1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Wenn ich jetzt nach links ging, gelangte ich mit wenigen Schritten zum Handelshaus Oram, also zu Jinna. Eigentlich wollte ich nicht zu ihr, trotzdem konnte ich mich nicht davon abhalten, bis zur Ecke zu schleichen und hinüber zu sehen. Es brannte Licht im ersten Stock, wo sie um diese Zeit oft noch die Abrechnungen prüfte, bevor sie sich im Zimmer daneben schlafen legte. Ein Stich im Herz machte mir deutlich, dass es nicht gut für mich war, über all das nachzudenken. Deshalb ging ich zurück und verließ die Gasse zur Stadtmitte hin.
Am Ufer der Reena entlang kam ich zum Gasthaus Zum Greiff . Es versteht sich, dass ich unterwegs auf jede Bewegung und jedes Geräusch achtete. Begegnete ich jemandem, so hielt ich den Degen gezogen in der Hand, aber verdeckt unter meinem Umhang.
Es gab einen Grund, warum ich hierher kam. Meine engsten Freunde. Serron, Gendra und Martie spielten an manchen Tagen im Hinterzimmer des Greiff Karten. Ich hoffte, sie heute dort zu finden, und wenn ich Glück hatte, waren keine weiteren Spieler da, so dass wir ungestört reden konnten. Und ich hatte Glück.
Im Schankraum gab ich Sebald, dem Wirt, durch ein paar Worte und eine Münze zu verstehen, dass er mich warnen sollte, falls Fremde hereinkamen. Er nickte und fragte, was er mir nach hinten bringen dürfe. Ich bestellte ein reichliches Menü und einen Krug dünnes Bier, weil ich seit Mittag nichts mehr gegessen hatte. Die letzte Nacht und mein verkaterter Morgen am Hang des Berges waren mir zu gut in Erinnerung, deshalb verzichtete ich auf normales Bier.
Ich ging nach hinten und fand dort nur meine Freunde vor. Sie begrüßten mich, indem sie alle zugleich abwinkten, als ich zu sprechen begann. Ihr Kartenspiel war in der Endphase und offenbar noch ziemlich ausgeglichen, jeder der drei konzentrierte sich, um den entscheidenden Stich zu machen. Wie so oft war es Serron, der die Runde gewann und die paar Heller einstrich, um die wir gewöhnlich spielten.
Anschließend besprachen wir, was den Tag über geschehen war. Da die Stadt derzeit ruhig war, hatte keiner von ihnen etwas Besonderes erlebt. Ich dagegen konnte einiges berichten: die Warnung Seliims, die kleinen Männer aus Kirringa und all die anderen Vorfälle. Ich brauchte mich nicht zurückzuhalten, denn meine Freunde waren in die Pläne des Fürsten eingeweiht, ja, sie hatten mich sogar auf allen wichtigen Reisen begleitet.
„Von den Kirringanern mit ihren Äxten habe ich gehört“, sagte Martie. „Sie sind nie alleine anzutreffen, nur in Gruppen, und sie reagieren aggressiv, wenn man ihnen nicht mit dem nötigen Respekt begegnet.“
„Wie alle kleinen Leute“, warf ich ein, und wir lachten.
„Auch über die Männer in der hochwertigen Lederkleidung habe ich etwas gehört“, fuhr er fort. „Sie haben sich im besten Gasthaus in der Stadtmitte eingemietet und gelten als Abgesandte eines Handelsherren in Krayhan. Aber sie halten dessen Namen geheim, angeblich, um nicht zu verraten, dass er geschäftliche Interessen hier in Dongarth hat. Sie zahlen gut und wissen sich zu benehmen.“
„Wer hat dir das erzählt?“, hakte ich nach.
„Freunde von der Stadtwache. Sie haben ein Auge auf alle Fremden, wie du weißt. Heute noch intensiver als früher, weil der Magistrat der Stadt das angeordnet hat. Genauer gesagt, der Kurrether, der im Magistrat das Sagen hat.“
„Die Kurrether werden misstrauisch“, sagte Gendra. „Sie bemerken, dass etwas vor sich geht, aber sie wissen noch nicht, was los ist.“
Ich nickte. „Die vielen Handwerker und anderen Fachleute, die aus allen Regionen der Ringlande nach Dongarth kommen, fallen ihnen notgedrungen auf.“
„Nicht nur das“, ergänzte Serron. „Inzwischen verlassen angestammten Betriebe die Stadt. Einzelne Werkstätten in der Nordstadt stehen leer, die Inhaber sind mit Sack und Pack abgereist.“
Da ich davon noch nichts gehört hatte, fragte ich nach Einzelheiten.
