßen. Da ich hinter ihr stand, konnte ich nicht sehen, wer hereinkam.
Gleichzeitig trat jemand mit ein paar kräftigen Schlägen die Tür zum Hof ein. Sie flog aus dem Rahmen, in den Raum hinein, und ein untersetzter Mann mit gezogenem Degen erschien. Seine Miene drückte aus, dass er nicht reden wollte, sondern töten.
Er brüllte etwas Unverständliches, wahrscheinlich eine Drohung. Das spielte aber keine Rolle, weil ihm Serron einen Dolch in die Brust stieß. Er riss die Augen auf, starrte an sich hinunter und fiel, vom eigenen Schwung getragen, nach vorne zu Boden. Dabei rammte er sich vermutlich den Dolch noch fester in den Körper. Sollte der Treffer nicht sofort tödlich gewesen sein, so war er es nun.
Serron warf ein Messer in Richtung der offenen Tür zum Schankraum, von wo ich das Klirren von Schwertklingen hörte. Ich hätte mich beteiligt, aber das zitternde Schankmädchen klammerte sich an meinen Arm. Bis ich mich von ihr befreit hatte, war der Kampf vorbei.
Die Rufe und das Getrampel aus der Schankstube klangen wie eine Massenschlägerei. Dann ging die Tür halb zu und ich sah Gendra und Martie, die ihre Schwerter wegsteckten.
„Sie sind abgehauen“, sagte Gendra. „Beide verletzt, aber nicht lebensgefährlich. Was ist mit dem da?“ Sie deutete auf den Mann, der die Tür zum Hof aufgebrochen hatte.
Serron ging zu ihm und drehte ihn auf den Rücken. „Tot!“
Sebald, der Wirt, erschien. „Zwei Gäste haben etwas abbekommen. Ich lasse einen Heiler rufen, aber mehr als einen Verband werden sie nicht benötigen.“
„Wer waren die Angreifer?“, fragte ich.
„Kerle von auswärts. Teure Kleidung, gute Waffen, keine Manieren.“ Letzteres sprach Sebald so verächtlich aus, dass ich dachte, er würde dabei ausspucken. Aber dies war sein Gasthaus und er wollte vermutlich kein schlechtes Vorbild für seine Gäste sein, also unterließ er es. „Ich habe sie oder ihresgleichen bisher nicht in der Stadt gesehen.“
Wir versammelten uns um dem Toten und sahen ihn uns genauer an. Serron durchsuchte die Kleidung, fand aber nur Geld, etwa fünfzig Taler. Das war mehr als das, was ein guter Handwerksmeister in zwei Monaten verdiente. Serron gab mir die Münzen und ich reichte sie an Sebald weiter, der sie einsteckte. Dieser Betrag würde seinen Schaden ebenso abdecken, wie die Behandlung der beiden verletzten Gäste, und ein Schweigegeld konnte er ihnen auch noch zahlen.
„Blutgeld“, sagte Serron und starrte nachdenklich in das verzerrte Gesicht der Leiche. „Das erinnert mich an ein Gerücht, das ich vorigen Monat gehört habe. Es klang so unglaubwürdig, dass ich es für eine dieser Gruselgeschichten hielt, die immer mal wieder kursieren.“
„Erzähl!“, forderte ich ihn auf.
„Der Fürst von Malbraan soll weiterhin Angst vor den Königreichen der Kaltlande haben, die nördlich seiner Provinz jenseits des Ringgebirges liegen. Er befürchtet, dass König Grendlach oder Königin Chrissayda wieder versuchen, über ihn herzufallen. Insbesondere, da Chrissaydas Feldzug gegen die Monster des alten Kaiserreichs gescheitert ist. Ihr erinnert euch, dass sie schon einmal kleine Trupps von Kriegern in die Ringlande geschickt hat, um uns auszuplündern.“
Martie, Gendra und ich nickten. Wir waren gemeinsam dort gewesen.
„Außerdem fürchtet er, dass seine wertvollen Goldminen und die Goldschmelzen von Saboteuren heimgesucht werden.“
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