„Es gibt nur Gerüchte, aber die besagen, die Verdienstmöglichkeiten für Handwerker seien im Osten des Landes besser als hier in der Hauptstadt. Die Kosten seien hier zu hoch, und die Steuern.“
„Und das, obwohl die neuen Steuerpläne von Rat Geshkan noch gar nicht umgesetzt sind“, warf ich ein.
„Wir wissen, was das bedeutet“, fuhr Serron fort. „Die ersten Handwerker haben sich für das Verlassen der Ringlande entschieden. Noch sind es wenige, die von dieser Möglichkeit gehört haben. Die Vertrauten von Borran und Echterion sprechen nur solche Leute an, die als zuverlässig und verschwiegen gelten, von denen sich aber auch herumgesprochen hat, dass sie unzufrieden sind.“
Die Unzufriedenen in der Bevölkerung waren Menschen, die weniger dem lähmenden Einfluss des Berges Zeuth unterlagen, als es Ringländer im Allgemeinen taten. Sie spürten, wie der Frieden, den dessen Magie unserer Heimat bescherte, zugleich jede Veränderung, jeden wirklichen Fortschritt verhinderte. Das machte es uns Bürgern auch unmöglich, uns gegen die schleichende Machtübernahme durch die Kurrether zu wehren.
„Wie gelangen diese Leute zu der Passstraße?“, fragte Gendra.
Ich zuckte mit den Schultern.
Das Schankmädchen kam herein und brachte mir das Essen und das Bier. Meine Freunde schwiegen, bis wir wieder unter uns waren. Erst dann beantwortete ich Gendras Frage ausführlicher: „Fürst Borran wird eine Route vorbereitet haben, vermutlich sogar mehrere, mit unverdächtigen Zwischenzielen. Aber ich habe nichts darüber erfahren. Je weniger Leute davon wissen, umso besser. Den letzten Abschnitt der Reise, von Kroyia aus durch die Wüste, kennt sowieso keiner. Wir können nur hoffen, dass alles gut organisiert ist. Aber ich finde es bemerkenswert, dass die ersten Umsiedler sich tatsächlich auf den Weg gemacht haben. Bisher war das alles ein verwegener Plan, eine Idee. Und nun beginnt es, Wirklichkeit zu werden.“
Ich aß und meine Freunde hingen ihren Gedanken nach. Als mein leerer Teller abgeräumt und der Bierkrug neu gefüllt waren, unterhielten wir uns über das, was uns beschäftigte.
„Denkt man das alles zu Ende“, begann Serron, „gelangt man zu einem Punkt, von dem an das Leben in den Ringlanden nicht mehr funktionieren wird. Wenn die meisten der jungen, talentierten Handwerker und Handelsherren und der anderen gut Ausgebildeten gehen, wer soll die Bevölkerung versorgen? Die Alten, Kranken, Ungebildeten sind dann unter sich. Und über sie herrschen die Kurrether, die weiterhin versuchen werden, das Land auszupressen.“
„Das ist eine interessante Frage“, bestätigte ich. „Wer wird sonst noch zurückbleiben? Die Trägen, vor allem, unabhängig von ihrer Qualifikation. Und die Angepassten, die sich mit der Herrschaft der Kurrether arrangiert haben oder sogar Vorteile daraus ziehen.“
„Können wir sie guten Gewissens zurücklassen?“, fragte Serron. „Oder ist es die Pflicht der Fleißigen, hierzubleiben?“
„Wozu? Damit die Kurrether mehr aus dem Land herauspressen können?“ Ich zeigte in unsere kleine Runde. „Nimm uns, zum Beispiel. Welchen Vorteil bringt es den Ringlanden, wenn wir uns entschließen, in unserer Heimat zu bleiben? Wir sind anständige Leute, arbeiten für unseren Lebensunterhalt und zahlen Steuern. Aber es wird uns künftig nicht mehr so gut gehen wie jetzt, darüber sind wir uns ja im Klaren.“
„Wohl wahr“, sagte Gendra. „Die Versorgung mit allem wird sich im Laufe der Jahre verschlechtern, sobald die fleißigeren unter den Bauern, die besten Bäcker, die guten Metzger nicht mehr hier sind. Wenn die Häuser nach und nach zerfallen mangels erfahrener Bauleute. Wenn ganze Stadtbevölkerungen nur noch von ein paar alten Heilern betreut werden. Warum also ausharren?“
„Nun, es gibt da einen Grund“, begann Martie zögernd.
Wir sahen ihn alle fragend an.
„Habt ihr schon die Gerüchte gehört über diese neue Bewegung, die angeblich unter Söldnern und ehemaligen Wachsoldaten zunehmend Unterstützung bekommt?“
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